Förderverein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V. zeigt
Ein bewegendes und bewegtes Leben
Neue virtuelle Ausstellung widmet sich dem Kommunisten, Gewerkschafter und Künstler Hugo Salzmann
Koblenz. Viel weiß inzwischen über die Verbrechen der Nationalsozialisten. Gleichwohl ist nur wenigen etwas darüber bekannt, was der NS-Terrorapparat vor Ort in Koblenz anrichtete. Auch hier gab es die gefürchtete Geheime Staatspolizei. Ab etwa 1936 hatte sie als „Gestapo(leit)stelle“ ihren Sitz in dem ehemaligen Gebäude der Reichsbank „Im Vogelsang 1-3“. Sie war vom Polizeipräsidium abgetrennt und formal dem Regierungspräsidium Koblenz angegliedert. Tatsächlich unterstand sie nur dem preußischen Ministerpräsidenten Göring bzw. dem Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) in Berlin. Als Gestapo(leit)stelle war sie nicht nur für den Regierungsbezirk Koblenz, sondern für sämtliche Regierungsbezirke der damaligen Rheinprovinz zuständig, also auch für Köln, Düsseldorf, Aachen und Trier. 1939 wurde die Leitstelle dann nach Düsseldorf verlegt, sodass die Koblenzer Gestapo „nur“ noch für den Regierungsbezirk Koblenz zuständig war.
Informationen über diesen regionalen Terrorapparat gibt es nur sehr wenige, sind doch fast alle Akten der Koblenzer Gestapo vernichtet und vermitteln auch die Nachkriegsprozesse gegen Gestapoleute nur einen eingeschränkten Blick auf sie. Da sind natürlich Berichte von Zeitzeugen, die Opfer dieser Gestapo waren, eine wichtige und weiterführende Erkenntnisquelle.
Jetzt ist es dem stellvertretenden Vorsitzenden des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V. Joachim Hennig gelungen, eine solche Quelle zu erschließen und öffentlich zu machen. Die Tochter dieses Zeitzeugen, Julianna Salzmann aus Frankfurt/Main, machte Hennig den Nachlass ihres Vaters Hugo Salzmann zugänglich. Darin befand sich ein eingehender Bericht Salzmanns über seine Auslieferung durch die französischen Sicherheitsbehörden an die Gestapo und seine Verschleppung in das Gefängnis Koblenz. Dort saß er von Anfang Februar 1942 bis Mitte Februar 1943 in Gestapohaft ein.
Zuvor hatte der damals 40-jährige Salzmann bereits ein sehr bewegtes und bewegendes Schicksal hinter sich gebracht. Als Sohn eines Glasbläsers engagierte er sich schon früh in der Gewerkschaft und in der kommunistischen Jugend, war Betriebsratsvorsitzender und örtlicher KPD- und Gewerkschaftsfunktionär sowie Stadtrat von Bad Kreuznach.
Den Nazis war Salzmann so verhasst, dass sie ein Attentat auf ihn verübten und unmittelbar nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 auf Plakaten mit der Parole „Tot oder lebendig“ nach ihm fahndeten. Durch den selbstlosen Einsatz Kreuznacher Juden konnte er nach Paris fliehen und seine Frau Julianna mit ihrem ein halbes Jahr alten Sohn nachholen. Mittel- und zunächst auch erwerbslos schlugen sie sich durch. Bald gelang es ihm, bei der (kommunistischen) Emigrantenleitung für den Literaturvertrieb zuständig zu sein.
Bei Kriegsbeginn 1939 wurde Salzmann - wie zahlreiche deutsche Kommunisten - als „gefährlicher Ausländer“ festgenommen, inhaftiert und dann in das Konzentrationslager Le Vernet in Südfrankreich verschleppt. Nach zweijähriger Haft lieferte ihn die Vichy-Regierung an die deutsche Gestapo aus; diese brachte ihn in das Gefängnis von Koblenz.
Dort kümmerte sich der katholische Gefängnispfarrer Paul Fechler um ihn mit den Worten: „Herr Salzmann, ich komme nicht, um sie zur katholischen Kirche zurückzuholen. Nein, ich kenne Ihren ganzen Lebenslauf. Ihre Frau hat es mir erzählt. Ein Jahr lang befand sie sich Ihnen gegenüber in der Abteilung Frauengefängnis. Zehn Tage, im Januar 1942, bevor Sie hierher kamen, hat man sie in ein KZ gebracht. Ich wollte sie warnen vor einer Gestapoagentin, aber sie wollte nicht mit mir sprechen. Erst als sie verraten war, kam ich zu ihr. Zu spät. Die Gestapo benutzt eine frühere Tänzerin und jetzt verheiratete Marquise unter dem Deckmantel einer Emigrantin für ihre Zwecke, verlegt sie in Zellen von politisch verhafteten Frauen; diese gibt sich als Leidensgenossin aus, um deren Vertrauen zu gewinnen. Sie stellt Fragen - wenn sie genügend zur Belastung gehört hat, teilt sie es der Gestapo mit. Dann legt man sie aus der Zelle zu einem anderen Opfer. Dafür erhält die Agentin die Lebensmittelpäckchen von der Gestapo, die die Angehörigen den Verhafteten schicken. Die Agentin hat Ihre Frau ausgefragt und dann bei der Gestapo denunziert. Bei der Vernehmung ihrer Frau durch die Gestapo hat sie nichts bestritten. Das genügte - für das KZ.“
Durch diese autobiografischen Aufzeichnungen, durch Briefe Salzmanns aus dem Gefängnis Koblenz, Fotos und Dokumente wird seine Haft in Koblenz sehr anschaulich.
Salzmann berichtet auch von Vernehmungen durch die Gestapo - aber keinen Folterungen. Man veranlasste ihn zu Schriftproben. In dem Hochverratsprozess vor dem Volksgerichtshof in Berlin konnte man ihn anhand der Proben nicht überführen, sodass er „nur“ zu acht Jahren Zuchthaus wegen Tätigkeit für die Emigrantenpresse in Paris verurteilt wurde. Er verbüßte die Strafe im Zuchthaus Butzbach, bis er durch die Amerikaner befreit wurde.
Anschließend kehrte er nach Bad Kreuznach zurück. Er musste erfahren, dass seine Frau Julianna im Frauen-KZ Ravensbrück unter elenden Umständen „umgekommen“ war. Danach machte er in Bad Kreuznach politisch und gewerkschaftlich dort weiter, wo er vor seiner Flucht vor den Nazis hatte aufhören müssen. Er heiratete erneut, aus dieser Ehe stammt die Tochter Julianna, die nach seiner „umgekommenen“ Frau genannt wurde.
Mit dem KPD-Verbot verlor Salzmann seine Mandate im Stadtrat und im Kreistag - und auch seine politische Heimat. In dieser Leere entdeckte er das Schnitzen, das er in Le Vernet begonnen hatte, für sich wieder neu. Er wurde zu einem regional bekannten und geschätzten „Hobbykünstler“, dessen Arbeiten oft ausgestellt wurden. 1979 starb er in Bad Kreuznach.
Seinen Nachlass hat Joachim Hennig jetzt zusammen mit Salzmanns Tochter Julianna gesichtet, aufbereitet und daraus eine sehr umfangreiche, authentische und plastische Biografie erarbeitet. Als virtuelle Ausstellung im Internet umfasst sie rund 400 Seiten Text mit vielen meist privaten Fotos, Dokumenten, Landkarten, Schaubildern und Statistiken. Sie wird präsentiert auf der Homepage des Fördervereins Mahnmal Koblenz: www.mahnmalkoblenz.de - und ist im Gegensatz zu herkömmlichen Ausstellungen rund um die Uhr und sogar vom Sessel aus zu betrachten.
