Eine kriminelle Geschichte von Monika Nießen, Krimiautorin aus Remagen

Der Professor

Bernd Winterfeld stand am Herd und wendete die Bratkartoffeln, als seine Frau Rosemarie, sein „Rösje“, die Küche betrat. Ohne sich umzuwenden, begrüßte er sie mit den Worten: „Wo häss Du Desch dann fesjequatsch, du wolls doch nur nochs jerad bejm Professe löfte john?“ Als er keine Antwort bekam, drehte er sich um und sah sie total verstört am Tisch sitzen. „Wat es dann met Dir loss“, sagte Bernd. „Dä Professe es dud, dänn hät eine ömjebraach“, antwortete Rösje leise schluchzend.

Nach und nach erfuhr Bernd von seiner Frau, dass sie mit ihrem Rad schnell zum „Chinatown“ geradelt war, um noch mal den Briefkasten zu leeren und durchzulüften, weil der Herr Professor, wie sie ihn nannte, am Abend von einer Reise zurückkommen wollte.

Sie öffnete die Wohnungstür und nahm einen eigenartigen Geruch wahr.

Im Wohnzimmer lag der Professor auf dem Boden in einer Blutlache.

Laut schreiend rannte sie auf den Flur zurück. Als der Hausmeister, der sich gerade mit dem Nachbarn unterhielt, sie sah, eilte er zu ihr, schaute in die Wohnung und rief die Polizei.

Der Professor war schon am gestrigen Abend von seiner Reise zurückgekehrt und hatte wohl einen Einbrecher überrascht. Die Balkontür war mit Gewalt geöffnet und wieder geschlossen worden.

Wahrscheinlich war der Einbrecher über den Flur verschwunden. Im Durchgang unter dem Haus hatte der Hausmeister eine Decke gefunden, die sonst auf der Couch des Professors lag, wie Rösje den Polizisten sagte.

Sie wurde gefragt, warum sie den Toten, der Hans Wilhelm Broderkamp hieß, „Professor“ nenne. Rösje antwortete, so genau wisse sie es nicht mehr. Aber der Herr wisse soviel und er hätte mal einen Brief von der Bonner Uni bekommen.

Vor etwa 20 Jahren sei der Professor ins „Chinatown“ gezogen, der habe früher in Oberbreisig gewohnt. Als seine Frau gestorben war, verkaufte er das Haus und zog nach Remagen.

Er kaufte die Wohnung von einer alten Dame, die in ein Seniorenstift nach Bad Neuenahr zog. Rösje hatte bereits bei dieser Dame gearbeitet und war froh, dass sie vom Professor übernommen wurde.

Sie arbeitete gern bei ihm, er redete ihr nirgendwo rein, nur die Türen der Schränke in Wohn- und Arbeitszimmer waren immer verschlossen. Die durfte sie nicht auswischen. Einige Bilder an den Wänden staubte der Professor ebenfalls selbst ab.

Rösje kam jeden Morgen und nach einigen Jahren erhielt sie vom Professor Haus- und Wohnungsschlüssel. Er verreiste oft für einige Tage. Wenn er ohne Koffer aus dem Haus ging, hatte er die Hände auf dem Rücken verschränkt und spazierte leicht vorgebeugt durch die Stadt. Sein Interesse galt den Galerien und Ateliers der heimischen Künstler. Hans Wilhelm Broderkamp wurde 81 Jahre alt.

Als er 1947 seine Schulzeit beendete, war er froh, dass er bei einem Onkel, der in Bonn eine Pfandleihanstalt betrieb, eine kaufmännische Lehre beginnen konnte. In den ersten Jahren der jungen Republik kamen oft Adlige mit Schmuck und Bildern ihrer Vorfahren, um diese zu beleihen. Nicht alles wurde wieder abgeholt.

Vieles davon behielt sein Onkel, und einige Bilder und Schmuckstücke erhielt der Neffe als Lohn. Das war die Basis für Hans Wilhelms Kunsthandel.

Einen Laden hatte er nie, aber er verstand es, für potente Kunde quer durch Europa Gemälde und Schmuck zu verkaufen oder zu erwerben. In den letzten Jahren reiste er nicht mehr so weit und neue Kunden wollte er auch nicht mehr. Es kam immer häufiger vor, dass er des Abends in seiner Wohnung saß und seine Werke betrachtete. Gesellig war er nicht.

Rösje und Bernd Winterfeld liebten Geselligkeit. Sie waren Mitglieder in einigen Remagener Vereinen und trafen sich regelmäßig zum Stammtisch in einem Remagener Lokal. Dort kamen auch schon mal Neubürger, die Kontakt suchten, und unterhielten sich mit ihnen.

Rösje erzählte dann gern von ihrem Professor und wie gut sie es bei ihm hatte, es gab keine Hausfrau, die ihr in die Arbeit reinredete. Und wenn der Professor anwesend war, dann hörte er ihr auch zu, wenn sie ihm das Neueste aus dem Städtchen erzählte.

Vor einiger Zeit hatte sie im Stammlokal am Markt einen Neubürger kennengelernt, der auch im „Chinatown“ wohnte und genau wissen wollte, wo denn die Wohnung des Professors wäre.

Rösje war sehr hilfsbereit, sie hatte es ihm genau erklärt.

Der Beamte, der sie befragte, hätte gern gewusst, wo der Mann wohnt und wie er heißt, aber das wusste Rösje nicht.

Den ermittelnden Beamten war schnell klar, dass sie es nicht mit einem professionellen Kunstdiebstahl zu tun hatten, denn der Computer wurde nicht angerührt, und die Inventarliste der Kunst- und Schmucksammlung wurde auch schnell gefunden.

Es fehlten einige Schmuckstücke und ein Bild, aber nicht die wertvollsten Exponate.

Jedes Gemälde und jedes Schmuckstück waren fotografiert und katalogisiert.

Das Messer, mit dem der Professor ermordet wurde, stammte aus der Küche der Wohnung, es lag neben der Leiche. Das Einbruchswerkzeug fehlte. Der Täter musste sich im „Chinatown“ aber gut auskennen, sonst hätte er nicht wissen können, dass dieser kleine, seitlich gelegene Balkon zur Wohnung des Professors gehörte.

Rösjes Beschreibung des jungen Mannes, der sich in ihrem Stammlokal so für ihren Professor interessiert hatte, passte auf keine Beschreibung eines Bewohners der Nachbarwohnungen.

Die Vermutung, der Täter habe den Professor beobachtet, während er seine Sammlung ausbreitete und ansah, erwies sich als haltlos. Es gab nur ein Fenster einer Wohnung, von der aus man mit einem Fernglas in das Wohnzimmer des Professors schauen konnte - und dort wohnte eine alte Dame.

Es war wie verhext, der Verdächtige war unauffindbar, dabei hatten die Beamten eine sehr gute Zeichnung anfertigen lassen. Der Wirt von Winterfelds Stammlokal hatte ihn erkannt.

Der junge Mann war einige Zeit regelmäßig gekommen, war aber wohl wieder aus Remagen weg gezogen, er wohnte bei einer Freundin im „Chinatown“, denn er wurde schon längere Zeit nicht mehr gesehen.

Eines Tages wurde in einer lokalen Facebook-Gruppe von einer Frau ein Ring zum Verkauf angeboten. Der Ring sah einem Schmuckstück aus dem Besitz des Professors sehr ähnlich.

Eine Beamtin nahm Kontakt mit der jungen Frau auf und fragte nach weiterem Schmuck.

Diesen Ring, er stammte tatsächlich aus dem Raub, hatte die junge Frau von ihrem Exfreund erhalten.

Wo sich dieser Exfreund aufhielt, wusste sie nicht. Er wollte mit ihr auswandern, so erzählte sie, aber als sie bemerkte, wie unzuverlässig er war, trennte sie sich von ihm.

Nun hatten die ermittelnden Beamten aber einen Namen: Kevin Wolters, er war zuletzt in Sinzig wohnhaft.

Dort war er nicht abgemeldet, aber in der Wohnung lebte er nicht mehr.

Wieder war es eine Frau, die den Beamten weiterhalf.

Eine junge Frau erstattete eines Tages Anzeige bei der Remagener Polizei.

Ihr Freund, Kevin Wolters, der seit drei Monaten bei ihr gewohnt habe, sei verschwunden.

Er habe Sachen bei ihr gelagert, die sie mitgebracht habe.

Es handelte sich tatsächlich um die Beute aus dem „Chinatown“- Raubmord.

Nun war die Sammlung wieder komplett, wo aber war Kevin Wolters?

Die Antwort kam aus Luxemburg. Dort war Kevin Wolters mit seinem Auto tödlich verunglückt.

Der Raubmord hatte ihm kein Glück gebracht, er war mit Fotos, die er gemacht hatte, nach Luxemburg gereist, um dort die Beute anzubieten und zu verkaufen.

Die Akte konnte geschlossen werden.

Verkauft wurde die Sammlung zu Gunsten einiger Stiftungen, die der Professor in seinem Testament bedachte.

Rösje ging in Rente, sie war schließlich nicht mehr die Jüngste, aber ihren Professor hielt sie in Ehren bis an ihr eigenes Ende.

Monika Nießen