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Eine Reise durch den Winter des Lebens
Kunstprojekt beleuchtet Armut und Ausgrenzung in Koblenz
Koblenz. Die raue Stimme von Radiomoderatorin Stefanie Tücking klingt durch die bis auf den letzten Platz gefüllte Christuskirche in Koblenz. An diesem Abend spricht Tücking nicht für sich selbst - sie verleiht ihre Stimme an die, die sonst kaum gehört werden. Obdachlose, Gestrandete, an den Rändern der Gesellschaft Lebende, Ausgegrenzte. Gemeinsam mit der „Männerstimme“, Schauspieler Helmut Krauss, sowie Sängerinnen, Sängern und Instrumentalisten nimmt sie die Zuschauer mit auf eine Reise: Die „Koblenzer Winterreise“. Das Kunstprojekt des Frankfurter Künstlers und Journalisten Stefan Weiller verbindet die Geschichten von wohnungslosen und sozial ausgegrenzten Menschen mit dem Liederzyklus „Winterreise“ des Komponisten Franz Schubert und des Poeten Wilhelm Müller.
Es sind Stimmen von 13 wohnungslosen Männern und Frauen aus Koblenz, die Weiller in Einzelinterviews aufgeschrieben hat und die vom Leben auf der Straße erzählen. Schauspieler Helmut Krauss, unter anderem Synchronsprecher von Marlon Brando oder Jean Reno, erweckt diese Geschichten zum Leben. Er erzählt von einem Mann auf der Straße, der dringend Geld für Alkohol braucht. Harter Entzug auf der Straße könne zum Kreislaufkollaps führen, sagt er. Da hilft das gut gemeinte Brötchen einer Passantin wenig, die ihm kein Geld für Alkohol geben will. Es sind solche Einblicke, die den vorbeigehenden Menschen auf der Straße wohl oft verborgen bleiben. Ein ehemaliger Gefängnisinsasse, der seine Strafe verbüßt hat, den aber niemand als Mieter haben will. Die Frauen, denen Tücking ihre Stimme gibt, haben teilweise früher Gewalt oder Missbrauch erlebt. Eine andere wollte nach ihrem Burnout einfach raus aus ihrem Leben. Sie sei eine intellektuelle Spinnerin, die eine andere Lebensform ausprobiert habe. In die Stimmen mischen sich die von der Romantik geprägten Gedichte Müllers, die Schubert mal in Dur, mal in Moll 1827 vertonte.
„Die Winterreise erzählt von Sinnsuche, Einsamkeit, Ausgrenzung“, sagt Weiller. Dabei sei keine Winterreise gleich. „Jede Stadt hat ihre eigenen Geschichten und Schicksale und in jeder Stadt gibt es deshalb ein ganz neues Konzept.“ Die Winterreisen seien Dokumentation, Liederabend, Konzert und Lesung zugleich - eine Mischung aus Sozialarbeit und Kunst. Susanne Schneider, Leiterin der Fachkonferenz Sozialpastoral des Dekanats Koblenz, sagte bei der Begrüßung: „Das Projekt legt den Finger in die Wunde, es stellt die Menschen in den Mittelpunkt, die in unserem Gemeinwesen keinen Platz haben.“ Schneider hat Weillers Kunstprojekt nach Koblenz geholt. Es biete die Chance, ohne Klischees die Trauer und Angst wohnungsloser Menschen wahrzunehmen und gesellschaftliche Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. „Unser größter Dank gilt den Menschen, die bereit waren, Stefan Weiller aus ihrem Leben zu erzählen.“ Und so stimmt die Aussage eines der Koblenzer Wohnungslosen vielleicht am Ende der Veranstaltung nicht ganz: „Erzählen Sie keine Romane, wenn Sie ein Bettelschild schreiben. Kein Mensch will ihre Story hören.“ Weiller möchte genau das - die Story hören und sie den Zuschauern weitererzählen.
Beim Projekt wirkten außerdem mit: Christina Schmid (Sopran), Dirk Schneider (Bariton), Theodore Browne (Tenor), Eva-Maria Hodel (Orgel), Hedayet Djeddikar (Klavier) und das „ensemble mandacarú“ unter Leitung von Benno C. Brands. Unterstützt wurde das Projekt von den Fachberatungsstellen der Caritas Koblenz, der Sozialtherapeutischen Einrichtung „Steg“ und dem Sozialberatungsverein „Die Schachtel“.
