Auch in Andernach wurde der Opfer des Nationalsozialismus gedacht
Völkermord und Euthanasie: Was nicht passte, wurde beseitigt
Andernach. Am 27. Januar waren seit der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch russische Soldaten 75 Jahre vergangen. Dieses Datum, im Jahr 1996 zum jährlichen deutschen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt, gab auch Andernach wieder Anlass zur Mahnung und Erinnerung an die Opfer eines beispiellosen totalitären Regimes. Neben dem Völkermord an rund sechs Millionen europäischen Juden standen an diesem Tag auch die zahlreichen anderen Opfergruppen wie zum Beispiel Homosexuelle sowie Kranke und Behinderte im Fokus – kurzum, all die Menschen, die die nationalsozialistische Ideologie zu Feinden bzw. zu „unwertem Leben“ erklärt hatte. Die Rhein-Mosel-Fachklinik (RMF) und die Stadt Andernach gedachten mit einem Gottesdienst und einer Kranzniederlegung der Opfer des Holocaustes und der weiteren NS-Tötungsverbrechen.
Ein „Reichs-Standard“ für die sexuelle Orientierung
Pfarrer Stefan Dumont (Kath. Pfarreiengemeinschaft), Pfarrer Jürgen Gundalin (Ev. Seelsorge), Pastoralreferent Andreas Bühler, Pflegeschülerinnen und -schüler sowie Dr. Thorsten Junkermann, Kfm. Direktor der RMF, gestalteten den Ökumenischen Gottesdienst in der Klinikkirche St. Thomas, in dem der inhaltliche Schwerpunkt auf dem Schicksal der Opfergruppe „Homosexuelle“ lag. Schwule und bisexuelle Männer wurden vom NS-Regime systematisch verfolgt. Von den 90000 polizeilich erfassten, wurden 50.000 zu Freiheitsstrafen verurteilt. Bis zu 15000, der mit rosafarbenen Stoff-Aufnähern Kategorisierten wurden in Konzentrationslagern inhaftiert. Tausende der Männer wurden umgebracht. Auch lesbische und bisexuelle Frauen hatten unter den Strafmaßnahmen der NS zu leiden. Die Anzahl der internierten bzw. ermordeten Frauen ist jedoch unklar. Die Kriminalisierung homosexueller Männer überdauerte die NS-Diktatur. Der mehr als 100 Jahre alte Schwulenparagraf 175 des Strafgesetzbuches wurde erst 1994 gestrichen.
Einige der rund 70 Gottesdienstbesucher nutzten im Anschluss an den Gottesdienst den bereitgestellten Bus für die Fahrt zum Mahnmal in der Innenstadt. Bevor dort Vertreterinnen und Vertreter der Rhein-Mosel-Fachklinik, der Stadt Andernach, des Landesnetzwerkes Selbsthilfe seelische Gesundheit e.V. sowie des deutsch-israelischen Freundschaftskreises am sogenannten „Spiegelcontainer“, ihre Kränze niederlegten, versicherte Dr. med. Ingo Weisker, Ärztlicher Direktor der RMF: „Wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rhein-Mosel-Fachklinik verneigen uns in tiefer Trauer und Andacht vor den Opfern unserer Geschichte und halten aktiv am Gedenken ihrer Schicksale und denen ihrer Familien fest.“ Seiner Klinik bliebe dieser Gedenktag wichtig, um die Liebe zu den ihr anvertrauten Menschen, Patienten und Bewohnern, wider allen gesellschaftlichen und politischen Vorgaben, als das höchste Heilungsprinzip in all ihrem Tun aufrechtzuerhalten.
Auch die Bäckerjungenstadt hatte keine „reine Weste“
Auf einer Infotafel neben dem „Spiegelcontainer“, der auf dem Grundstück der Evangelischen Gemeinde, an der Hochstraße aufgestellt wurde, ist in drei Sprachen zu lesen: „Im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms wurden zwischen 1941 und 1944 aus der gesamten Rheinprovinz fast 2.000 Menschen über die Andernacher Heil- und Pflegeanstalt in den Tod geschickt.
An die, die spurlos zum Verschwinden gebracht werden sollten, wird in diesem Mahnmal mit der Nennung ihrer Namen erinnert. 1996 wurde das Mal von Bürgerinnen und Bürgern initiiert und errichtet.“ Der von seinem äußeren Eindruck Anstoß erregende rostige Container, ist das Ergebnis eines Projekts des Andernacher Bertha-von-Suttner-Gymnasiums.
Auf den Innenseiten des Mahnmals blickt man auf die Namen der Getöteten, die auf Spiegelwände geschrieben sind. Wer diese liest, sieht auch in sein eigenes Gesicht. Geschichtlicher Hintergrund: Auf dem Areal der ehemaligen „Provinzial Heil- und Pflegeanstalt“ findet sich heute die Rhein-Mosel-Fachklinik. Die damals im Volksmund genannte „Irrenanstalt“ diente in den genannten Jahren als „Zwischenanstalt“ für die Tötungsanstalt Hadamar. Hunderte Insassen starben in der Anstalt selbst und mehr als 1800 Menschen wurden von der Anstalt aus zur Tötung ins mittelhessische Hadamar gebracht bzw. deportiert. Mit dem Ende der Geheim-Aktion verlagerte sich das Morden, indem man die Opfer in andere, im Osten gelegene Anstalten deportierte, wo sie verhungerten bzw. mit Medikamenten vergiftet wurden.
Leider ist eine Erinnerungs- oder Mahntafel am Standort der ehemaligen Zwischenanstalt bis heute nicht zu finden. Von den grauenhaften Geschehnissen blieb damals aber auch das Leben der Andernacher, jüdischen Glaubens, nicht verschont. Die schicksalhafte Geschichte dieser Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in der Stadt bis ins Mittelalter zurückreicht, setzte sich in der Zeit des Nationalsozialsozialismus abscheulich fort. 1933 lebten noch 135 jüdische Mitbürger in der Stadt. Es war das Jahr der Einweihung ihrer Synagoge in der Moltkestraße / Ecke Güntherstraße. Nur gut fünf Jahre stand dort das Zentrum jüdischer Frömmigkeit und Begegnung, das in der Pogromnacht 1939 durch SA-Leute niedergebrannt wurde. Lebten damals noch 34 jüdische Personen in Andernach, registrierte man 1941 nur noch 14. Die Letzten von ihnen wurden 1942 deportiert. Am ehemaligen Standort der Synagoge steht heute ein Wohnhaus. Eine Gedenktafel erinnert hier an die Schrecken der damaligen Zeit. „Stolpersteine“ in den Straßen der Altstadt lassen die Namen von Opfern aufleben.