Buchvorstellung und Lesung in der ehemaligen Synagoge

Rheinische Judenerzählen aus ihrem Leben

Rheinische Juden
erzählen aus ihrem Leben

Matthias Bertram erläutert die Collage, welche er als Frontdarstellung seines Buches nutzte. HG

Rheinische Juden
erzählen aus ihrem Leben

Vor der Lesung sprach Michael Beitman aus Bad Breisig spontan ein Schabbat-Gebet.

Ahrweiler. Matthias Bertram gehört nicht zu denen, die meinen, man sollte die Vergangenheit einmal ruhen lassen. Er interessiert sich für das, was gerade passiert, aber auch für die Vergangenheit und die Menschen, die sie gestaltet und in ihr gelebt haben. Eine überschaubare, indes sehr interessierte Besucherrunde verfolgte jüngst Matthias Bertrams Buchvorstellung in der ehemaligen Synagoge. Der in Dernau geborene Autor hatte 2015 „… in einem anderen Lande - Geschichte, Leben und Lebenswege von Juden im Rheinland“ veröffentlicht und ein berührendes Echo erlebt: Mehr als dreißig Nachkommen ehemaliger jüdischer Bürger der Region kamen aus Argentinien, Australien, Venezuela, USA, Canada Israel und Holland nach Ahrweiler, Dernau, Neuenahr, Siegburg, um vermittels des Buches Spuren der Vorfahren aufzufinden. Beiderseitig suchte man das Gespräch und Begegnungen. Bertram erhielt Kenntnis von Dokumenten der Familie Heymann, die er nun in der Neuerscheinung „... mit ihren eigenen Worten. Rheinische Juden erzählen aus ihrem Leben“ versammelt. Zur Lesung aus begrüßte Klaus Liewald, Vorsitzender des Bürgervereins Synagoge. Zuvor hatte bereits Michael Beitman aus Bad Breisig, begleitet von Ehefrau Martina, spontan ein Schabbat-Gebet gesprochen. Weitere jüdische Gäste waren eine Frau aus Bonn und zwei junge Syrerinnen.

Von Dernau nach Ahrweiler

Bertram ging zunächst auf Juden in Dernau und sehr frühe Hinweise ein, darunter eine hebräische Handschrift in Oxford, die 1616 einen Moses ben Mei, genannt Moses Ternau, als Beisitzer in einem Schiedsgericht in Bonn anführt. Vermutlich handelt es sich um den 1619 in Ahrweiler Ratsprotokollen auftauchenden „Moschel aus Dernau“. Über Jahrhunderte war Dernau die Heimat der großen Familie Heymann. In ihren Häusern befand sich auch die Schule und Synagoge. Durch Napoleons Erlass von 1808 mussten die Juden erstmals feste Familiennamen annehmen. „Heymann“ geht wohl zurück auf Jacob Heymann, der vorher Chaim ben Isaak hieß. Etliche Angehörige zogen später nach Ahrweiler, wie Samuel Heymann 1842, der die Errichtung der Ahrweiler Synagoge beantragte. Andere gingen nach Neuenahr, Siegburg, Euskirchen, Trier und Hamburg.

Das neue Buch gibt Bertram zur Vergegenwärtigung von Geschichte heraus. Er stellte etwa fest, dass „nach 150 Jahren in Dernau vergessen ist, in welchem Haus die Synagoge war“. Drei authentische Texte erinnern an die Familie Heymann und ihr Leben mit den zahlreichen Parallelen zum Leben anderer Juden. Bertram begann mit der Beschreibung des 1922 in Euskirchen geborenen Fritz Heymann. Der Sohn des Ahrweiler Bürgers Josef Heymann, Enkel von Friedrich Wilhelm Heymann aus Dernau, berichtet über seine Jugend in Euskirchen, wie er die „Reichskristallnacht“ erlebte und nach England floh. Dort unter dem Verdacht der Spionage mit anderen Deutschen interniert, konnte er sich für die Übersiedlung in eine Kolonie entscheiden. Ohne das Ziel zu kennen, trat er die gefährliche Reise mit dem englischen Truppentransporter „Dunera“ nach Australien an.

Schwerer Abschied

Von Amalie Adler, geboren Heymann, trug der Autor ein Gedicht vor, in denen sie schmerzlich Abschied von der alten Heimat nimmt. Sie war eine patente Person. Hutmacherin Amalie unterhielt bis zur Heirat mit dem Religionslehrer Jonas Adler ein Geschäft in Neuenahr und eines in Ahrweiler. Politisch interessiert, vermutlich Kommunistin, hatte sie vor 1933 Artikel gegen die Nationalsozialisten veröffentlicht. Als Jüdin floh sie daher schon 1933 mit ihren drei Kindern in die Schweiz und dann nach Israel, während Jonas Adler nachkam. Ihr in Neuenahr geborener Bruder Otto Heymann aber schildert, wie er 1949 nach Israel reiste, Verwandte wiedersah, die den Holocaust überlebten und Probleme, mit denen der junge Staat zu kämpfen hatte.

Zu Fragen aus dem Publikum kam es leider nicht mehr. Denn kurze Unruhe entstand, als eine Syrerin sich über den Davidstern im Boden vor dem Thoravorhang ereiferte. Sie fürchtete, das Symbol könne mit Füßen getreten werden. Liewald sagte, die Argumentation erinnere ihn an die Position gegen Stolpersteine. Er versicherte, die Gestaltung durch die Renovierung sei seinerzeit mit der Denkmalpflege und einer Expertin für jüdische Kunst abgestimmt worden.

Das Buch, ISBN 978-3-95631-571-8, Shaker-Media Verlag, hat 105 Seiten, kostet 9,90 Euro und ist im Buchhandel und Internet erhältlich.