Neue Wege in der Verkehrserziehung - Retter und Helfer schildern Erlebnisse aus echtem Unfall
Crashkurs sorgt für echte Betroffenheit
Montabaur. „Im einen Moment war es ein zwar kalter aber schöner Februarmorgen mitten im Westerwald – im nächsten Moment hat ein junger Mann gerade am Straßenrand den Kampf um sein Leben verloren“. In der Aula des Mons Tabor Gymnasiums könnte man am vergangenen Montag die sprichwörtliche Stecknadel eindeutig fallen hören. Rund 250 Oberstufenschüler haben die sonst übliche Unruhe von schulischen Veranstaltungen im gemeinsamen Rahmen hinter sich gelassen, in vielen Gesichtern steht eine Mischung aus tiefer Betroffenheit und Anteilnahme, vereinzelt sind sogar Tränen zu sehen. Die Oberstufe des Mons Tabor Gymnasiums erlebt eine neue Art von Verkehrserziehung. Aus England kommt die Idee – dort soll die „Schocktherapie“ geholfen haben, die Zahl der Unfälle in der Zielgruppe „junge Raser“ zu senken. Ein Film mit Bildern von schweren Unfällen aus dem Westerwald eröffnet den Crashkurs. Alle Bilder, alle Unfälle sind im vergangenen Jahr passiert. Es sind viele Bilder und sind viele Details. Zum Beispiel die Schuhe eines verstorbenen Unfallopfers neben dem völlig zerstörten Wagen. Im Bild auch der Unfall vom 20. Februar 2015, bei dem ein junger Mann in der Nähe von Langenhahn auf der Nistertalstraße ums Leben kam.
Florian Schwan hatte in jener Nacht Dienst bei der Polizei in Westerburg. „Es war bis dahin eine ruhige Nacht und wir waren auf dem Weg in den Feierabend, als um 6.01 Uhr der Notruf einging. Wir haben und dann sofort auf den Weg zum Unfallort gemacht“, erzählt Schwan im Plauderton.
Ungefiltertes Bild der Unfallstelle
Das Bild, das sich an der Unfallstelle bot, schildert er ungefiltert. „Als Erstes habe ich ein rauchendes Etwas im Straßengraben gesehen – wie sich später herausstellte war, das der Motor des Unfallfahrzeuges. Das erste Fahrzeug war leer. Am Zweiten war Bewegung. Darin war ein junger Mann, aschfahl, eingeklemmt. Wenn man ganz leise war, konnte man eine Art Röcheln wahrnehmen. Aber nur ganz schwach“, fährt Schwan fort. Spätestens jetzt glauben die Schüler in der Aula, dass sie beim Crashkurs „Neuland“ betreten. Seine Kollegin Franziska Neupert hatte die Nachfolgeschicht, löst den Kollegen „in dem Trümmerfeld“ ab und erlebt die Phase nachdem der Notarzt und die Sanitäter den Kampf um das Leben des jungen Mannes als verloren aufgeben müssen. Sie berichtet von einsetzendem Schneefall, als die Unfallaufnahme beendet war und sie durch ein Geräusch aufgeschreckt wurde. „Das war der Bestatter, der den Sarg in den Leichenwagen geschoben hat.“
Crashkurs will bewusst schockieren
„Der Crashkurs will ganz bewusst schockieren. Den Oberstufenschülern wird drastisch vor Augen geführt, wie schnell das Leben eines Heranwachsenden enden kann.“, erläutert Daniela Delzepich von der Polizeiinspektion Montabaur die das Projekt federführend begleitet und moderiert. „Die Betroffenheit ist immer dann groß, wenn die Schüler eines der Unfallopfer persönlich gekannt haben. Aber auch wenn der Unfallort beispielsweise zum täglichen Schulweg gehört, spielt das eine große Rolle“, erklärt die engagierte Polizistin. Am Mons Tabor Gymnasium findet der Crashkurs zum ersten Mal statt, in Westerburg wurde er bislang zweimal angeboten, weitere Schulen sollen folgen. „Aber nicht bei allen Schulleitungen rennen wir da offenen Türen ein, oftmals gibt es Vorbehalte, weil Pädagogen glauben, dass es eventuell ,zu hart‘ für die Schüler sein könnte“, so Daniela Delzepich.
Patrick Schäfer, Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Langenhahn, berichtet nach den Polizeibeamten vom zunächst vergeblichen Bemühen, mit dem hydraulischen Rettungsspreizer das Unfallauto zu öffnen. „Von der Leistung her hätte das für den Fahrzeugtyp locker reichen müssen, aber das Fahrzeug war einfach zu stark verformt. Das hat viel zu lange gedauert – obwohl wir jetzt wissen, dass das Rennen eigentlich schon von Anfang an verloren war“, führt er drastisch aus. , Rettungssanitäter Kevin Krämer ergänzt das und verdeutlicht anschaulich die Verletzungen des jungen Fahrers. Als er die Funktionsweise der Lunge – oder eben deren Versagen – mit einem platzenden Butterbrotbeutel vergleicht, hat er mehr die volle Aufmerksamkeit erreicht.
Die Schilderung des Unfallmorgens komplett macht Pfarrer Wilfried Steinke. Der Notfallseelsorger erzählt von Gesprächen mit der Mutter des Opfers, aber auch von der Beerdigung. Zuvor hat er aber das ganze Auditorium mit einem Knall zurück in die Realität geholt, als er mit einer Schere in einen riesigen Ballon sticht, auf den die Schüler zuvor Zettel mit ihren „Lebenswünschen“ geklebt hatten. „Und mit einem Mal zerplatzen alle Lebensträume“, bringt Wilfried Steinke das Ende des Unfallopfers auf den Punkt. „Das war echt krass. Ich habe einen Moment lang mit die Schmerzen gespürt, als der Sanitäter die Verletzungen geschildert hat“, sagt eine Schülerin der Klassenstufe 12. „Das Fahrzeug auf dem Schulhof hat mich echt schockiert. Zu wissen, dass darin jemand gestorben ist, ist das Eine, wenn man aber sieht, wie weit das Auto eingedrückt ist, wird es logisch. Ich dachte immer, dass das gar nicht geht. Auf Fotos sieht man das so nie“, sagt ein Schüler.
Ohne Frage – das Konzept des Crashkurses ist krass. Ob ein solches Verkehrserziehungskonzept letztendlich wirkt, kann man nicht empirisch belegt beantworten. Wenn aber der Eindruck des Morgens nur bei einigen Schülern dauerhaft nachwirkt, wenn dadurch auch nur einer auf einer der Westerwald-Landstraßen künftig beim Anblick eines Baumes oder eines Kreuzes am Straßenrand oder eines gezeigten Unfallortes nachdenkt - und gegebenenfalls spontan abbremst – und dadurch auch nur eventuell ein Leben gerettet wird, war es wohl jede Mühe wert. Willi Willig
In der Aula des Mons Tabor Gymnasiums könnte man am vergangenen Montag die sprichwörtliche Stecknadel eindeutig fallen hören.
