Der Bunte Kreis Rheinland informiert zum Welt-Frühgeborenen-Tag am 17. November
„Ich habe erst viel später realisiert, dass ich ein Baby verloren hatte“
 
            Region. Jaqueline ist schwanger mit Zwillingen, ihr Mann, der vierjährige Sohn und sie freuen sich sehr auf doppelten Familienzuwachs. Doch eineiige Zwillinge teilen sich während der Schwangerschaft eine Plazenta. Manchmal sind die Gefäßverzweigungen darin so ungünstig verteilt, dass ein Zwilling zu viel Nährstoffe bekommt und der andere zu wenig, das Fetofetale Transfusionssyndrom. Auch Jaqueline musste diese Erfahrung in ihrer Schwangerschaft machen.
Wann wurden erste Auffälligkeiten diagnostiziert?
Relativ früh in der Schwangerschaft stellten die Ärztinnen/stellt die Ärztin eine eineiige Zwillingsschwangerschaft fest. Erst viel später wurde klar, dass ein Fötus unter- und der andere überversorgt ist. Da ein Zwilling zu klein und zu leicht war, bekam der andere viel mehr Blut und Nährstoffe, als er verarbeiten konnte. Herz und Lunge liefen auf Hochtouren und auch das kann gefährlich werden. Alle zwei Wochen musste ich daher zur Kontrolle nach Frankfurt in eine Spezialklinik.
Wie ging es dann für Sie weiter?
Zunächst sah alles gut aus, doch die Werte wurden mit der Zeit immer schlechter. Mein behandelnder Arzt bereitete mich darauf vor, dass die Kinder vermutlich früher geholt werden müssten. Irgendwann wurden die Herztöne des kleineren Zwillings immer leiser und die Versorgung nahm immer mehr ab. Daher wurde ich in der 26. Schwangerschaftswoche stationär ins Krankenhaus aufgenommen. Ab dann hieß es warten und darauf hoffen, möglichst weit mit der Schwangerschaft zu kommen. Geschafft haben wir allerdings nur weitere vier Tage.
Wie ging es den beiden nach der Geburt?
Der stärkere Zwilling Marlon hatte ein Geburtsgewicht von 840 Gramm. Der Kleiner, Leano, wog nur 680 Gramm. Beide kamen sofort auf die Neugeborenen-Intensiv-Station, ich wurde auf die Wöchnerinnen-Station verlegt. Marlon hatte zwar auch kleinere Probleme, doch bei Leano kamen jeden Tag neue Diagnosen hinzu. Zum Schluss versagten mehrere Organe auf einmal. Zehn Tage nach seiner Geburt ist er friedlich in unseren Armen eingeschlafen.
Wann durften Sie Marlon nach Hause holen?
Erst nach vier Monaten. Sie haben ihn mit Monitor zur Sauerstoffüberwachung und Medikamenten für seine Lunge entlassen. Er hatte damals noch ein kleines Loch im Herzen und einen beidseitigen Leistenbruch, der operiert werden musste. Ich bin jeden Tag anderthalb Stunden ins Krankenhaus gefahren, was schon ein ziemlicher Kraftakt war. Ich hatte ständig ein schlechtes Gewissen meinem älteren Sohn gegenüber und war sehr dankbar dafür, dass seine Großeltern ihn immer aus dem Kindergarten abholten und auch sonst sehr für uns da waren. Anfangs habe ich nur funktioniert. Ich musste eine Beerdigung organisieren, unseren Haushalt managen und meine Partnerschaft wollte ich auch nicht vernachlässigen. Ich hatte das Gefühl, niemandem so richtig gerecht werden zu können. Erst viel später habe ich wirklich realisiert, dass ich ein Baby verloren hatte. Ab da habe ich mir psychologische Hilfe gesucht.
Hat Ihr älterer Sohn die Situation verstanden?
Wir gehen regelmäßig zusammen auf den Friedhof. Als Leano beerdigt wurde, haben wir ihm erzählt, dass sein Bruder im Himmel ist. Er hat lange Zeit gefragt, wann er wieder runterkommt, da Flugzeuge ja auch im Himmel seien und immer wieder auf der Erde landen würden. Er hat einen unbefangenen, spielerischen Umgang damit gefunden. Er freut sich, wenn wir Leanos Grab besuchen, weil er dort „arbeiten“ und gießen darf. Ich denke, er ist noch zu jung, um wirklich zu begreifen, dass er eigentlich zwei Brüder hätte.
Wie hat Sie der Bunte Kreis Rheinland unterstützt?
Noch im Krankenhaus haben die Krankenschwestern die Verbindung hergestellt und die Nachsorgeschwester kam unmittelbar nach Marlons Entlassung zu uns nach Hause. Ihr gutes Zureden und ihre positive Art haben mir sehr geholfen. Darüber hinaus natürlich auch ihre Hilfe bei Terminabsprachen mit Ärzt*innen und ihre Empfehlungen für Therapien. Sie hat mir auch die Psychologin vermittelt.
Wie geht es Marlon und Ihnen heute?
Marlon entwickelt sich komplett altersgerecht, auch von seiner Motorik her. Er fängt an zu laufen und zu brabbeln und auch mit dem Essen haben wir keine Probleme. Manche Frühchen haben vom langen Tragen der Katheter Schluckbeschwerden, aber Marlon überhaupt nicht. Er hat das alles wirklich gut weggesteckt. Bei mir ist es tagesformabhängig. Manchmal stelle ich mir schon vor, wie es wäre, wenn jetzt drei Kinder durch unser Haus toben würden, aber meist bin ich sehr glücklich darüber, dass wir diese Zeit überstanden haben und es uns allen so gut geht.
 
            Foto: Bunter Kreis Rheinland
 
  
             
             
            
 
               
               
               
              