Vermähung von Rehkitzen: Tierschützer werfen Landwirten Ignoranz vor
Einsatz für die Rehkitzrettung
Jäger: Gesetze zur Rettung müssen her
Region. Für Landwirte beginnt Anfang Juni eine arbeitsreiche Zeit. Auf den Wiesen steht hohes Gras, der erste Heuschnitt kann beginnen. Die Felder bieten für viele Wald- und Wiesenbewohnern ein ideales Versteck, so zum Beispiel für Rehkitze. Und dort droht den Tieren massive Gefahr durch Mähmaschinen. Wie viele Kitze genau jährlich auf den Felder Deutschlands vermäht werden, ist nicht vollständig bekannt. Eine vielfach in den Medien verbreitete Zahl spricht von 100.000 Tieren. Mittlerweile wurde die Zahl deutlich nach unten korrigiert. Heute ist von maximal 50.000 Jungrehen die Rede, die pro Jahr durch Mähmaschinen getötet werden. Trotzdem: Die Zahl der Todesfälle ist hoch. Menschen wie Daniela Wahl aus Remagen möchten an dieser Situation etwas ändern. Deshalb hat Wahl die Initiative Rehkitzrettung Rhein-Ahr ins Leben gerufen. Das Ziel: Die Kitze von der Wiese treiben, bevor die Landwirte mit dem Mähen beginnen.
Schon seit einiger Zeit hat Wahl ein Herz für die eigentlich scheuen Waldtiere. Seit vier Jahren zieht sie verwaiste Rehkitze auf. Um weitere tote Tiere zu verhindern, hat sich Wahl eine Drohne mit Wärmebildkamera angeschafft. Aus der Luft sucht sie die Felder in der Region ab, um junge Rehe ausfindig zu machen. Das klappt am frühen Morgen am besten. Auf dem von der Nacht kalten Boden heben sich die warmen Tierkörper deutlich ab. Haben Wahl und ihre Mitstreiter so ein junges Reh ausfindig gemacht, wird das Tier lautstark vertrieben. Das ist nicht immer einfach, schließlich sind die Tiere nicht ohne Grund dort. Das hohe Gras soll Schutz bieten. Das Jungtier wird praktisch von der Mutter ins hohe Gras gesetzt und kehrt nur zum Füttern dorthin zurück. In den ersten zwei bis drei Lebenswochen bewegen sich die Kitzen praktisch gar nicht, der Fluchtinstinkt ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgereift. Anfang Juni können die Tiere bereits laufen, aber nicht schnell genug, um vor einer anrückenden Mähmaschine zu flüchten. Die kleinen Tiere werden vom Fahrer oft übersehen. Zudem verenden die Mütter vermähter Kitze. Durch die nicht abgetrunkene Milch bekommen die Tiere Fieber und Entzündungen, die oft tödlich enden.
Vorwürfe gegen Landwirte und Jagdpächter
Der Aufwand, den Wahl betreibt, sei eigentlich Aufgabe der Landwirte. Eine Pflicht, so Wahl, die oft schmerzlich vernachlässigt wird. „So kann Naturschutz nicht funktionieren“, ist sich Wahl sicher. Mit Flyern möchte sie nun auf das Dilemma aufmerksam machen. Sie bietet den Landwirten an, vor der Mahd die Felder kostenlos nach Kitzen abzusuchen. Das Angebot würde jedoch nicht so angenommen, wie sie es sich wünsche. Von Bauern und auch Jägern erfahre sie generell viel Untätigkeit und Ignoranz. „Viele Landwirte und Jagdpächter sind nicht kooperativ“, sagt sie.
Landwirte: Ungerechte Vorwürfe
Für Dr. Knut Schubert, Kreisgeschäftsführer des Bauern- und Winzerverbands Ahrweiler, ist das Thema nicht neu. Die Anliegen der Tierschützer in dieser Angelegenheit sind von den Landwirten absolut nachvollziehbar. Dass sich die Landwirte nicht um die Jungtiere scheren, möchte Schubert so nicht stehen lassen. Es gäbe es eine Vielzahl von Bauern, denen das Wohl der Rehe sehr am Herzen läge. „Die Landwirte nehmen in den meisten Fällen rechtzeitig vor der Wiesenmahd Kontakt mit dem Jagdpächter auf, der dann mit seinem Jagdhund die Wiesen vor der Mahd durchsucht“, so Schubert. Auch sogenannte Vergrämungsmaßnahmen kommen zum Einsatz. Mit raschelnden Plastiksäcken auf Pfählen, grellen Blinklichtern, bunten Windrädern oder lauter Musik können Jungtiere vergrämt werden. Auch den Einsatz einer Drohne hält Schubert für sinnvoll. Wichtig sei auch das Mähverfahren: Mäht der Landwirt seine Flächen von innen nach außen, erleichtert das den Tieren die Flucht. Die Tiere fliehen nämlich eher durch hohes Gras als über freie Flächen. Leider, und das weiß auch Dr. Knut Schubert, bieten alle diese Maßnahmen keine 100-prozentigen Schutz. Den Fahrern der Mähmaschinen Gleichgültigkeit zu unterstellen, wäre jedoch sehr ungerecht.
Jäger: Verpflichtete Gesetze müssen her
Eine Verurteilung der Jäger hält Ralf Schmitt, Vorsitzender der Kreisjägerschaft Ahrweiler, für unangebracht. „Es muss festgehalten werden, dass kein anderer als der Landwirt die Verantwortung trägt“, sagt Schmitt. Dass Jäger in den Jagdrevieren - auch in Kooperation mit den Landwirte – mehr Verantwortung übernehmen, als es früher der Fall war, wäre nicht gleichbedeutend mit einer echten Verantwortlichkeit. Denn der Jäger müsse schließlich zunächst durch einen Landwirt informiert wurden. Und: Mäht der Landwirt Kitze aus, kann der Jäger Anzeige erstatten. Ein Weg, den Ralf Schmitt bereits gegangen sei.
Auch die Jäger versuchen unter dem Einsatz von Wildscheuchen, Hunden und Drohnen mit Wärmebildkameras so viele Kitze vor dem Mähtod zu retten, wie es nur möglich ist. Ralf Schmitt bestätigt in diesem Zusammenhang auch Dr. Knut Schubert: „Aufgrund des angeborenen Überlebensverhaltens ist eine 100-prozentige Rettungschance von Rehkitzen nicht möglich“, sagt er. „Das ist ein Nachteil unserer Kulturlandschaft.“
Statt Landwirte und Jäger zu kritisieren sollten eher bestehende Gesetze hinterfragt werden. Akustische Kitzretter, die einen Warnton abgeben, sobald ein Kitz in der Nähe ist, müssen gesetzlich verpflichtend werden. Gleichzeitig sollten Mähmaschinen nur mit angepasster Geschwindigkeit fahren dürfen. Eine Information an den örtliche Jäger, damit dieser vorher das Feld absucht, solle ebenfalls zur Pflicht werden. Denn: „So lange verschiedene Vermeidungsvorgaben nicht rechtlich umgesetzt werden, kämpfen wir ehrenamtlich und kostenintensiv gegen Windmühlen“, sagt Schmitt. Das gilt sowohl für Jäger als auch Tierschützer. ROB