Katastrophenszenario an Wand gemalt
„Im Tal der Ahnungslosen ? “
Workshop der Hochwasserpartnerschaft Nördlicher Mittelrhein in Koblenz
Koblenz. Als „Tal der Ahnungslosen“ bezeichnete Dipl.-Ing. Ralf Schernikau vom Mainzer Umweltministerium den nördlichen Mittelrheingraben. Schon die Hochflut im Jahr 1993 mit 9,50 Metern am Pegel Koblenz habe für einen Ausnahmezustand gesorgt. „Ab 10,17 Meter ist es ein Jahrhunderthochwasser, und ein Extremhochwasser hat am Pegel Koblenz 12,35 Meter. Das kann hier passieren, doch darauf sind wir nicht vorbereitet, weil niemand damit rechnet“, sagte der Ingenieur bei einem Workshop der „Hochwasserpartnerschaft Nördlicher Mittelrhein“. Das ist eine von 20 Partnerschaften in Rheinland-Pfalz, zu der Rheinanlieger-Kommunen zwischen Koblenz und der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen gehören.
Extremhochwasser ist auch am oberen Mittelrhein möglich
So begrüßte der Koblenzer Oberbürgermeister Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig nicht nur zahlreiche Bürgermeister, Vertreter von Kreisverwaltungen und SGD-Nord-Präsident Ulrich Kleemann, sondern auch die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken (Bündnis 90/Die Grünen). Sie zog nach zwei Jahren Hochwasserpartnerschaft „Nördlicher Mittelrhein“ eine positive Bilanz: „In der Zusammenarbeit zeigt sich, wie Kommunen sich erfolgreich gemeinsam gegen Hochwasser wappnen können. Unser Ziel ist, vom Hochwasser bedrohte Städte und Gemeinden am nördlichen Mittelrhein dazu zu bewegen, den Hochwasserschutz zum Thema zu machen, die Bürgerinnen und Bürger zu informieren und die öffentliche und private Eigenvorsorge in Gang zu setzen“, sagte Höfken und weiter: „Die Hochwasserkatastrophen an Donau und Elbe in diesem Frühjahr haben gezeigt, dass Extremhochwasser jederzeit möglich sind. Auch wenn wir am Rhein weitgehend verschont geblieben sind - Ähnliches kann auch bei uns passieren. Dafür müssen wir Vorsorge treffen.“
Hochwasserschutz ist dringlich für die Landesregierung
In den vergangenen 20 Jahren habe Rheinland-Pfalz als vergleichsweise kleines Land rund 900 Millionen Euro in Hochwasserschutzanlagen und -vorsorgemaßnahmen investiert. „Und wir werden in diesem Sinne weiter machen. Hochwasserschutz ist und bleibt ein Schwerpunkt der Landesregierung“, versicherte die Ministerin.
Unter der Moderation des Koblenzer Beigeordneten und Baudezernenten Martin Prümm wurden die Schutzdämme in Neuendorf, Ehrenbreitstein, Andernach sowie die Planungen in Vallendar und Leutesdorf genannt. Die Hochwasserpartnerschaften, die vom Informations- und Beratungszentrum Hochwasservorsorge (ibh) in Mainz unterstützt und koordiniert werden, kümmern sich unter anderem um kommunale Planungen, Abstimmung der Alarm- und Einsatzpläne, wirken bei übergeordneten Planungen mit, informieren Rheinanlieger bezüglich der Bauvorsorge, erstellen Gefahrenkarten, beraten über Risikoabsicherung der Versicherungen bzw. Rücklagen und wollen das Bewusstsein der Öffentlichkeit für den Hochwasserschutz sensibilisieren. Während die Partnerschaften nur eng regional agieren, arbeitet die Hochwassernotgemeinschaft Rhein e.V. (HWNG) überregional. Unter Vorsitz des Andernacher Oberbürgermeisters Achim Hütten, der ebenfalls am Workshop in Koblenz teilnahm, vertreten die Mitglieder, das sind über 60 Kommunen, mehr als eine Million betroffener Einwohner. Die Folgen eines Extremhochwassers, das im nördlichen Mittelrheingraben eine Katastrophe wäre, verdeutlichte Ralf Schernikau in einer Powerpointpräsentation. Bei einem Pegel von 12,35 Metern wäre die Hälfte aller Koblenzer Stadtteile ebenso wie die gesamte Altstadt und die komplette Insel Oberwerth überflutet. Das Wasser würde sogar am Koblenzer Rathaus stehen.
Die Folgeschäden der Flut abmildern
Angesichts dieses Szenarios versprach Martin Prümm, ebenso wie die Vertreter weiterer Kommunen, nach Lösungen zu suchen, wie die Folgen abgemildert werden können. Genau das ist es, was Schernikau und auch die Ministerin forderten: „Man kann Hochwasser nicht verhindern, aber die Folgen abmildern, wenn man entsprechend vorbereitet ist.“ Bei kleinerem Hochwasser können Überflutungen durch technische Maßnahmen wie Schutzdämme verhindert werden. Beim Extremhochwasser wären die wirkungslos. Dann würde die Flut sogar den Neuwieder Deich übersteigen und die komplette Innenstadt unter Wasser setzen, für Neuwied ein Katastrophenszenario.
Prognosen sind genauer geworden
Laut Schernikau können die Hochwasserpolder am Rhein - die letzten werden in Baden-Württemberg erst 2030 fertig, obwohl ihr Bau schon 1980 vereinbart wurde - ein Jahrhunderthochwasser um höchstens 35 Zentimeter senken. „Der Mensch ist selbst schuld, weil rücksichtslos Hochwasserflächen bebaut wurden“, kritisierte der Fachmann. Dennoch: „Solidarität wird am Rhein groß geschrieben, wie die Hochwasserpartnerschaft Nördlicher Mittelrhein zeigt. Denn Hochwasserfolgen mindern kann nur von allen Betroffenen, dem Land, den Kommunen und den Bürgern gemeinsam bewältigt werden“, so der Referent. Dazu zählten auch die Prognosen der Pegelstände. „Früher waren Hochwasserprognosen indifferent, heute sind sie aufgrund komplexer Berechnungen ziemlich genau. Für Betroffene ist das wichtig, damit sie nicht panikartig oder zu spät reagieren“, betonte Oberbürgermeister Hofmann-Göttig und dankte Umweltministerin Höfken. Zufrieden mit der Tagung zeigte sich Ralf Schernikau, denn die anwesenden Vertreter der Kommunen erklärten, was sie konkret in Sachen Hochwasserschutz vorhaben. Das reicht von den Einsatzplänen für Stege und Boote, hier ist die Hilfe der Bundeswehr weggebrochen, bis hin zum Ausfall von Kommunikationsmittel und Elektrizität. „Auf zwei Meter Wasser über unseren kleinen Hochwasserschutz sind wir nicht vorbereitet, und was zu tun ist, wenn die Stromversorgung abgesoffen ist, wissen wir auch noch nicht“, skizzierte der Andernacher Oberbürgermeister Achim Hütten die Probleme der Kommunen.
Gespräche im Rahmen der Hochwassertagung in Koblenz (v. l.): Ulrich Kleemann, Ministerin Ulrike Höfken, Koblenzer Oberbürgermeister Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig, der Koblenzer Baudezernent Martin Prümm und Achim Hütten, Oberbürgermeister von Andernach.
