Interview mit Ulrike Dobrowolny, Vorsitzende des Hospiz-Vereins Rhein-Ahr e.V.
„Ich wollte nicht nur anderen Menschen helfen, sondern selbst etwas bewegen“
Der Hospiz-Verein bietet 2020 erstmals eine speziell ausgearbeitete Palliative-Care-Schulung an
Bad Neuenahr-Ahrweiler. Zehn Jahre ist Ulrike Dobrowolny Vorsitzende des Hospiz-Vereins Rhein-Ahr und plant mit dem Vorstand für 2020 einen weiteren Entwicklungsschritt. Kaum war sie mit Mitglied im Hospiz-Verein, ist die Diplom-Theologin Vorsitzende geworden.
Das ist jetzt zehn Jahre her. Zum Jahreswechsel blickt Ulrike Dobrowolny auf das vergangene Jahrzehnt zurück, vor allem aber auch voraus auf das bevorstehende Jahr, in dem ein neues Projekt anläuft, mit dem der Hospiz-Verein noch viel mehr Menschen als bisher erreichen und die Versorgungsstruktur im Kreis Ahrweiler wesentlich ausbauen möchte.
Ein Interview mit Ulrike Dobrowolny:
Gleichsam aus dem Stand sind Sie beim Hospiz-Verein eingestiegen und gleich an die Spitze gewählt worden. Wie kam das?
Ulrike Dobrowolny: Ich wollte nicht nur anderen Menschen durch meine Tätigkeit als Supervisorin bei ihrer Tätigkeit helfen, Konflikte in der Seelsorge-Arbeit klären und beraten, sondern auch selbst etwas bewegen. Themen wie Sterben und Tod und auch Leiden halte ich für wichtig. Sie dürfen nicht ausgegrenzt werden in unserer Gesellschaft. Deshalb bin ich Mitglied des Hospiz-Vereins geworden und hatte von vornherein auch die Absicht, aktiv mitzugestalten und mich einzubringen.
Warum sind diese Themen so wichtig?
Ulrike Dobrowolny: Weil Sterben Teil des Lebens ist. Weil angesichts des demografischen Wandels die Herausforderungen nicht weniger werden und weil ich den hospizlich-palliativen Gedanken eines würdevollen Lebensendes ohne Schmerzen, mit einem größtmöglichen Maß an Lebensqualität und Selbstbestimmtheit vertrete. Nicht zu vergessen: Was Menschen sich am Lebensende wünschen, ist nicht Medizin, sondern dass sie nicht alleine sind.
Wieso bewegen diese Themen Sie persönlich so sehr?
Ulrike Dobrowolny: Das hat auch mit meiner Biografie zu tun, in der auch das Thema Leid oft eine Rolle gespielt hat. Meine Mutter und ihre Familie sind aus Ostpreußen geflohen und meine Eltern sind beide an Krebs gestorben. Schon als Jugendliche habe ich in einem Kreis mitgearbeitet, der sich um alleinstehende Menschen gekümmert hat, und wahrscheinlich habe ich auch deswegen Theologie studiert, weil mich die Frage nach dem vom „lieben Gott“ zugelassenen Leid in der Welt beschäftigt hat. Im Studium auch bei „meinem“ Professor Johann Baptist Metz kam immer wieder die Frage auf, wie man nach Auschwitz noch von einem Gott reden kann. Ebenso ging es um die Suche nach einer Gesellschaft, die Verschiedenheit aushalten kann. All das hat mich bewegt und geprägt.
„Eine Bürgerbewegung mit breiter Unterstützung und Bedeutung“
Im vergangenen Jahrzehnt sind auch viele bewegt worden, dem Hospiz-Verein Rhein-Ahr beizutreten ...
Ulrike Dobrowolny: Es freut mich sehr, dass mittlerweile rund ein Prozent aller Bürger im Kreis Ahrweiler Mitglied im Hospizverein ist. Unsere Mitgliederzahl ist in den vergangenen zehn Jahren um mehr als das Doppelte auf fast 1400 angewachsen.
Das zeigt, dass wir wirklich eine Bürgerbewegung geworden sind, die breite Unterstützung und Bedeutung hat. Angesichts von immer mehr Begleitungen, die wir durchführen, zeigt das aber auch, dass das Bedürfnis der Menschen nach hospizlich-palliativer Versorgung groß ist.
Was bedeutete Ihnen die Eröffnung des Hospizes im Ahrtal vor vier Jahren?
Ulrike Dobrowolny: Das war ein Meilenstein, auf den der Hospiz-Verein mehr als 20 Jahre hingearbeitet hat. Für die Notwendigkeit sprechen die extrem hohe Auslastung von rund 97 Prozent und dass dort jedes Jahr mehr als 100 Sterbende und Schwerstkranke auf ihrem letzten Lebensweg begleitet werden. Obwohl wir gesetzlich verpflichtet sind, fünf Prozent der Unterhaltskosten des Hospizes selbst aufzubringen, ist das stationäre Hospiz gut aufgestellt und der Personalschlüssel mit 1,1 Pflegekraft pro Hospizgast einer würdigen Begleitung am Lebensende entsprechend. Das ist nur möglich dank der Unterstützung der Bevölkerung und durch die vielen Einzelspenden von Bürgern und Initiativen.
Da ist es um den Personalschlüssel in Kliniken und Altenpflegeeinrichtungen ganz anders bestellt ...
Ulrike Dobrowolny: Genau. Deshalb geht es uns auch immer um die ambulante Versorgung, die neben der Trauerarbeit ja von Beginn an zu unserem Tätigkeitsfeld gehört und essenzieller Teil unseres Tuns ist. Wir begleiten immer noch dreieinhalb Mal mehr Menschen außerhalb des Hospizes, also bei sich zu Hause oder auch im Krankenhaus oder im Seniorenheim, und haben im vergangenen Jahr Kooperationen mit fast allen diesen Einrichtungen im Kreis Ahrweiler geschlossen.
Und dort soll es im kommenden Jahr Neuerungen geben?
Ulrike Dobrowolny: Ja. Weil die meisten Menschen, auch dank besserer ambulanter Versorgungsmöglichkeiten und daher längerer Verweildauer zu Hause heutzutage erst sehr spät in eine Altenhilfeeinrichtung kommen und dann schon multimorbide, also von vielen Erkrankungen gleichzeitig betroffen sind. Entsprechend sind sie zu versorgen und könnten auch schon hospizlich-palliativ begleitet werden. Die Pflegeeinrichtungen haben uns gebeten, sie an dieser Stelle bei der Ausbildung ihres Personals zu unterstützen, und wir sind gerne Helfer und Begleiter der Einrichtungen.
„Alle, die mit Sterbenden und deren Angehörigen arbeiten, erhalten eine Basisqualifikation“
Wie soll das geschehen?
Ulrike Dobrowolny: Gemeinsam mit Pflegeeinrichtungen, Sozialdiensten und Pflegediensten haben wir überlegt, was ihnen nützt. Deshalb bietet der Hospiz-Verein in 2020 erstmals eine speziell ausgearbeitete Palliative-Care-Schulung für Pflegepersonal, Pflegehelfer und Hauswirtschaftskräfte vor Ort im Kreis Ahrweiler an. Unser Ziel ist, dass alle, die mit Sterbenden und deren Angehörigen arbeiten, eine Basisqualifikation erhalten: die, die direkt in der Pflege arbeiten und alle von der Leitungsebene bis zur Reinigungskraft.
... bis zur Reinigungskraft?
Ulrike Dobrowolny: Ja, weil es sein kann, dass sich jemand mit dieser besser versteht als mit irgendjemandem sonst in seinem täglichen Umfeld. Weil vielleicht jemand, der so oft kommt und absichtslos und unbedarft vom normalen Leben redet, damit auch einen Menschen in einer Einrichtung auf seine Weise erreicht.
Wir möchten das Personal in den Einrichtungen insgesamt ein Stück sicherer in hospizlich-palliativen Fragen machen, dass es sich den Umgang mit Sterbenden mehr zutraut und die Weiterbildung auch als Aufwertung und Bereicherung erlebt. Gleichzeitig werden so viel mehr Menschen hospizlich-palliativ erreicht als es allein durch unsere Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen geschehen kann, auch wenn deren Zahl stetig wächst. Damit machen wir einen qualitativen Sprung und heben unsere Arbeit sozusagen auf eine andere Ebene.
Wie ist die Fortbildung aufgebaut?
Ulrike Dobrowolny: Die Basisqualifikation haben wir ganz neu konzipiert. Sie wird vom Hospiz-Verein finanziert und umfasst insgesamt 40 Stunden.
Weil angesichts des vielerorts herrschenden Personalnotstands kaum eine Einrichtung lange am Stück auf einen Mitarbeiter verzichten kann, wird die Weiterbildung auf zwei Mal zwei und ein Mal einen Tag binnen eines Monats verteilt. Teilnehmer erhalten ein Zertifikat vom Deutschen Hospiz- und Palliativverband und haben damit auch schon das erste von vier Modulen zur Palliative-Care-Ausbildung absolviert. Der erste Kursus im März ist schon ausgebucht. Die Anmeldungen für November laufen.
Zur Person: Ulrike Dobrowolny
Ulrike Dobrowolny stammt aus Erkelenz und hat in Bonn und Münster Theologie studiert. Nach dem Diplom arbeitete sie zehn Jahre als Mentorin für Laientheologen in Bonn an der Universität und ist seit 1993 als Supervisorin beim Bistum Aachen beschäftigt. Seit 2009 ist sie Mitglied im Hospiz-Verein Rhein-Ahr und seitdem auch dessen Vorsitzende. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann Kay Andresen in Remagen.
Pressemitteilung
Hospiz-Verein Rhein-Ahr e.V.
