Als Ingeniuer ist Markus Becker aus Heimersheim stark in den Hochwasserschutz eingebunden. Im BLICK aktuell-Interview gewährt er interessante Einblicke hinter die Kulissen - und baut dabei auf innovative Technologien
Ahrtal: Mit neuester Technik Starkregen- und Hochwasserereignisse frühzeitig berechenbar machen
Kreis Ahrweiler. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 ist deutlich geworden, dass wirksame Hochwasser- und Starkregenvorsorge nur über kommunale Grenzen hinweg gelingen kann. Mit der Genossenschaft inframeta setzt Markus Becker auf eine neue Form der Zusammenarbeit aller Infrastruktur-Akteure. Ein zentrales Projekt dabei ist das von der Aachener Firma „Hydrotec“ entwickelte Frühwarnsystem AhrSure, das Starkregen und Hochwasserereignisse frühzeitig berechenbar machen soll- Die Integration eines solch leistungsstarkes Prognose Modells ist das echte Alleinstellungsmerkmal. Im Interview spricht Markus Becker über die Rolle von inframeta bei der Vernetzung des Systems, den Mehrwert genossenschaftlicher Strukturen und darüber, wie digitale Frühwarnsysteme die Klimaresilienz der Region nachhaltig stärken können.
BLICK aktuell: Herr Becker, Sie sind Vorstand der Genossenschaft inframeta und gleichzeitig als Ingenieur in die Hochwasservorsorge eingebunden. Welche Rolle übernimmt inframeta konkret bei der Einführung und Vernetzung des Frühwarnsystems AhrSure im Ahr-Einzugsgebiet?
Markus Becker: Um gegen eine Flut wie 2021 besser geschützt zu sein, ist vor allem der technische Hochwasserschutz entscheidend. Wir haben mit Hydrotec am ÜMP-Projekt (dem überörtlichen Maßnahmenplan) der Kreisverwaltung, den betroffenen Ländern sowie dem Verbund der Kommunen und Nachbarkreise mitgearbeitet und die 17 grünen Becken mitentwickelt. Bis diese umgesetzt sind, bedarf es vieler Maßnahmen und wahrscheinlich mindestens zwei Generationen. Ein zentraler Schritt ist eine nach dem Stand der Wissenschaft mögliche Frühwarnung der Bevölkerung. Das System ist von Hydrotec fertig entwickelt und kann jetzt für das gesamte Einzugsgebiet des Ahrtals angewandt werden. Auftraggeber ist hier die inframeta eG.
BLICK aktuell: inframeta setzt auf eine neue Form der Zusammenarbeit aller Infrastruktur-Akteure. Was unterscheidet diesen genossenschaftlichen Ansatz von bisherigen Strukturen in der Hochwasser- und Starkregenvorsorge?
Markus Becker: Wie die Flut gezeigt hat, brauchen wir neben dem Katastrophenschutz der sogenannten Blaulichtfamilie lokale Infrastrukturexperten, die die Zusammenhänge der Ver- und Entsorgungsleitungen sowie der Strom- und Wärmenetze kennen und diese wieder aufbauen können. Die Netzeigentümer in den kommunalen Betrieben benötigen diese Unterstützung der lokalen Expertinnen und Experten. Das sind neben den technischen Angestellten der Werke, Bauämter und kommunalen Betriebe auch die Mitarbeitenden der lokalen Tiefbauunternehmen und Ingenieurbüros.
Es braucht Menschen, die die regionalen technischen Zusammenhänge kennen. Die inframeta eG bringt also nicht nur Lösungen wie AhrSure, sondern auch Menschen, die diese Systeme betreiben können. Dafür braucht es jedoch eine regionale Vertrauenskultur der Akteure. Diese schafft die inframeta eG.
BLICK aktuell: AhrSure macht Risiken sichtbar, bevor sie zu Schäden führen. Welche Bedeutung hat dieses Frühwarnsystem aus Ihrer Sicht für Kommunen und Entscheidungsträger, insbesondere mit Blick auf die Erfahrungen aus der Flutkatastrophe 2021?
Markus Becker: Der erste Schutz, der benötigt wird, gilt natürlich den Menschen. Menschen müssen wissen, ob sie Überflutungen aus der Ahr oder einem Nebengewässer zu erwarten haben, aus dem Außengebiet, z. B. den Weinbergen, oder aus dem Kanal, und sie müssen rechtzeitig gewarnt werden. Das ist eine wichtige Eigenvorsorge, um die sich jeder kümmern muss.
AhrSure warnt nicht nur vor Hochwasser in der Ahr oder in Nebengewässern, sondern wertet auch Wetterdaten aus und warnt vor Starkregenereignissen. Je nach Ausbaustufe im jeweiligen Warngebiet können in Flutwegen bis zu 72 Stunden vor dem Ereignis grundstücksscharfe Warnungen herausgegeben werden.
Das ist für Kliniken, Schulen, Altenheime oder auch Feuerwehren sowie für Wohn- und Gewerbegebiete sehr wichtig, da neben dem Schutz der Menschen auch die Infrastruktur geschützt werden muss – gerade dort, wo derzeit mit so vielen Millionen der Wiederaufbau im Tal durchgeführt wird. Zweitens müssen diese Investitionen geschützt werden.
BLICK aktuell: Das System überschreitet bewusst kommunale und sogar Landesgrenzen. Warum ist diese überörtliche Perspektive für eine wirksame Hochwasservorsorge unverzichtbar, und welche Herausforderungen bringt sie mit sich?
Markus Becker: Dem Einzugsgebiet der Ahr ist es egal, in welchem Bundesland, Kreis oder welcher Kommune es liegt. Die Starkregenwolke kreist über dem Einzugsgebiet; sobald sie abregnet, läuft das Wasser den „Berg herunter“. Das ist einfache Physik. Es nützt nichts, wenn jede Kommune nur sich selbst schützt. Der optimale Schutz kann immer nur auf der Ebene des gesamten Einzugsgebietes gesteuert werden. Wenn eine Kommune ein Hochwasserbecken zu früh leert, kann das zum Schaden des Unterliegers sein. Jeder ist irgendwo Unterlieger, außer derjenige, der auf dem Berg wohnt.
Die Herausforderung besteht darin, die Akteure in den einzelnen Kommunen mitzunehmen. Das ist eine Aufgabe des Gewässerzweckverbandes. Deswegen ist es so wichtig, dass alle mitmachen.
BLICK aktuell: Mit Blick in die Zukunft: Wie sehen Sie die Weiterentwicklung von inframeta und AhrSure, und welchen Beitrag können solche digitalen Frühwarnsysteme langfristig zur Klimaresilienz der Region leisten?
Markus Becker: Wir sind aus der Region und wollen hier bleiben. Wir wollen die Zusammenhänge nicht wieder vergessen. Fachlich soll das unser Aufschlag sein. Wenn wir uns die Fluktuation der technischen Mitarbeitenden in den Kommunen und kommunalen Betrieben ansehen, ist das sehr besorgniserregend. Es bedarf viel Erfahrung, die oft in zu wenigen Köpfen vorhanden ist, um ein Wasser-, Abwasser- oder Gewässernetz sowie die weiteren Netze zu unterhalten und zu steuern.
Wir wollen die gesamte Infrastrukturbranche der Region mit in die Verantwortung nehmen. Dort gibt es deutlich mehr Bereitschaft, als man denkt. Wir haben Unternehmer, die die Kosten für ihren Heimatort komplett übernehmen wollen; die Verbundenheit zur Heimat ist groß. Bisher fehlte die passende Organisationsform. Mit Genossenschaften bestehen im Ahrtal jedoch viele gute Erfahrungen. Zu AhrSure bereiten wir eine Vorstellung Kommunalpolitik, Bürger, Gewerbebetriebe vor. Wer direkt mitmachen will, kann investierenden Mitglied der inframeta eG werden.
ROB
