Zwei zunächst glücklich verlaufene Emigrationen endeten tragisch

Moritz u. Rosalie Fröhling, deren Tochter Herta und ihre Familie wurden deportiert

21.04.2023 - 14:54

Thür/Walhorn. Als für das Thürer Jubiläumsbuch 2012 über das Leben der einst hier lebenden Juden recherchiert wurde, da war selbst in Gesprächen mit einigen Zeitzeugen über die Familie Fröhling noch nicht allzu viel bekannt. Im Archiv der VG Mendig waren auch nur einige Vermerke zu dem in der Hagelstraße angesiedelten Metzger vorhanden. Man musste annehmen, dass Moritz F. zunächst noch die nationalistischen Repressalien gegen die Juden nicht so recht als Bedrohung eingeschätzt hatte, denn noch 1937 nahm er in seinem Betrieb bauliche Veränderungen vor. Doch nach den Pogromen im Nov. 1938 schien es ihm selbst in ihrem ansonsten überschaubaren Dorf persönlich nicht mehr sicher zu sein. Zunächst wurde ihm ein Antrag auf Ausreise wegen Bedenken der Gestapo abgelehnt. Doch dann gelang ihm die Emigration nach Belgien, wo er sich in Astenet, nahe der deutschen Grenze, niedergelassen haben soll. In Thür war damals aber auch bekannt, dass die Familie in späteren Jahren deportiert und getötet worden ist.


Neuere Erkenntnisse


Am 5.11.2022 erschien in der Rhein-Zeitung ein Artikel über eine Stolpersteinverlegung im belgischen Walhorn. Bei der Vielzahl solcher Verlegungen in Deutschland stellte dies allein zunächst mal nichts Besonderes dar. Doch, als man beim Lesen auf die Namen ehemaliger Thürer Juden stieß, wurde dies ein unerwarteter, möglicher Ansatz zur Fortschreibung des 2012er Berichtes. In dem erwähnten Zeitungsartikel waren auch die Veranlasser der Stolpersteinverlegung, Frau M. Kelleter und Herr N. Cormann, aufgeführt, so dass eine Kontaktaufnahme in die Wege geleitet werden konnte. Es hatte sich herausgestellt, dass starke Überschwemmungen im Sommer 2021 auch in der Stadt Vervier der Anlass waren, Akten zu evakuieren. Dabei wurden im dortigen Justizpalast umfangreiche Unterlagen u. a. auch über die ehemaligen Thürer Juden gefunden, die bisher unbekannte Fakten zu deren Schicksal nach der Emigration aus dem Deutschen Reich enthielten. Es erfolgte eine intensive Auswertung der gefundenen Akten durch die beiden Regionalhistoriker.


Familie Herta Joseph geb. Fröhling


Herta Fröhling, geb. 1912 in Thür, wohnte im hessischen Hohensolms, nachdem sie Julius Joseph, geb. 1906, ebenfalls jüdischen Glaubens, dort geheiratet hatte. Schon 1934 bemühte sich das Ehepaar um Reisepässe und zog im Juni 1937 mit einem Drei-Monats-Visum in die Gemeinde Walhorn, Belgien. Hier erwarben sie ein schönes Anwesen, betrieben dort offenbar erfolgreich Landwirtschaft und einen Viehhandel. 1938 wurde ihr erstes Kind Marcel geboren. Als 1939 Moritz und Rosalia aus Thür ebenfalls nach Belgien emigrierten, verbürgten sie sich die Tochter und Schwiegersohn, die Eltern in ihrem neuen Zuhause aufzunehmen und versicherten, dass diese nicht der Gemeinde zur Last fallen würden.

Julius Joseph geriet 1940 kurzfristig unter Spionageverdacht, so dass er für einige Tage im Gefängnis Lüttich verbrachte. 1941 wurde er von der Gemeinde abgemeldet, nachdem er in das Arbeitslager Walheim bei Stolberg eingeliefert worden war. Im Juni 1942 erfolgte die Deportation nach Majdanek/Sobibor. Am 30.6.1942 überstellte man Julius vom KZ Lublin nach Auschwitz, wo er die Gefangenen-Nr. 43922 zugeteilt bekam. Die Ehefrau Herta Joseph verblieb zunächst in Walhorn. Herta soll aber 1941 oder 1942 noch ein zweites Kind zur Welt gebracht haben, welches sie „Sohn“ nannten, aber aus welchem Grunde auch immer, nicht beim Standesamt angemeldet wurde. Später wurde auch Herta J. deportiert.


Moritz und Rosalia Fröhling, geb. Meyer


Im Juni 1939 melden sich die Fröhlings bei der Amtsverwaltung Mendig ab, welche ihnen auch ihre bisherige Thürer Wohnanschrift und gleichzeitig ein bis dahin straffreies Leben bescheinigten. Sicherlich war die Tatsache, dass die Tochter und der Schwiegersohn bereits in Belgien wohnten, auch für Moritz und Ehefrau das Argument, für ihre Emigration ebenfalls das Nachbarland zu wählen. Ende Juni kamen Moritz und seine Frau Rosalia in der Limburgischen Gemeinde Leopoldsburg, Belgien, zur Anmeldung. Doch, da Moritz und Frau hier kein nachweisbares Einkommen deklarieren konnten, wurden sie von der Verwaltung aufgefordert, die Gemeinde zu verlassen. Welch ein Einschnitt: in Thür galt Moritz F. vor seiner Emigration als wohlhabend, denn, so Zeitzeugen, er sei der Erste gewesen, der in Thür ein eigenes Auto besaß.

Doch, wie erwähnt, wurden beide von der Tochter und Schwiegersohn in deren Heim aufgenommen. Hier konnten die Fröhlings noch ein paar Jahre leben, ehe sie dann laut belgischen Zeugen im März 1942 an einem Sonntag aufgegriffen und zum Sammelpunkt nach Aachen, Westpark, gefahren wurden. Ob beide in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz eingeliefert wurden, ist nicht bekannt. Aber die Ehefrau Rosalia war mit Sicherheit in diesem Lager, denn eine Karte von dort erreichte die in Belgien noch verbliebene Tochter Herta, in der Rosalia mitteilte, dass sie wie wohl viele andere auch an Kälte und Hunger sterben würden. Rosalia lebte offenbar noch einige Zeit hier, denn eine 2. Karte erreichte die Tochter Herta auch noch zwei Monate später erneut.

Bemerkenswert sind die Aktionen zur Erinnerung im belgischen Walhorn, wo man für eigene und aus Deutschland emigrierte, ehemalige jüdische Mitbürger etliche Stolpersteine setzen ließ. So findet man dort u. a. sechs Steine vor, zwei mit dem Namen der Thürer Fröhlings, vier mit den Daten der Familie Fröhling-Joseph. Doch damit ließen es die Walhorner Akteure nicht bewenden: man wandte sich an die Ortsgemeinde Thür, besuchte diese im Januar 2023, tauschte Erkenntnisse aus und besichtigte, was auch hier - in der ursprünglichen Heimat der Fröhlings – zur Mahnung und Erinnerung errichtet wurde. Blick-aktuell berichtete im Januar d. J. von dem Besuch der Belgier in Thür.

Franz G. Bell

Artikel bewerten

rating rating rating rating rating
24.04.2023 22:58 Uhr
Monique Kelleter

Vielen Dank für den schönen Bericht, Herr Bell. Zwei Schicksale, die in Thür begannen, konnten in Walhorn zu Ende geschrieben werden. Durch unseren Besuch in Thür konnten wir den Ort besuchen, in dem die Familie Fröhling lange glücklich leben durfte, bis die schwarze Pest sie zur Flucht ins Nachbarland zwang. Wir gedenken ihres Schicksals in den Stolpersteinen, die am 30.11.2022 für sie in Walhorn verlegt wurden. Wir freuen uns auf Ihren Rückbesuch in Walhorn.
Ihre Monique Kelleter



Kommentare können für diesen Artikel nicht mehr erfasst werden.
Stellenmarkt
Weitere Berichte

Geldautomatensprengungen in Andernach und Montabaur

Polizei schnappt Automatensprenger: 20-Jähriger erbeutete mehrere hunderttausend Euro

Region. Nach einer Serie von Geldautomatensprengungen führten die Staatsanwaltschaft und die Polizei Köln am Morgen des 24. April Durchsuchungen in mehreren Privatwohnungen und Büros in Köln, Rheinbach und Heimerzheim sowie in einer Justizvollzugsanstalt in Nordrhein-Westfalen durch. Die umfangreichen Ermittlungen konzentrierten sich auf einen 20-jährigen Mann, der seit Februar 2024 in Haft ist und eine Strafe für ein Raubdelikt verbüßt. mehr...

Angeklagte sollen Frau schwer misshandelt, zur Prostitution gezwungen und getötet haben

Nach Mord im Koblenzer Rotlichtmilieu: Anklage gegen zwei Personen erhoben

Koblenz. Wie die Staatsanwaltschaft Koblenz mitteilt, wurde nach dem Tötungsdelikt im Koblenzer Rotlichtmilieu vergangenen November nun Anklage gegen eine 40-jährige Frau und einen 48 Jahre alten Mann (beide bulgarischer Nationalität) erhoben. Den beiden Beschuldigten wird zur Last gelegt, eine mit ihnen zusammenlebende 31-jährige Bulgarin grausam und aus niedrigen Beweggründen getötet zu haben.... mehr...

Regional+
 

Verkehrsunfallflucht in Leimbach- Zeugenaufruf

B257, Leimbach. Am Samstag, den 27. April, gegen 19:55 Uhr, ereignete sich auf der B257, zwischen Leimbach und Niederadenau eine Verkehrsunfallflucht. In diesem Zusammenhang befuhr ein Motorrad die B257 aus Fahrtrichtung Leimbach kommend in Fahrtrichtung Niederadenau. Auf Höhe der sog. Birnbachsmühle wurde das Motorrad von insgesamt vier Fahrzeugen, allesamt der Marke Porsche, überholt. Bei dem durchgeführten... mehr...

Vollbrand eines PKW sowie Brand mehrerer Fahrräder und Mülltonnen

Mehrere Brände in Sinzig

Sinzig. In den Morgenstunden des 28. April kam es gegen ca. 3:15 Uhr im Bereich des Bahnhofsvorplatzes in Sinzig zu mehreren Bränden von Fahrzeugen. Hierbei geriet unter anderem ein PKW in Vollbrand. Darüber hinaus wurden Mülleimer und Fahrräder in Brand gesetzt. mehr...

Anzeige
 
Sie müssen angemeldet sein, um einen Leserbeitrag erstellen zu können.
Weitere Berichte
B 42 Kestert - Verkehrsunfall mit schwerverletztem Kradfahrer

B 42 Kestert - Verkehrsunfall mit schwerverletztem Kradfahrer

Montabaur. Ein 37-jähriger Kradfahrer befuhr die B42 aus Richtung Kamp-Bornhofen in Richtung Kestert und übersah, vermutlich bei einem versuchten Überholmanöver, den entgegenkommenden Kastenwagen. Wahrscheinlich versuchte er noch zu bremsen und wieder auf seine Fahrspur zu gelangen. mehr...

Einbruch in Getränkemarkt

Einbruch in Getränkemarkt

Andernach. Im Zeitraum vom 26. April 18:30 Uhr, bis 27. April 8:50 Uhr, kam es in einem Getränkemarkt in der Koblenzer Straße, in Andernach zu einem Einbruch. Der/die unbekannte(n) Täter brachen die Vordertüre auf und verschaffte(n) sich so Zugang zum Markt. mehr...

FWG Andernach e.V. lädt ein

Infostände am 4. und 11. Mai

Andernach. Die Freie Wählergruppe Andernach e.V. (FWG) lädt die Bürgerinnen und Bürger von Andernach zu ihren Infoständen ein. Diese finden am 4. und 11. Mai am Historischen Rathaus in Andernach statt. mehr...

Erfolgreiche Saisoneröffnung

TC Rengsdorf

Erfolgreiche Saisoneröffnung

Rengsdorf. Jüngst startete der TC Rengsdorf in die Saison. Viele Interessierte jeden Alters fanden den Weg zu dem Verein, um den Tennissport einmal auszuprobieren oder um wieder einzusteigen. Alle SpielerInnen... mehr...

Jetzt für Läufe der LG Rhein-Wied anmelden

Andernach/Neuwied. Die Saison der Laufveranstaltungen beginnt, und damit auch die Anmeldephase für die Großveranstaltungen der LG Rhein-Wied. Der „Deichlauf präsentiert von Rhodius“ (Freitag, 14. Juni)... mehr...

LESETIPPS
GelesenNeueste
Kommentare
Ralf Dutine:
Hansen, die für meine Statistik wichtigste Info war dabei ;-)...
Hansen:
Korrektur: Das war grausanste Folter und ein Femizid. Benennt es als das, was es ist. Wir schreiben das Jahr 2024 und nicht 1980....
Anonym:
Ich begrüße das Urteil ebenso und ja, ich kenne die Dame hier persönlich und nein, ich habe nie gegen sie gewettert. ABER ihre Anhänger sollten auch einmal die Augen öffnen! Sie sei ja immer so transparent und wenn man helfen durfte, ging es im Sommer NUR um die Bewässerung der Außenanlage zur Straße...
Andrea könig:
Ich verfolge die Geschichte um Liane schon lange und verstehe nicht, wie man auf solche, zum Teil hirnrissigen und unverschämten, Verleumdungen hereinfallen kann. Es kann nicht sein, dass die Gerichte sich nicht selbst vor Ort informiert haben. Liane führt seit mindestens 15 Jahren den Hof mit viel...
Cornelia Lachmuth:
Für mich klingt das nach Befangenheit. Nie gab es Probleme dort. Alle Kontrollen waren, selbst 4 Monate zuvor, noch in Ordnung. Ich kenne den Hof und habe selber keine tierschutzrelevanten Mängel erkennen können. Viele andere Leute vom Fach, ebenfalls nicht. ...
Claudia Krahe-Abel:
Es darf keine Impfpflicht geben! Das Grundrecht auf die Unversehrtheit des Körpers muss dringend gewahrt werden! Jeder Mensch muss selbst entscheiden dürfen was er in seinen Körper spritzen lässt oder nicht. Und es darf keine Diskriminierungen geben. Jeder muss Verantwortung für sich selbst und seine...
Haftnotiz+
aktuelle Beilagen
Inhalt kann nicht geladen werden

 

Firma eintragen und Reichweite erhöhen!
Service