Erinnerungsort Bahnhof Koblenz-Lützel
Ein Beitrag wider das Vergessen
Christlich-Jüdische Gesellschaft (CJG) Koblenz präsentierte zur „Woche der Brüderlichkeit“ neue Gedenktafel
Koblenz-Lützel. Ein schlichtes Blechschild im Stil der Bahnschilder, schwarze Schrift auf weißem Hintergrund, soll erinnern an die Deportationen der 870 jüdischen Mitbürger in den Jahren 1942 und 1943, die die Reichsbahn vom Bahnhof Koblenz-Lützel aus durchführte. Es hängt gegenüber der zu Gleis 1 und 2 führenden Treppe. Die wenigen Worte darauf weisen hin auf das Grauen dieser Zeit, das nur einige wenige überlebten.
In einer Feierstunde auf dem Bahnsteig wurde die Gedenktafel nun der Öffentlichkeit übergeben. Zwei Hornisten der Musikschule Koblenz, Christian Jung und Jakob Rensinghoff, verliehen dem Augenblick mit ihren Musikstücken eine emotionale Atmosphäre. Die beinahe im Minutentakt während des Festaktes am Bahnsteig vorbeirauschenden Züge leisteten einen eigenen Beitrag zur Authentizität des Ortes. Von hier aus, damals war es noch ein Güterbahnhof, erfolgten in meist gedeckten Güterwagen die vom NS-Regime angeordneten Verschleppungen der jüdischen Mitbürger nach Izbica, Auschwitz und in andere Ghettos und Vernichtungslager des Ostens. Menschenunwürdig waren die Zustände während der langen Fahrten in den rund 24 Quadratmeter großen Waggons, die mit sechzig bis einhundert Personen hoffnungslos überfüllt waren. Zudem mussten die Verschleppten Hunger leiden, und die sanitären Bedingungen waren unbeschreiblich.
Durch gemeinsames Erinnern und Erzählen zeichne sich die jüdisch-christliche Brüderlichkeit aus, sagte Pfarrer Wolfgang Hüllstrung von der evangelischen Kirchengemeinde Koblenz-Lützel mit Blick auf die beginnende „Woche der Brüderlichkeit“, die schon seit 1952 jährlich stattfindet und große Bedeutung für die Erinnerungskultur hat. Das gemeinsame Gedächtnis bilde die Grundlage für das Erzählen der Geschichte, das Verarbeiten und Deuten des Vergangenen - gerade an Erinnerungsorten wie dem Lützeler Bahnhof. Hüllstrung erinnerte an die Deportationen verschiedenster Opfergruppen, wie beispielsweise Sinti und Roma, Kommunisten oder Homosexuelle. Speziell erinnerte er aber natürlich an die sechs organisierten Juden-Deportationen, die von diesem Ort aus geschahen. Vier Pfennig pro Person habe der Transport je Streckenkilometer gekostet, ab vierhundert Personen habe es fünfzig Prozent Rabatt gegeben. Es sei kaum zu glauben, dass sich dieses große Drama der menschenverachtenden Politik der Nationalsozialisten in dem scheinbar neutralen, rein technischen Instrument der Reichsbahn abspielte. Besonders ergriffen zeigten sich die knapp einhundert, dem Festakt Beiwohnenden, als der Pfarrer von einer Deportation erzählte, die zwar nicht in Koblenz, aber am Trierer Bahnhof begann. Von dort aus wurde Heinz Kahn 1943 nach Auschwitz verschleppt. Er durchlitt den Holocaust - er überlebte ihn. Seit 1987 war er Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz, Anfang Februar 2014 starb er im Alter von 91 Jahren. In Gedenken an ihn legte die Festgemeinde eine Schweigeminute ein. Der sie unterbrechende Lärm passierender Züge weckte abermals Assoziationen an die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte.
Gern schlossen sich die Teilnehmer der Feierstunde dem Wunsch an, den Hans-Werner Schlenzig, Vorsitzender der CJG, aussprach. Die heute in West-Europa herrschende Freiheit möge in Zukunft allen Juden in vollem Sinn erhalten bleiben. Die Vielfalt der Religionen und Weltanschauungen möge fruchtbar werden für ein gutes Miteinander aller Menschen, sagte er in Anlehnung an das Jahresthema der CJG „Freiheit - Vielfalt - Europa“.
All denjenigen, die ihren Beitrag dazu leisten, dass die Menschen nicht vergessen werden, die das Leid ertragen mussten, und ihn dazu leisten, dass so etwas nie wieder geschieht, sprach Inna Belzmann, Vorstandsmitglied der Jüdischen Kultusgemeinde, ihren Dank aus. Kantor Joseph Pasternak und Pater Alban Rüttenauer schlossen alle Holocaust-Opfer in ihre Gebete ein und mahnten, die Augen vor dem Leiden der Völker nicht zu verschließen, nicht heute und nicht in der Zukunft.
Neben dem Gedenkschild im Bahnhof Lützel erinnert ein bereits im November der Öffentlichkeit übergebenes LED-Laufband im Hauptbahnhof an die Opfer der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus. Für das gesamte, von der CJG als „Menetekel“ bezeichnete Gedenkprojekt, für das etwa 4.000 Euro aufgewendet werden, sammelte der Verein Spenden im Anschluss der Gedenkfeier. Einen maßgeblichen Beitrag zu dem Projekt leisteten die Sinti mit dem später am Tag in der Synagoge abgehaltenen Benefizkonzert mit Django Reinhardt.
Die Tafel am Lützeler Bahnhof erinnert an die Deportation Koblenzer Juden während des NS-Regimes.
