Koblenzer Café Philosophique
Nach uns die Sintflut?
Die Diskussionsrunde wurde im April von Philosoph Markus Melchers moderiert
Koblenz-Ehrenbreitstein. Sokrates träumte auf dem Marktplatz in Athen seinerzeit noch davon, Marc Sautet (1947-1998) ließ es wahr werden. Er gründete 1992 in Paris das erste Philosophische Café. Seither schießen sie wie Pilze aus dem Boden, weltweit sollen es etwa eintausend sein. Der französische Philosoph war es auch, der mit einer Moderation in Düsseldorf 1997 das erste deutsche Café für Philosophie-Liebhaber eröffnete. Erfahrungen mit diesem Café sollen Dr. Mathias Jung dazu veranlasst haben, den Anstoß für eine Gründung auch in Koblenz zu geben, erklärt der Organisator und Mitbegründer des Diskussionsforums, Dr. Hartmut Bierschenk. Am 6. August 2000 gründete er zusammen mit Jung und den Philosophen Dr. Andreas Michel, Dr. Eduard Zwierlein und Markus Melchers das Café Philosophique, das immer am ersten Sonntag im Monat stattfindet. Die ersten hundert Zusammenkünfte fanden im Konradhaus statt, seitdem trifft sich ein Teilnehmerkreis von durchschnittlich etwa vierzig Personen in „Diehl’s Hotel“.
Frauen und Männer aller Altersgruppen kommen aus dem Großraum Koblenz zusammen, um zwei Stunden lang unter Moderation monatlich wechselnder Philosophen über Themen wie „Dankbarkeit“, „Rache“, „Einsamkeit“ oder „Apokalypse“ unter vielseitigen Aspekten zu diskutieren. Die nun 154. Veranstaltung moderierte Markus Melchers, ein philosophischer Praktiker, der mit „Sinn auf Rädern“ ansonsten auch Hausbesuche für Gespräche über Hoffnungen, Erwartungen und Ansichten anbietet. Vorgegeben war als Diskussionsthema „Nach uns die Sintflut?“. Die Runde eröffnete und schloss Melchers jeweils mit thematisch passenden Zitaten großer Denker, wie beispielsweise das der österreichischen Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach: „Gleichgültigkeit jeder Art ist verwerflich, sogar die Gleichgültigkeit gegen uns selbst.“
Disziplinierte Gesprächskultur
Bierschenk weiß zu schätzen, wie sehr sich das Philosophische Café in Koblenz durch eine disziplinierte Gesprächskultur der Teilnehmer auszeichnet. Und tatsächlich spricht hier nur derjenige, der nach Meldung dazu aufgefordert wird. Niemand spielt sich in den Vordergrund. Obwohl es ein offenes Diskussionsforum ist und eine philosophische Vorbildung nicht erforderlich sein soll, hört man doch heraus, dass es nicht nur Lebenserfahrung ist, die hier in die Runde eingebracht wird. Mit Kant und seinem Kategorischen Imperativ sollte man zumindest etwas anfangen können.
Nachhaltigkeit des Handelns
Schnell war an diesem Tag allen klar, dass das „Sintflut“-Thema auf die Nachhaltigkeit des eigenen Handelns abzielte. Daraus ergaben sich Fragen, die manchen stark irreal und damit nicht beantwortbar erschienen. Wie verantwortlich kann, will und sollte der Mensch handeln, für wen und warum? Ist der Mensch nicht selbst vielleicht die Sintflut? Die einen meinten, nur das Kollektiv könne etwas bewirken, die anderen sagten, es befriedige und beglücke sie, selbst daran mitzuarbeiten, dass die Welt lebens- und liebenswert sei.
Melchers kommentierte die Beiträge kaum, bewertete sie nicht, stellte höchstens einmal eine Gegenfrage. Er moderierte, sich selbst dabei zurücknehmend, provozierte mit Aussagen und Fragen aber immer wieder, um die Diskussion weiter zu beleben oder in die Richtung zu lenken, die sie nehmen sollte, um fruchtbar zu sein. So fragte er: „Tragen wir Verantwortung auch für Personen, die noch gar nicht geboren sind? Wenn ja, worauf gründet sie?“ „Bin ich zu verantwortlichem Handeln verpflichtet? Warum?“ Die Philosophie-Freunde begrüßten diese Fragen offenbar, denn sie führten in Denk-Ebenen, die ohne diese Anstöße vielleicht nicht erreicht worden wären. Die einen forderten respektvollen Umgang mit der Welt, sie sei doch nur geliehen. Andere waren der Überzeugung, die „Sintflut“ sei nicht zu vermeiden, und würde man noch so verantwortlich handeln. Die meisten waren sich einig darüber, man müsse jetzt und hier zeigen, dass es sich lohne, mit Moral und Ethik für die Welt einzutreten, man könne aber nicht für eine entfernte Zukunft von Hunderten von Jahren Verantwortung übernehmen. Einige überlegten gar, ob es nicht schädlich für den Einzelnen sei, an allem Anteil zu nehmen und jede Konsequenz des eigenen Handelns zu bedenken.
Melchers Denkanstöße wurden zunehmend ethisch, moralisch. „Haben die jetzt noch nicht Geborenen ein Recht auf Zeugung, speziell im Hinblick auf Ressourcenknappheit und eine bis zum Ende des Jahrhunderts womöglich auf 16 Milliarden und mehr Menschen explodierende Weltbevölkerung?“ „Wäre es ein moralisch legitimierbarer Versuch, die Menschenanzahl an die vorhandenen Ressourcen anzupassen?“ In dem Zusammenhang fällt der Begriff „metaphysische Präsenz zukünftiger Generationen“.Als ein Teilnehmer dann äußerte: „Ihre Rede war so erschlagend, ich wollte eine viel banalere Sache sagen“, holte das die Diskussion aus dem Exkurs in das allzu Wissenschaftliche schnell zurück. Eine Teilnehmerin fand in Anbetracht der Vielzahl der aufgekommenen Fragen einen schönen Schlusssatz: „Es muss doch sehr anstrengend sein, Philosoph zu sein!“ Bierschenk als Organisator bedankte sich für die souveräne und kluge Moderation bei seinem philosophischen Mitstreiter Melchers. Darüber hinaus galt Bierschenks Dank besonders den Teilnehmern für ihre anregenden Diskussionsbeiträge. Eine Zeitlang wurde nach der Veranstaltung in kleinen Gruppen zum Teil intensiv weiter diskutiert. Beim nächsten Mal, wenn Prof. Dr. E. Zwierlein das Thema „Buddenbrooks: Verfall einer Familie“ moderieren wird, wollen die meisten wiederkommen. Mehr Informationen zum Café Philosophique erhält man im Internet unter www.cafe-philo.de oder bei Dr. Hartmut Bierschenk, Tel. (02 61) 3 66 36
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