Allgemeine Berichte | 20.04.2023

Zwei zunächst glücklich verlaufene Emigrationen endeten tragisch

Moritz u. Rosalie Fröhling, deren Tochter Herta und ihre Familie wurden deportiert

Moritz u. Rosalia Fröhling – 1939 in Gemeinde Leopolsburg, Belgien, aufgenommen.  Quelle: Franz G. Bell

Thür/Walhorn. Als für das Thürer Jubiläumsbuch 2012 über das Leben der einst hier lebenden Juden recherchiert wurde, da war selbst in Gesprächen mit einigen Zeitzeugen über die Familie Fröhling noch nicht allzu viel bekannt. Im Archiv der VG Mendig waren auch nur einige Vermerke zu dem in der Hagelstraße angesiedelten Metzger vorhanden. Man musste annehmen, dass Moritz F. zunächst noch die nationalistischen Repressalien gegen die Juden nicht so recht als Bedrohung eingeschätzt hatte, denn noch 1937 nahm er in seinem Betrieb bauliche Veränderungen vor. Doch nach den Pogromen im Nov. 1938 schien es ihm selbst in ihrem ansonsten überschaubaren Dorf persönlich nicht mehr sicher zu sein. Zunächst wurde ihm ein Antrag auf Ausreise wegen Bedenken der Gestapo abgelehnt. Doch dann gelang ihm die Emigration nach Belgien, wo er sich in Astenet, nahe der deutschen Grenze, niedergelassen haben soll. In Thür war damals aber auch bekannt, dass die Familie in späteren Jahren deportiert und getötet worden ist.

Neuere Erkenntnisse

Am 5.11.2022 erschien in der Rhein-Zeitung ein Artikel über eine Stolpersteinverlegung im belgischen Walhorn. Bei der Vielzahl solcher Verlegungen in Deutschland stellte dies allein zunächst mal nichts Besonderes dar. Doch, als man beim Lesen auf die Namen ehemaliger Thürer Juden stieß, wurde dies ein unerwarteter, möglicher Ansatz zur Fortschreibung des 2012er Berichtes. In dem erwähnten Zeitungsartikel waren auch die Veranlasser der Stolpersteinverlegung, Frau M. Kelleter und Herr N. Cormann, aufgeführt, so dass eine Kontaktaufnahme in die Wege geleitet werden konnte. Es hatte sich herausgestellt, dass starke Überschwemmungen im Sommer 2021 auch in der Stadt Vervier der Anlass waren, Akten zu evakuieren. Dabei wurden im dortigen Justizpalast umfangreiche Unterlagen u. a. auch über die ehemaligen Thürer Juden gefunden, die bisher unbekannte Fakten zu deren Schicksal nach der Emigration aus dem Deutschen Reich enthielten. Es erfolgte eine intensive Auswertung der gefundenen Akten durch die beiden Regionalhistoriker.

Familie Herta Joseph geb. Fröhling

Herta Fröhling, geb. 1912 in Thür, wohnte im hessischen Hohensolms, nachdem sie Julius Joseph, geb. 1906, ebenfalls jüdischen Glaubens, dort geheiratet hatte. Schon 1934 bemühte sich das Ehepaar um Reisepässe und zog im Juni 1937 mit einem Drei-Monats-Visum in die Gemeinde Walhorn, Belgien. Hier erwarben sie ein schönes Anwesen, betrieben dort offenbar erfolgreich Landwirtschaft und einen Viehhandel. 1938 wurde ihr erstes Kind Marcel geboren. Als 1939 Moritz und Rosalia aus Thür ebenfalls nach Belgien emigrierten, verbürgten sie sich die Tochter und Schwiegersohn, die Eltern in ihrem neuen Zuhause aufzunehmen und versicherten, dass diese nicht der Gemeinde zur Last fallen würden.

Julius Joseph geriet 1940 kurzfristig unter Spionageverdacht, so dass er für einige Tage im Gefängnis Lüttich verbrachte. 1941 wurde er von der Gemeinde abgemeldet, nachdem er in das Arbeitslager Walheim bei Stolberg eingeliefert worden war. Im Juni 1942 erfolgte die Deportation nach Majdanek/Sobibor. Am 30.6.1942 überstellte man Julius vom KZ Lublin nach Auschwitz, wo er die Gefangenen-Nr. 43922 zugeteilt bekam. Die Ehefrau Herta Joseph verblieb zunächst in Walhorn. Herta soll aber 1941 oder 1942 noch ein zweites Kind zur Welt gebracht haben, welches sie „Sohn“ nannten, aber aus welchem Grunde auch immer, nicht beim Standesamt angemeldet wurde. Später wurde auch Herta J. deportiert.

Moritz und Rosalia Fröhling, geb. Meyer

Im Juni 1939 melden sich die Fröhlings bei der Amtsverwaltung Mendig ab, welche ihnen auch ihre bisherige Thürer Wohnanschrift und gleichzeitig ein bis dahin straffreies Leben bescheinigten. Sicherlich war die Tatsache, dass die Tochter und der Schwiegersohn bereits in Belgien wohnten, auch für Moritz und Ehefrau das Argument, für ihre Emigration ebenfalls das Nachbarland zu wählen. Ende Juni kamen Moritz und seine Frau Rosalia in der Limburgischen Gemeinde Leopoldsburg, Belgien, zur Anmeldung. Doch, da Moritz und Frau hier kein nachweisbares Einkommen deklarieren konnten, wurden sie von der Verwaltung aufgefordert, die Gemeinde zu verlassen. Welch ein Einschnitt: in Thür galt Moritz F. vor seiner Emigration als wohlhabend, denn, so Zeitzeugen, er sei der Erste gewesen, der in Thür ein eigenes Auto besaß.

Doch, wie erwähnt, wurden beide von der Tochter und Schwiegersohn in deren Heim aufgenommen. Hier konnten die Fröhlings noch ein paar Jahre leben, ehe sie dann laut belgischen Zeugen im März 1942 an einem Sonntag aufgegriffen und zum Sammelpunkt nach Aachen, Westpark, gefahren wurden. Ob beide in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz eingeliefert wurden, ist nicht bekannt. Aber die Ehefrau Rosalia war mit Sicherheit in diesem Lager, denn eine Karte von dort erreichte die in Belgien noch verbliebene Tochter Herta, in der Rosalia mitteilte, dass sie wie wohl viele andere auch an Kälte und Hunger sterben würden. Rosalia lebte offenbar noch einige Zeit hier, denn eine 2. Karte erreichte die Tochter Herta auch noch zwei Monate später erneut.

Bemerkenswert sind die Aktionen zur Erinnerung im belgischen Walhorn, wo man für eigene und aus Deutschland emigrierte, ehemalige jüdische Mitbürger etliche Stolpersteine setzen ließ. So findet man dort u. a. sechs Steine vor, zwei mit dem Namen der Thürer Fröhlings, vier mit den Daten der Familie Fröhling-Joseph. Doch damit ließen es die Walhorner Akteure nicht bewenden: man wandte sich an die Ortsgemeinde Thür, besuchte diese im Januar 2023, tauschte Erkenntnisse aus und besichtigte, was auch hier - in der ursprünglichen Heimat der Fröhlings – zur Mahnung und Erinnerung errichtet wurde. Blick-aktuell berichtete im Januar d. J. von dem Besuch der Belgier in Thür.

Franz G. Bell

Julius, Herta u. Marcel Joseph. Foto: Jean Joseph, Brüssel

Julius, Herta u. Marcel Joseph. Foto: Jean Joseph, Brüssel

Moritz u. Rosalia Fröhling – 1939 in Gemeinde Leopolsburg, Belgien, aufgenommen. Quelle: Franz G. Bell

Leser-Kommentar
24.04.202322:58 Uhr
Monique Kelleter

Vielen Dank für den schönen Bericht, Herr Bell. Zwei Schicksale, die in Thür begannen, konnten in Walhorn zu Ende geschrieben werden. Durch unseren Besuch in Thür konnten wir den Ort besuchen, in dem die Familie Fröhling lange glücklich leben durfte, bis die schwarze Pest sie zur Flucht ins Nachbarland zwang. Wir gedenken ihres Schicksals in den Stolpersteinen, die am 30.11.2022 für sie in Walhorn verlegt wurden. Wir freuen uns auf Ihren Rückbesuch in Walhorn.
Ihre Monique Kelleter

Neueste Artikel-Kommentare
  • Ursula Schmitz : gasthofuschi@gmail.com
  • Michael Bezner: Wieso nennt ihr ihr diese Brücke eigentlich "Namedybrücke"? Klar, die läuft über Namedy, aber soweit ich weiß, lautet der offizielle Name "Krahnenbergbrücke". jedenfalls findet man unter Namedybrücke...

Quiz: Wie gut kennt ihr den Lukasmarkt in Mayen?

  • Heike Gondorf : 10 von 10 richtig ???? Wo kann ich meinen Gewinn abholen?????
Dauerauftrag
Dauerauftrag 2025
Maschinenbediener
Stellenanzeige Fahrer
Medizinstudenten/innen (w/m/d)
Stellenanzeige - diverse Stellen
Anzeige Andernach
TItelanzeige
Empfohlene Artikel

Neuwied. In Neuwied wird die Rheinstraße ab Montag, dem 27. Oktober, wegen Sanierungsarbeiten voll gesperrt. Die Servicebetriebe Neuwied (SBN) planen, den Straßenbelag im Abschnitt zwischen der Friedrichstraße und Pfarrstraße zu erneuern.

Weiterlesen

Andernach. Die Katholische Familienbildungsstätte Andernach e.V. bietet im Oktober 2025 verschiedene Kurse an. Am Mittwoch, 29. Oktober 2025, beginnt um 9:00 Uhr der Kurs Babymassage unter der Leitung von Jasmin Heuft. Einen Tag später, am Donnerstag, 30. Oktober 2025, startet um 17:30 Uhr das Angebot Teen-Yoga für Kinder ab der 5. Klasse, das von Nicole Schneider geleitet wird.

Weiterlesen

Weitere Artikel

Bürgermeister Jung zu Besuch in der Heinrich-Heine-Realschule plus

Frag doch mal den Neuwieder Bürgermeister

Neuwied. Was bewegt Jugendliche in Neuwied? Was wünschen sie sich für Ihre Stadt – und wo sehen sie Handlungsbedarf? Regelmäßig stellt sich Bürgermeister Peter Jung im Format „Frag doch mal den Bürgermeister“ den Fragen junger Menschen in der Deichstadt. Zuletzt besuchte er dazu die Heinrich-Heine-Realschule plus (HHR), um mit Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse ins Gespräch zu kommen – über das, was sie bewegt, was sie stört und was sie sich für ihre Stadt wünschen.

Weiterlesen

Andernach. Am Samstag, 08.11.2025 um 15:30 Uhr lädt die Stadtbücherei Andernach zu einer Lesung zum 150. Geburtstag von Rainer Maria Rilke unter dem Titel „ Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“ ein. Freuen Sie sich auf eine Lesung mit Texten und Musik. Rezitation: Ralf Buchinger und Gesang: Elena Gontscharowa. In dieser Lesung lässt der Sprecher und Rezitator Ralf Buchinger noch einmal die bekanntesten Texte Rilkes akustisch vortanzen.

Weiterlesen

Kreishandwerkerschaft
Essen auf Rädern
Dauerauftrag
Illustration-Anzeige
Imageanzeige
Daueranzeige
Anzeige zu Video Wero
Stellenanzeigen
Anzeige neues Logo - 5 Jahre BIG Bett in Ahrweiler
Stellenanzeige Reinigungskraft in Teilzeit gesucht
Daueranzeige "Rund ums Haus"
Stellenanzeige Hartkorn Gewürzmühle GmbH
Titel
Stellenanzeige
Stellenanzeige
Rund ums Haus