BLICK aktuell besuchte die neue Tischtennis-Senioren-Weltmeisterin Heidi Wunner aus Rheinbreitbach

Das bewegte Leben einer Ausnahmesportlerin

Das bewegte Leben einer Ausnahmesportlerin

Gleich drei Medaillen holte Heidi Wunner bei den Weltmeisterschaften. Foto: BG

Das bewegte Leben einer Ausnahmesportlerin

Heidi Wunner als Jugendliche. Foto: privat

Rheinbreitbach. Sucht man Informationen über Heidi Wunner, stolpert man auch über den Titel eines aktuellen Hamburger Theaterstücks, „Dat Frollein Wunner“. Da drängt es sich förmlich auf, dass man die 83-jährige freundliche Dame, die den Besucher in ihrem Haus in Rheinbreitbach empfängt, als ein veritables „Wunner“ bezeichnet, ein Wunder also: Vor zwei Wochen holte sie Gold bei den Tischtennis-Weltmeisterschaften im Oman. In diesem Alter sind wohl die meisten Menschen froh, wenn sie noch einigermaßen beweglich sind, aber einen Weltmeistertitel holen? Unvorstellbar!

Wie kam es dazu? Lange Jahre hat Heidi Wunner daraufhin trainiert, mit Ausdauer und Disziplin, aber auch mit Freude. Ohne Ziel einfach nur ein bisschen Ping-Pong spielen, das war ihre Sache nicht. Mehr als die Hälfte eines langen Lebens einem Sport zu widmen, das ist nicht unerheblich, zumal wenn man bedenkt, was der Alltag ihr alles abverlangte. Und natürlich reicht es da nicht, auf Wunder zu hoffen, darin steckt sehr viel Engagement und ein hoher Anspruch an sich selbst. Und das spürt man bei der ersten Begegnung.

Sie als „zierliches Persönchen“ zu bezeichnen, wäre nur die halbe Wahrheit; sie strahlt eine beeindruckende Energie, Kraft und Gelassenheit aus. Alle Siege und Titel aufzuzählen, die Heidi Wunner – übrigens auch Sportlerin des Jahres 2015/16 im Tischtennisverband Rheinland – mit ihrem Sport geholt hat, wäre an dieser Stelle nicht möglich. Seit 1975 Mitglied im SVR Rheinbreitbach, wurde sie mehrfach Deutsche Meisterin und Europameisterin, sie gewann unzählige Turniere auf Rheinland- und Bundesebene. Ein Highlight aus dem letzten Jahr waren die Europameisterschaften für Senioren (Altersklasse Ü 80) im Juni 2022, wo sie Platz 1 im Doppel und Platz 3 im Einzel erreichte.

Und nun die Krönung: Heidi Wunner ist die neue Tischtennis-Senioren-Weltmeisterin im Mixed und Damen Doppel in der Klasse Ü 80, im Einzel wurde sie darüber hinaus Vizeweltmeisterin, holte also gleich drei Medaillen! Damit war sie zugleich die erfolgreichste Teilnehmerin des Turniers, das vom 16. bis 21. Januar 2023 in Maskat im Oman stattfand. Es nahmen bei diesen 20. Senioren-Weltmeisterschaften in den verschiedenen Altersklassen rund 1.600 Teilnehmer aus 69 Nationen teil. Bei der nächsten Europameisterschaft wird sie nach eigenen Angaben erst einmal aussetzen, aber bei der nächsten Weltmeisterschaft 2024 plant sie wieder dabei zu sein. Solange sie ihre Bälle selbst aufheben kann, möchte sie weitermachen.

„Japan und Schweden

fehlen noch“

Befragt nach den vielen, zum Teil auch sehr weiten und durchaus exotischen Reisen, die damit verbunden sind, sagt sie, dass sie ihr keine Probleme bereiten, weder gesundheitlich noch mental. Man muss eigentlich schon fragen, welche Länder sie in Sachen Tischtennis noch nicht gesehen hat. Da muss sie lange überlegen: „Japan und Schweden, die fehlen noch“, sagt sie. Wobei es immer schwieriger wird, diese Reisen zu finanzieren, beklagt Klaus Riddering, der ebenfalls anwesende Abteilungsleiter Tischtennis des SVR Rheinbreitbach. Der Verein stößt hier an seine Grenzen und ist angewiesen auf Sponsoren. Möglicherweise kann das Renommee des Vereins, das durch den errungenen Weltmeistertitel noch verbessert wird, neue Geldgeber auf den Plan rufen.

Ein Blick in das reiche, aufregende Leben von Heidi Wunner erklärt vielleicht ihre unglaubliche Energie und ihr unerschütterliches In-sich-Ruhen. In Prenzlau (Brandenburg) als zweites von vier Kindern der Familie Klette 1939 im Krieg geboren, geriet sie in die schreckliche Zeit von Bombenalarm und Flucht. Mit der Mutter, den kleinen Geschwistern, altersmäßig alle dicht beieinander, und dem Kindermädchen gelangten sie nach Hamburg, wo die Großeltern sie bei sich aufnahmen. Aber die Schrecken dieser Erlebnisse „sind bis heute da“, so Heidi Wunner.

Ein besonderes

Weihnachtsgeschenk

Die dann folgende schwierige Zeit des Wiederaufbaus, der Entbehrungen und des Neubeginns hinterließen Spuren und prägten sie fürs Leben. Da sind spätere Schicksalsschläge wie der frühe Tod ihres Mannes 1968 noch gar nicht eingerechnet. Ihre Kindheit und Schulzeit verbrachte sie bis 1954 mit der Familie in Hamburg. Hier sei zu erwähnen, dass Sport noch keine große Rolle spielte. Dass es irgendwann zu einem Weltmeistertitel führen würde, dachte sicher keines der vier Kinder, als es einmal an Weihnachten auf dem Gabentisch für jeden nur einen Teller gab – und eine Tischtennisplatte für alle. Da steckte sicherlich noch kein Ehrgeiz dahinter, einmal mit diesem Sport erfolgreich zu werden. Es war ein Anfang, und von da an blieb Tischtennis zunächst ein Hobby.

Von Hamburg aus führte der Wunsch nach einer Krankenschwesternausbildung Heidi Wunner nach Heidelberg, wo sie mit ihrem guten Abschluss und ihrer Tatkraft auffiel, sodass man ihr den Aufbau und die Leitung einer Schwesternschule in Kandel übertrug. Dort lernte sie auch ihren späteren Ehemann, einen Allgemeinmediziner, kennen, dem sie aus beruflichen Gründen über mehrere Stationen, u. a. Legde und Karlsruhe, folgte, bis sie sich dann in Gehlenberg niederließen, um gemeinsam eine Arztpraxis zu eröffnen. 1965 wurde ein Sohn geboren. Als dieser drei Jahre alt war, endete das Glück der Familie abrupt: Heidi Wunners Mann starb bei einem Autounfall.

Von nun an hieß es für die Alleinerziehende, das Überleben zu sichern. Mit der Arbeit in einem Krankenhaus in Friesoythe und mit der Hilfe bei der Kinderbetreuung durch ihre Verwandten hielt sie die kleine Familie aufrecht. Auch jetzt fiel sie wieder mit Sachverstand und Tüchtigkeit auf, aber die schwierigen Arbeitsbedingungen ließen sich nicht länger mit dem kleinen Kind vereinbaren. Als sie von der Möglichkeit erfuhr, sich mit einer einjährigen Sonderausbildung zur Sportlehrerin zu qualifizieren, zögerte sie nicht lange. Und als solche war sie dann in Gehlenberg tätig.

Die Eltern Klette zogen aus beruflichen Gründen Anfang der 70er Jahre ins Rheinland, sodass sich Heidi Wunner genötigt sah, selbst auch mit ihrem Sohn dorthin zu ziehen, denn sie war auf deren Unterstützung bei der Kinderbetreuung weiterhin angewiesen. So lebte sie dann ab 1973 in Rheinbreitbach und fand Arbeit in den Bad Honnefer Kliniken. In ihrem lang gehegten Wunsch, Physiotherapeutin zu werden, wurde sie durch diese Arbeit bestärkt. Eine weitere Ausbildung stand nun auf dem Plan. Bis zur ihrer Rente arbeitete sie dann im einzig verbliebenen Bad Honnefer Krankenhaus, zuletzt als Leiterin der Physiotherapie-Abteilung. Lange Zeit leitete sie als Mitglied im TV Eiche in Bad Honnef die Osteoporose-Gruppe.

Einschneidende Veränderung

Eine einschneidende Veränderung im aktiven Sportler-Leben sollte es durch die Maßnahmen der Corona-Zeit geben. Sie führten dazu, dass niemand trainieren konnte, jedenfalls nicht gemeinschaftlich in der Halle, da musste man schon privat eine Möglichkeit schaffen wie Heidi Wunner, die mehrmals in der Woche an der eigenen Platte im Keller trainiert. Natürlich war das kein Ersatz für das gemeinsame Training, vor allem fehlte die Unterweisung durch die Trainer.

Interessanterweise hat dies dem SVR aber einen gewissen Zulauf beschert. Weil Sport im Verein lange Zeit eben nicht möglich war, haben sich viele Leute privat Tischtennisplatten angeschafft und wollen nun ihr neues Hobby ausbauen. Klaus Riddering ist vorläufig noch skeptisch, ob sich die leicht gestiegene Mitgliederzahl auf die Dauer stabilisiert.

Man muss gar nichts mehr ergänzen, um klarzumachen, was Heidi Wunner an Stärken mitbringt, sei es nun ihre Flexibilität, ihre „Pioniersgabe“, immer wieder neu anfangen zu können, alles zu einem guten Ende zu bringen, ihre Gelassenheit, ihr Talent, andere zu unterrichten – nicht umsonst war sie auch lange Jahre Jugendwart beim SVR Rheinbreitbach – und zu motivieren oder einfach ihre Zugewandtheit, alles zusammen macht aus ihr eine wahre Weltmeisterin. Selbst eine schwere Krankheit, vor langer Zeit überstanden, und zwei bedrohliche Unfälle in den letzten Jahren, die sie beinahe die Fähigkeit zum Tischtennis spielen gekostet hätten, konnten ihr dauerhaft wenig anhaben.

Ein Wunder eben. Auf die Frage, ob ihr der derzeitige Rummel nicht zu viel werde, versichert sie glaubhaft, dass er ihr nichts ausmache, und lächelt dabei verschmitzt. In ihrem Haus geben sich die Gratulanten gerade die Klinke in die Hand. Wenn man sie sprechen möchte, ist es durchaus ratsam, einen Termin mit ihr auszumachen.