Leserbrief zu „BLICKwinkel – Pro und Contra im Fokus: Senkung des Wahlalters: Sollten 16-Jährige schon wählen dürfen?“ in BLICK aktuell 28/23
Senkung des Wahlalters ist abzulehnen
Ich denke, Parteien sollten der Versuchung widerstehen, die Herabsetzung des Wahlalters unter dem Gesichtspunkt eines eigenen Vorteils durch Stimmengewinn zu bewerten. Bei einer solchen, oberflächlichen Betrachtung, sind Enttäuschungen durch das tatsächliche Abstimmungsverhalten der Jugendlichen nicht ausgeschlossen. Die Frage des Wahlrechtes ist eine grundsätzliche und keine parteitaktische Frage.
Das häufig benutzte Argument, man müsse Jugendlichen durch die Absenkung des Wahlalters die Vertretung ihrer eigenen Interessen ermöglichen, ist nicht schlüssig. Die eigenständige Vertretung ihrer Interessen wäre nur dann möglich, wenn minderjährige Jugendliche nicht nur wählen dürfen, sondern auch wählbar wären. Von niemanden wird aber die Forderung nach Senkung des aktiven Wahlalters mit dem Vorschlag der Senkung des passiven Wahlalters verbunden. Die einseitige Absenkung des aktiven Wahlalters würde aber bedeuten, dass minderjährige Jugendliche nicht Gleichaltrige, sondern nur Ältere wählen dürfen.
Eine Senkung des Alters der passiven Wahlberechtigung (Art. 38 GG) wäre übrigens ohne Veränderung der Volljährigkeit nicht möglich. Bis zum Erreichen der Volljährigkeit schränken die Vorschriften des Jugendschutzes und die Rechte der Erziehungsberechtigten die grundgesetzlich garantierte Freiheit des Mandats unzulässig ein. Für eine Änderung dieser Regelung wäre eine 2/3-Mehrheit im Deutschen Bundestag erforderlich.
Der Vorschlag nach einer weiteren Senkung des Wahlalters wird allerdings von niemanden mit der Forderung nach einer weiteren Absenkung der Volljährigkeitsgrenze verbunden. Die sich daraus ergebende Entkoppelung von Wahlberechtigung und Volljährigkeit führt zur grundsätzlichen Problematik, ob Bürgerrechte wie das Wahlrecht nicht an die Bürgerpflichten gebunden sein sollten, die zur Volljährigkeit gehören.
Der innere Zusammenhang zwischen Wahlalter und Volljährigkeit konkretisiert sich also in der Frage, warum jemand über die Geschicke der Gesellschaft mitentscheiden soll, den diese Gesellschaft noch nicht für reif genug hält, seine eigenen Lebensverhältnisse zu regeln. So gesehen ist die Wahlberechtigung für Minderjährige ein Widerspruch in sich, weil es das Wahlrecht von der Lebens- und Rechtswirklichkeit abkoppelt.
Oft wird als Begründung für eine Senkung des Wahlalters das vermeintlich hohe Politikinteresse von minderjährigen Jugendlichen angeführt. Dafür gibt es keine empirischen Belege. Im Gegenteil stimmen die vorliegenden Studien darin überein, dass das Politikinteresse von 16/17-Jährigen deutlich geringer ausgeprägt ist als das von älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Das häufigste Argument für eine Senkung des Wahlalters ist die Behauptung, man könne dadurch das Interesse von Jugendlichen an Politik wecken. Grundsätzlich ist dagegen einzuwenden, dass das Wahlrecht zu grundlegend für die freiheitliche Demokratie ist, um es zum pädagogischen Hilfsmittel zu degradieren. Es ist auch wenig einleuchtend, durch unterschiedliches Wahlalter unterschiedlichen Wahlen eine unterschiedliche Wertigkeit zuzusprechen – so als seien Kommunalwahlen weniger bedeutend und deshalb am ehesten als Experimentierfeld geeignet.
Daher lehne ich eine weitere Herabsetzung des Wahlalters in Deutschland ohne Anpassung des angeführten Faktors „Volljährigkeit“ entschieden ab.
Jörg Fischer, Mayen