Weltuntergangsstimmung in Nierendorf

„Es war wie ineinem Katastrophenfilm aus Hollywood“

„Es war wie in
einem Katastrophenfilm aus Hollywood“

Verwüstet: Die Flutwelle verwandelte Gärten in ein Schlachtfeld

„Es war wie in
einem Katastrophenfilm aus Hollywood“

Bilder der Verwüstung: Am Tönnesgarten in Nierendorf wurde die Bewohner besonders hart getroffen.

„Es war wie in
einem Katastrophenfilm aus Hollywood“

Dieses Auto wurde von den Wassermassen mitgerissen- der Halter hatte es einen halben Kilometer weiter entfernt geparkt. Fotos: Jost

Nierendorf. Fassungslosigkeit und Entsetzen spiegelt sich in den Augen der Nierendorfer, die bereits zum dritten Mal nach 2010 und 2013 durch ein nie dagewesenes Hochwasser ihr Hab und Gut verloren haben. Während die einen verzweifelt auf der Treppe ihres Hauses sitzen und den Kopf mutlos auf die Hände gestützt haben, versuchen sich die anderen in trotzigem Galgenhumor. „Ich maure alle Fenster zu und betrete nie mehr den Garten“, schüttelt Siegfried Jack den Kopf, „mir reicht es jetzt endgültig.“ Wie praktisch alle Anwohner der Straße „Am Hang“ wurde er am Samstagnachmittag kurz nach 15 Uhr von einer wahren Sintflut ungeahnten Ausmaßes überrascht, die ihre Häuser von zwei Seiten her meterhoch unter Wasser setzte.

Das brandneue, 88.000 Kubikmeter Wasser fassende Regenrückhaltebecken oberhalb der Ortschaft konnte die enormen Wassermassen nicht mehr im Zaum halten, die nach starken Regenfällen den Leimersdorfer Bach zu einem reißenden Fluss werden ließen. Gemeindeverwaltung, Wasserwerk und Feuerwehr waren schon drauf und dran, das Becken kontrolliert durch das Öffnen der Schieber ablaufen zu lassen, „doch das Wasser war einfach schneller“, schildern die Gemeinderatsmitglieder Udo Klein (SPD) und Mathias Heeb (Grüne) Situation. Sie standen zu diesem Zeitpunkt mit den Verantwortlichen auf dem Damm des Regenrückhaltebeckens, um zu sehen, ob das erst 2015 errichtete Bauwerk seine Aufgabe erfüllen kann. Doch plötzlich sei innerhalb einer einzigen Minute der Pegel um 15 bis 20 Zentimeter gestiegen, ergänzte Ortsvorsteher Josef Braun (CDU), der das Ganze ebenfalls nicht fassen kann. Eine Treppenstufe nach der anderen sei der Innenseite des Beckens untergetaucht, dann schwappte die braune Brühe mit einem Mal über die Deichkrone und ergoss sich ungebremst in den darunterliegenden Ort, der sich eigentlich durch das Becken in Sicherheit wähnte.

„Heute fließt der Rhein durch Nierendorf“

Was dann folgte, lässt sich kaum in Worte fassen. Mit einem Schlag rollte eine Riesenwelle wie ein Tsunami sowohl durch den Zustrom angewachsenen Leimersdorfer Bach wie auch durch die daneben liegenden Straßen „Am Hang“ und „Tönnesgarten“. Gut anderthalb Meter hoch strömte das Wasser wie ein reisender Gebirgsfluss die Straße hinunter, über ein Dutzend Autos wurde von den Wassermassen einfach weggerissen und zum Teil über einen halben Kilometer weit mitgezogen, bis sie schließlich mehr oder weniger lädiert an einer Hausmauer, an einem Baum oder in einem Gestrüpp zum Halten kamen. „Wir standen bei einer Freundin oben am Fenster und haben ein Auto nach dem anderen vorbeischwimmen sehen, es war wie in einem Hollywood-Katastrophenfilm“, kann es Udo Klein immer noch nicht fassen. Nach seiner Ansicht war die Überschwemmung „dreimal so schlimm wie 2010 und 2013, ich habe gedacht, heute fließt der Rhein durch Nierendorf.“

Das Ganze ging so schnell, dass sogar der eine oder andere Anwohner völlig von der Situation überrascht wurde. So musste Mathias Heeb zusammen mit vier anderen Männern einen Nierendorfer aus seinem Keller retten, denn der bekam die Tür nicht mehr auf und rief verzweifelt nach Hilfe. „Der Wasserdruck auf der Tür war gewaltig, wir mussten mit vier Mann alle Kraft einsetzen, um sie aufzubekommen“, beschreibt Heeb die Situation. „Dann gab es plötzlich einen Stromausfall, und ich dachte schon, jetzt bekomme ich eine gewitzt und das war‘s dann“, läuft es ihm noch Stunden später eiskalt über den Rücken. Aber in so einem Moment denke man über solche Gefahren überhaupt nicht nach, da werde einfach geholfen, wenn jemand in Not sei.

Niemand konnte etwas in Sicherheit bringen

Niemand hatte Zeit, irgendetwas in Sicherheit zu bringen, „plötzlich war das Wasser da“, erinnert sich auch Karl-Heinz Brandes. Sein 5800 Liter fassender Gastank, gerade frisch gefüllt, riss sich los und kam einige Häuser weiter flussabwärts zum Stehen. Allerdings in einer so unglücklichen Lage, dass die Feuerwehr das Gebiet weiträumig abriegelte, um das Gas kontrolliert entweichen zu lassen, um eine Explosionsgefahr zu verhindern.

Was wieder zu anderen Problemen führte: Silke Olesen etwa kamen deshalb gar nicht mehr an ihr Haus heran, das in diesem Sicherheitsbereich liegt. „Wir waren auf Wandertour im Ahrtal und dachten an nichts Böses, als jemand anrief und sagte: Euer Haus steht unter Wasser“, sagt sie. Wie es um ihr Hab und Gut bestellt ist, kann sie aber auch zwei Stunden später noch nicht sagen, weil sie das Haus nicht in Augenschein nehmen konnte. „Ich habe mir aber sagen lassen, dass das Wasser bis in den ersten Stock hinein steht, und dass sich ein fremdes Auto in unserem Garten befindet“, hebt sie ratlos die Schultern. „Mein Büro ist leider im Untergeschoss, davon dürfte nichts über sein“, trägt sie es nach außen mit Fassung. Sie wird wohl eine ganze Zeit nicht arbeiten können, befürchtet sie, denn nicht nur der Computer dürfte hinüber sein, sondern auch sämtliche Unterlagen. Doch dann bricht es aus ihr heraus: „Ich weiß wirklich nicht, ob wir jetzt noch hierbleiben werden, drei solche Überschwemmungen in sechs Jahren sind einfach zu viel.“ Der Schaden ist nicht nur materieller Art, auch für die Psyche ist das Ganze nicht leicht zu verdauen.

Wegziehen ist auch nicht die Lösung

Wegzuziehen hat sich auch Siegfried Jack schon überlegt, doch diese Idee hatte schnell wieder verworfen. „Was soll ich denn mit meinem Haus machen, das kauft mir doch kein Mensch mehr ab“, weiß er, dass mögliche Kaufinteressenten durch die wiederholte Überschwemmungskatastrophe abgeschreckt werden. „Jetzt ist es endgültig vorbei, selbst wenn wir zwei Häuser zum Preis von einem anbieten.“ Dabei hatte er gerade erst einen größeren Wasserschaden im Haus behoben, der durch eine defekte Leitung verursacht wurde. „Wir waren zehn Wochen draußen und sind erst gestern wieder eingezogen – und dann das.“ Das Wasser stand zwei Meter hoch im Untergeschoss, eine massive Bruchsteinmauer wurde komplett eingerissen und auch ein neuer Carport ist nur noch ein Haufen Schrott. Der stand zum Glück leer, weil das Wohnmobil der Familie, das jetzt leicht schräg vor der Haustür steht, erst morgen dort untergestellt werden sollte.

Dieses winzige bisschen Glück im Unglück hatten viele seiner Nachbarn nicht, deren Autos in ihren Garagen förmlich abgesoffen sind oder gleich ganz von der Strömung mitgerissen wurden. Genau wie bei vielen Familien im „Tönnesgarten“, wo ebenfalls „Land unter“ ist. „Wir haben die Welle auf uns zukommen sehen, aber da war es schon zu spät“, erinnert sich Sabine Bertram. Wie bei vielen anderen in der Straße stand auch bei ihr das Wasser bis in die erste Etage hinein, Wohnzimmer und Küche sind wohl nicht mehr zu retten. Die kleine Küche und das Bad sowie der Hobbyraum im Keller sind ebenso verloren wie die Waschmaschine und der Trockner, die dort stand. Und leider haben auch die beiden Hasen „Pebbles“ und „Bambam“ das Hochwasser nicht überlebt, „ich weiß nicht, wie ich das meinem kleinen Sohn beibringen soll.“

Auch die neue hergerichtete Terrasse und der gerade erst eingebaute kleine Swimmingpool wurden ein Opfer der Wassermassen. „Aber das schlimmste ist der Schlamm, denn es soll ja wieder heiß werden, und dann wird er hart und fängt an zu stinken“, weiß sie aus der Erfahrung der Hochwasserkatastrophen von 2010 und 2013. „Und wahrscheinlich stellen sich auch die Versicherungen quer, genau wie beim letzten Mal“, befürchtet sie. Damals hätten sie und ihr Mann Kredite aufnehmen müssen, um die Schäden an Haus und Hof zu beheben. Sie weiß aber auch, dass der psychologisch schlimmste Moment noch kommt: „Morgen früh wird den allermeisten erst direkt nach dem Aufwachen klar werden, was heute passiert ist und wie viel sie verloren haben.“

Die Aufräumarbeiten werden wohl noch einige Tage dauern, so groß ist die Spur der Verwüstung in dem kleinen Grafschafter Dorf. Ein kleiner Trost für die Betroffenen ist es aber, dass viele Nachbarn und Mitbürger aus Nierendorf schnell mit Schippe, Eimer und Besen bewaffnet bei ihnen vorbeischauen und ohne viele Worte wacker mit anpacken. Denn gemeinsam lässt sich so eine Naturkatastrophe natürlich viel besser bewältigen, weiß man mittlerweile aus Erfahrung.

Die Freiwillige Feuerwehr hat den Ort in überschaubare Abschnitte eingeteilt. Diese werden meist von einer Löschgruppe betreut, und die kommen nicht nur aus der ganzen Grafschaft, sondern aus dem ganzen Kreisgebiet und sogar aus dem benachbarten Rhein-Sieg-Kreis. Jeder verfügbare Traktor und jeder einsatzfähige Radlader ist im Einsatz, und neben der eigentlichen technischen Hilfeleistung ist auch viel psychologische Aufbauarbeit gefragt. Jeder ist sich selbst der Nächste? Davon kann hier nicht die Rede sein. In der Stunde der Not halten den Menschen eben zusammen. -JOST-