Die Oberwinterer „Weinstitze in Eisen“ verband Wohltätigkeit mit Kriegspropaganda

Genagelte Kanne erinnert an Weltkriege

09.07.2019 - 14:26

Oberwinter. Unbeachtet steht sie im alten Rathaus: die „Weinstitze in Eisen“. Dabei ist dieses Objekt bemerkenswert intensiv mit Geschichte aufgeladen. Nur wenige kennen das Oberwinterer Kriegswahrzeichen. Wie Weinstitze? Was für ein Kriegswahrzeichen? Die meisten Zeitgenossen können mit diesen Begriffen wenig anfangen.

Eine Weinstitze bezeichnet zunächst schlicht eine Weinkanne. Aber „in Eisen“? Das bedeutet genagelt. Die Kanne zählt zu den Kriegsnagelungen, die sich ab dem März 1915 von Wien ausgehend während des Ersten Weltkrieges auch rasch in Deutschland ausbreiteten. Sie dienten dazu, Geld für die Unterstützung von Kriegshinterbliebenen zu sammeln. Wer spendete, durfte einen Nagel in ein hölzernes Objekt einschlagen, sodass dieses sich mehr und mehr in ein eisernes wandelte.

Oberwinter betreffend, schrieb der General-Anzeiger für Bonn und Umgebung am 14. November 1915: „Auf Anregung des Herrn Postsekretärs Herr Didier ist als Kriegswahrzeichen der Gemeinde eine Weinstitze (Weinkanne) beschlossen worden. Der Ertrag der Nagelung soll zur Beschaffung der Kriegsbeihülfe für bedürftige Kriegerfamilien unserer Gemeinde verwandt werden. Der Gemeinderat hat einen Betrag von 100 Mk. gestiftet. Bisher sind Kriegsbeihülfe 1200 Mk. hier eingegangen.“ Für die Nagelungen kamen vielfach Eiserne Kreuze, Wehrschilde, Figuren, Stadtwappen und Gegenstände mit Ortsbezug in Betracht. Im Juni 1915 stellte man den „Kölsche Boor en Iser“ vor dem Gürzenich auf (heute Kölnisches Stadtmuseum). Der reiche Kölner Unternehmer Max von Guilleaume, der in Remagen 1895 das Gut Calmuth erwarb, das er zum Jagdschloss umbaute, und 1907 das Schloss Marienfels, hatte die Idee zum Kölsche Boor. Im Oktober wurde der „Eiserne Siegfried von Königswinter“ der Benagelung übergeben. In Bonn weihte man im Dezember desselben Jahres auf dem Münsterplatz die „Arndt-Eiche in Eisen“ unter einem extra geschaffenen Kuppelbau ein. Benannt hatte man das ohnehin nationale Symbol der Eiche nach dem patriotischen Dichter Ernst Moritz Arndt, der für diesen Zweck die geeignete Persönlichkeit zu sein schien, wie der General-Anzeiger tags drauf Festredner Oberbürgermeister Spiritus zitierte: „Eisern war Arndts Zeit, eisern seine Lehren, eisern wurde unsere Zeit, da Neid und Mißgunst unsrer Feinde das stolze deutsche Reich, sein Volkstum zu vernichten drohten.“


Einflussreiche Gönner


Wegen ihres Weinanbaus vor Ort wählten die Oberwinterer mit Rolandseck für ihr Kriegsmal eine Weinstitze. Deren Dimensionen gingen freilich über die einer Durchschnittskanne weit hinaus. Wäre der Krieg einige Jahre später ausgebrochen, hätte die Stitze als Wahrzeichen gar nicht mehr getaugt. Denn der Traubenertrag und der Absatz ließen in Oberwinter bereits in den 1890ern sehr zu wünschen übrig. Obstbäume ersetzten die Reben. Nahm der Weinbau 1910 noch 60 Hektar ein, so schnurrte er Anfang der 1920er-Jahre auf sechs Hektar zusammen.

Von der Zeitung angekündigt, ging die Nagelung des Weinbehältnisses indes am Sonntag, 25. Juni 1916, feierlich vonstatten: „Die Vereine versammeln sich am Krieger-Denkmal, während die Festfeier, die Gemeindevorsteher Decker leitet, im Müllerschen Saale stattfindet. Das Pionier-Bataillon 8 stellt die Musik.“ Im Mittelpunkt stand die gehenkelte, aus Dauben und Eisenreifen gefertigte Kanne. Auf ihr prangte ein Eisernes Kreuz mit dem „W“ für Kaiser Wilhelm II., der Kaiserkrone darüber und darunter 1914 für das Jahr, in dem der Erste Weltkrieg ausbrach. Das später fast vollständig genagelte Kreuz ist umgeben von Plaketten namentlich verewigter Spender größerer Summen. Dazu zählen neben dem Initiator der Aktion „Postvorsteher Didier Rolandseck“ und dem Gemeindevorsteher etwa der „Kriegerverein Oberwinter“, „H. Fuchs Pfarrer u. Familie“, „Königl. Eisenbahnstation Rolandseck“, „Stadt Cöln Erholungsheim“, „Dr. Massen Chefarzt Res.Laz. Rolandseck“, „E. Mummendey“, „H.J. Schloesser“, „A. Sölling und Frau“. Das Schild „Richard u. Tilla von Schnitzler“ benennt die wohl einflussreichsten Gönner: Der Bankier, Industrielle und Mäzen aus Köln hatte in zweiter Ehe Ottilia Henriette Josephine Mumm von Schwarzenstein geheiratet, Tochter des Industriellen und Weingroßhändlers Christian Mumm von Schwarzenstein und Nachfahrin des Gründers der Eau-de-Cologne-Fabrik „Farina gegenüber“.

Ansichtskarten, herausgebracht im Selbstverlag von Didier, halfen, den Ruf des abgebildeten Kriegsmals mit einem Gedicht Rudolf Herzogs zu verbreiten. „Rot war der Wein, den diese Kanne barg und war gewachsen auf der Heimat Scholle / Leer ist die Kanne und die Gabe karg / Doch bringt das Herz sie dar, das übervolle“, so beginnen die Verse. Zwei Kartenvarianten in der Sammlung von Ute Metternich zeigen Kanne und Gedicht einmal mit einer Rolandsecker und das andere Mal mit einer Oberwinterer Ansicht.


Kriegsbegeisterung erhalten


Die Nagelung unterstützte die Witwen und Waisen. Sie stärkte den Gemeinschaftssinn. Vor allem aber der Propaganda dienend, zielte sie an der „Heimatfront“ auf Patriotismus und anhaltende Kriegsbegeisterung. „Ein jeder Nagel in der Kanne Holz / Ein Nagel sei es zu der Feinde Sieg“ endet Herzogs Gedicht. Symbolisch konnte man beim Nageln dem Gegner eins überbraten. Wer einen Nagel einschlug, erhielt ein Gedenkblatt, das allerdings geradezu balsamisch formulierte: „Mit fühlendem Herzen gilt es in eherner Zeit des Krieges Wunden zu heilen und den gefallenen Helden Dank abzustatten für die Errettung des Vaterlandes durch Sorge für ihre Hinterbliebenen, auf daß die Not ihnen den Stolz auf ihre Helden nicht nehme.“ Wie das Blatt „zur immerwährenden Erinnerung an die grosse Zeit für kommende Geschlechter“ diente auch ein „Eisernes Buch“ im aufwendigen ledernen Prägeeinband demselben Zweck. In den meisten Gemeinden gingen die genagelten Kriegsmonumente verloren. Dietlinde Munzel-Everling schreibt in ihrer Abhandlung: „Diejenigen Objekte, die nicht zu Ende genagelt wurden, verschwanden meist sang- und klanglos. Einige wurden in dem harten Kriegswinter 1944/45 zersägt und verbrannt (z.B. in Magdeburg).“

Für Oberwinter-Rolandseck aber sind sowohl das Kriegswahrweichen als auch die zugehörigen Dokumente, Karten, Gedenkblatt und das Buch erhalten. Letzteres befindet sich heute im Stadtarchiv Remagen. Der ehemals in der Schule von Oberwinter aufbewahrte Band mit Einträgen über den Verlauf des Ersten Weltkriegs weist ungeplant auch Spuren des Zweiten Weltkriegs auf. Nach dem Einmarsch der Amerikaner 1945 geriet er in die Hände von Besatzungssoldaten. Stadtarchivar Kurt Kleemann vermutet, „dass sie es waren, die das Eiserne Kreuz aus dem Einband entfernten.“ Augenscheinlich machten sie sich jedenfalls einen Spaß daraus, den Schulstempel mit Adler und Hakenkreuz immer wieder auf die Blätter zu drücken. Die Grafiken im Buch – marschierende Krieger, Trauben als damals noch ortstypisches Gewächs, der Rolandsbogen für Rolandseck und ein Rost als Attribut des heiligen Laurentius, Patron Oberwinters – nahmen sie dankbar als Briefkopf für Zeilen an ihre Liebsten daheim. Einige sind wohl abgeschickt worden, denn es fehlen Seiten, andere kamen nicht über die Anfänge hinaus, versicherten jedoch ihren Angehörigen, dass es ihnen gut gehe.


Brief an Mama und Papa


Unter hängenden Weintrauben und dem Laurentiusrost als Kennzeichen Oberwinters liest man in der Kriegschronik: „Dear Mom + Dad! How are you. I’m okay and I hope you are the same.“ So beginnt der Brief eines amerikanischen Soldaten, der auf Deutsch lautet: „Liebe Mama und Papa! Wie geht es Euch. Mir geht es gut, und ich hoffe, es geht Euch genauso. Ich dachte, ich würde heute Abend wieder schreiben. Ich habe drei Nächte hintereinander geschrieben. Wie gefällt Euch die Unterlage, auf der ich schreibe? Wir wohnen in einem Haus am Rhein, und wir haben ein Radio und hören gerade guten amerikanischen Swing. Macht Euch keine Sorgen um mich. Wir leben jetzt ein ganz leichtes Leben.“

HG

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