Redaktionsgespräch mit der Bundestagsabgeordneten Andrea Nahles

„Die SPD wird Motor und selbstbewusster Partner in der Regierung sein!“

„Die SPD wird Motor und selbstbewusster Partner in der Regierung sein!“

Quelle: Susie Knoll

Sinzig. Die rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Andrea Nahles (SPD) aus dem Wahlkreis Ahrweiler / Mayen nimmt Stellung zu aktuellen politischen Fragen von Chef-Redakteur Hermann Krupp. Als Arbeitsministerin hat die Vollblutpolitikerin aus Weiler in der Eifel in der vergangenen Legislaturperiode einige wichtige sozialdemokratische Themen auf den Weg gebracht, wie z.B. den Mindestlohn. Jetzt hat sie Verantwortung als Fraktionsvorsitzende übernommen und sie soll im April zur neuen Parteivorsitzenden der SPD gewählt werden. Doch vorher steht noch der Mitgliederentscheid an.

BLICK aktuell: Frau Nahles, wie ist derzeit Ihr Stress-Pegel? Sind Sie schon urlaubsreif?

Andrea Nahles: An Urlaub war in den letzten Monaten nicht zu denken. Ich kämpfe mit all meiner Kraft um jede Stimme unserer Mitglieder für eine Regierungsbildung. Jede Stimme zählt!

BLICK aktuell: Viele erwarten ein knappes Ergebnis der Mitgliederbefragung zur Großen Koalition. Wie ist die Stimmung bei den SPD-Mitgliedern? Was macht Sie zuversichtlich?

Andrea Nahles: In den vielen Gesprächen, die ich mit den Genossinnen und Genossen an der Basis geführt habe, konnte ich immer wieder spüren: Niemand macht sich die Entscheidung leicht, alle nehmen ihre Verantwortung ernst. Das macht mich zuversichtlich, denn wir haben mit dem Koalitionsvertrag sehr gute Ergebnisse erkämpft, dieses Land zum Besseren voran zu bringen.

BLICK aktuell: Was reizt Sie am Amt der SPD-Parteivorsitzenden? Die Verweildauer der Vorsitzenden war ja in den letzten Jahren nicht sehr lange…

Andrea Nahles: Das ist eine große Ehre und auch eine große Verantwortung – die ich aber nicht alleine auf mich nehme, das schaffen wir nur in einem guten Team. Wenn wir in die Regierung gehen, haben wir zwei zentrale Aufgaben: Erstens den Menschen in Deutschland eine gute Regierung zu stellen. Zweitens die Eigenständigkeit der SPD zu bewahren und die Partei zu erneuern, um in Zukunft wieder bessere Wahlergebnisse zu erzielen. Dazu brauchen wir ein Kraftzentrum außerhalb der Regierung. Deswegen legen wir Partei- und Fraktionsvorsitz in eine Hand.

BLICK aktuell: Die aktuellen Umfragewerte der SPD deuten auf eine tiefe Krise. Welchen Anteil hat die Führungs- und Orientierungslosigkeit der Parteispitze in den letzten Monaten an diesem Desaster?

Andrea Nahles: Wir haben gerade in den letzten Wochen kein gutes Bild abgegeben. Manche Vorgänge haben wir in der Parteiführung nicht richtig eingeschätzt. Vor wichtigen Entscheidungen müssen wir uns noch besser beraten. Aber ich habe den Eindruck, dass wir nun gut aufgestellt sind und nach vorne starten können.

BLICK aktuell: Kann man in der heutigen Zeit als „Arbeiterpartei“ noch Massen bewegen? Wo ist zukünftig die Zielgruppe der Sozialdemokraten?

Andrea Nahles: Die SPD ist und bleibt die Arbeitnehmerpartei in Deutschland. Wir erleben einen rasanten Wandel in der Arbeitswelt, der viele verunsichert: Kann ich meinen Job auch noch in 10 Jahren machen? Muss ich ständig erreichbar sein? Wie kann ich mehr Zeit mit der Familie verbringen? Diese großen Fragen bewegen viele Millionen Menschen. Dafür wollen wir als SPD Antworten liefern und Partner sein.

BLICK aktuell: Die Globalisierung der Wirtschaft erfordert Veränderungen, damit wir in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben. Sind Sie bereit die SPD neu aufzustellen, z.B. bei Themen wie flexiblen Arbeitszeiten?

Andrea Nahles: Ja, vor allem die Digitalisierung ist eine echte Herausforderung für alle. Manche flüchten sich in national orientierte Lösungen. Das halte ich für falsch. Wir müssen vor allem die Chancen eines vereinten Europas sehen, daher haben wir dafür gesorgt, dass das Europa-Kapitel im Koalitionsvertrag einen so hohen Stellenwert bekommt, das ist ein echter Durchbruch. Eine starke Wirtschaft erhalten wir uns nur, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zufrieden und motiviert sind. Flexible Arbeitszeiten spielen dabei eine wichtige Rolle – in beide Richtungen: für die Unternehmen und für die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

BLICK aktuell: Mit welchen konkreten Maßnahmen werden Sie die SPD in den nächsten Jahren wieder zur Volkspartei entwickeln?

Andrea Nahles: Es gibt keine zwei oder drei einfache Stellschrauben, mit denen wir für bessere Umfrageergebnisse sorgen können. Sonst hätten wir schon an ihnen gedreht. Die SPD muss wieder mehr zur Mitmach-Partei werden. Da sind die 50.000 neuen Mitglieder, die im vergangenen Jahr eingetreten sind, eine große Chance. Sie sind eingetreten, um etwas zu bewegen. Gerade bei den Regionalkonferenzen in den letzten Tagen habe ich gespürt, welch hohe Motivation in der Partei steckt. Das werden wir nutzen.

BLICK aktuell: Wie werden Sie Ihre politischen Gegner in der SPD, insbesondere den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, in die zukünftige Parteiarbeit wieder integrieren?

Andrea Nahles: Ich freue mich, dass Kevin Kühnert aus den Jusos wieder einen echten Faktor in der Partei gemacht hat. Ich bin zwar inhaltlich anderer Meinung, aber die Debattenkultur belebt unsere Partei. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, die Partei zusammenzuführen und nicht zu spalten – egal, wie das Mitgliedervotum ausgeht.

BLICK aktuell: Wie sehen Ihre Visionen aus? Wie entwickelt sich die SPD in den kommenden Jahren unter Andrea Nahles als Partei- und Fraktionsvorsitzenden?

Andrea Nahles: Ich möchte, dass die SPD Motor und selbstbewusster Partner in der Regierung sein wird. Wir haben viel Leidenschaft, die wir produktiv nutzen sollten. Wir brauchen eine neue Friedens- und Entspannungspolitik, eine neue Europapolitik und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem digitalen Kapitalismus. Gleichzeitig werden wir mit neuer Solidarität und Entschlossenheit den Erneuerungsprozess unserer Partei beginnen und uns als fortschrittliche Partei kraftvoll neu aufstellen.