Flüchtlingshilfe Rheinbach

Der alltägliche Wahnsinn

Aus der Arbeit eines Flüchtlingshelfers

14.08.2019 - 17:30

Rheinbach. „Ohne das Ehrenamt wäre eine effiziente Flüchtlingshilfe gar nicht zu leisten.“ Diesen Satz hört man als Helfer im Flüchtlingshelferkreis häufiger aus dem Munde der Bundes- und Kommunalpolitiker. Man darf unterstellen, dass dieses Lob ein ehrliches ist und Wertschätzung ausdrücken soll. Man kann jedoch auch davon ausgehen, dass kaum einer der Protagonisten wirklich weiß, was das Ehrenamt im Detail leistet, und mit welchen Hürden und Lasten die Helfer zu kämpfen haben.

Von ehrenamtlichen Bürokratielotsen werden Geflüchtete im Raum Rheinbach bei allen administrativen und bürokratischen Belangen begleitet. Sie sind Vorbereiter von Anträgen und Dokumenten und begleiten die Flüchtlinge bei Behördenbesuchen und privaten Erledigungen von der Heirat bis zum Autokauf. Dabei sind die involvierten Vertreter der Behörden vom Sachbearbeiter des Sozialamtes über die Referenten bei der Ausländerbehörde bis zum Arbeitsvermittler oder Leistungssachbearbeiter beim Jobcenter in aller Regel dankbar für die gewährte Unterstützung, die letztlich auch ihnen die Arbeit und Kommunikation erleichtert.

Es hat sich viel gegenseitiges Vertrauen aufgebaut, das Vorurteil des türeneintretenden Helfers, der ohne Sachverstand im Einsatz für „seinen“ Flüchtling für zusätzliche Arbeit sorgt, ist verschwunden. Im Gegenzug ist das Verständnis für die rechtlichen, verwaltungstechnischen und ressourcenbedingten Einschränkungen auf der Amtsseite gewachsen, eine pragmatische und kooperative Zusammenarbeit entstanden.

Es ist aber mitnichten alles gut, abgesehen von rechtlich notwendigen Hürden wie beispielsweise dem Datenschutz belastet die fehlende Abstimmung der Prozesse der Behörden und Institutionen untereinander den Ehrenamtler massiv. Über manche Regelungen kann man nur den Kopf schütteln und sich wundern, wo in aller Welt der gesunde Menschenverstand und der Sinn für Effizienz geblieben ist.


Kontoeröffnung nicht möglich


Ein asylanerkannter Geflüchteter bekommt einen Aufenthaltstitel, also einen Ausweis im Scheckkartenformat, aus dem sein Aufenthaltsstatus hervorgeht. Dieser Ausweis wird bei der Ausländerbehörde beantragt und wird erfahrungsgemäß erst nach einer Bearbeitungszeit von bis zu neun Monaten zugestellt. In der Zwischenzeit aber muss der Flüchtling ein Bankkonto eröffnen, damit ihm das Jobcenter seine SGB II-Bezüge überweisen kann. Bis der Aufenthaltstitel von der Bundesdruckerei hergestellt ist, erhält der Flüchtling für die Zwischenzeit ein Identifikationsdokument von der Ausländerbehörde.

Dieses entspricht aber nicht den Vorgaben der Bundesanstalt für das Finanzwesen. Somit lehnen die meisten Banken und Sparkassen die Kontoeröffnung zunächst ab. Es ist den Rheinbacher Helfern in den letzten drei Jahren nicht gelungen, die beteiligten Behörden und Institutionen zu einem gemeinsam abgestimmten Dokument zur Identifikation bei der Bank zu bewegen.


Unzureichende Behördenabstimmung


Im zweiten Beispiel geht es um eine Familie, die unter Abschiebeverbot steht und somit nur geduldet ist. Sie wird inzwischen bis auf den Vater, der altersbedingt Sozialhilfe bezieht, vom Jobcenter betreut. Das Jobcenter besteht auf der Beantragung von Kindergeld, das aus dem Topf der Familienkasse gezahlt wird. Dieses Kindergeld wird durch die Bundesagentur für Arbeit verwaltet. Das Jobcenter rechnet die Beträge auf die von ihr gezahlten Bezüge an, schont also das eigene Budget. So weit, so gut.

Im Falle der geschilderten Familie bestand das Jobcenter somit auf der Beantragung des Kindergeldes für vier Kinder bei der Familienkasse und drohte im Falle der Nichtbeantragung mit Sanktionen wegen fehlender Mitwirkung. Der erste Antrag, der mithilfe der Rheinbacher Flüchtlingshilfe im Jahr 2017 gestellt wurde, wurde von der Familienkasse wegen noch zeitlich nicht erreichter Anwartschaft abgelehnt.

2018 wurde die Familie vom Jobcenter erneut aufgefordert, einen Kindergeldantrag zu stellen, der allerdings auf dem Behördenweg verloren ging. Deswegen wurde die Familie erneut vom Jobcenter unter Androhung von Sanktionen aufgefordert, den Antrag ein drittes Mal zu stellen.

Der Antrag wurde vom Flüchtlingshelfer diesmal persönlich bei der Familienkasse abgegeben. Dennoch wurde als Sanktion die Leistung des Jobcenters zunächst gestoppt, weil zwischenzeitlich der gesetzte Zeitraum um zwei Tage überschritten wurde. Die vorsorgliche Information seitens des Helfers über die erfolgte Beantragung wurde leider ignoriert.

Vor wenigen Tagen erhielt die Familie nunmehr die Ablehnung ihres Kindergeldantrages mit der Begründung, es läge keine gültige Anwartschaft vor, weil für diesen Asylstatus eine Berufstätigkeit beim Antragsteller notwendig sei, was bei der 64-jährigen Mutter nicht der Fall sei.


43-seitiger Antragssatz wurde dreimal erstellt


Man muss sich fragen, warum diese Informationen zwischen der Bundesagentur für Arbeit, zu der die Familienkasse als Behörde gehört, nicht schon im Vorfeld dem Jobcenter, das ja organisatorisch ebenfalls zur Bundesagentur gehört, hätten ausgetauscht und abgeklärt werden können. Die als Entschuldigung angeführte und innerhalb einer Bundesbehörde nicht nachvollziehbare Datenschutzproblematik ließe sich sicher organisatorisch regeln. Man hätte auch dem Helfer die dreimalige Erstellung eines 43-seitigen Antragsatzes und den beiden Betriebsteilen der Bundesagentur eine Menge Mühe ersparen können. Keiner der beteiligten Sachbearbeiter wäre über die Arbeitsersparnis traurig gewesen und der Helfer hätte sich nicht die Mühe machen müssen, der betroffenen Familie den offensichtlich ganz normalen Wahnsinn der deutschen Bürokratie erklären zu müssen.

Aber vielleicht bedarf es ja gerade des Ehrenamtlers, um auf diese Missstände hinzuweisen. Wenn man ihn doch nicht nur loben, sondern ihm auch einmal zuhören würde. Dirk M. Frankenberger,

Bürokratielotse Flüchtlingshilfe Rheinbach

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