Die Steuerberater Joachim und Michael Dieringer haben ihre berufliche Existenz im Schlamm des Julihochwassers verloren. Aber nur vorerst: Die Familie möchte um jeden Preis aufbauen und weitermachen

Bad Neuenahr:Eine Familie trotzt der Flut

Bad Neuenahr:
Eine Familie trotzt der Flut

Für Aufgeben ist keine Zeit: Joachim, Michael und Gisela Dieringer möchten wieder aufbauen.Foto: ROB

Bad Neuenahr-Ahrweiler. In der Sebastianstraße in Bad Neuenahr, Hausnummer 135, sieht vieles aus wie früher. Und manches wirkt auf liebenswerte Art und Weise fast antik. Zum Beispiel das Schild, dass Joachim Dieringer zeigt. Auf schwarz getünchter Spanplatte ist die Einladung zur „Heavy Disco“ zu lesen. Der Eintritt kostete 99 Pfennig, und das war „eine Preiskeule“, wie die Veranstalter selbstbewusst in weißen Lettern auf das Brett krakelten. Wichtig: Pseudo-Heavy-Metalfans wollte man dort im alten Jugendhaus nicht sehen. „No Posers!“ steht dort als Mahnung. Die Party startete am 27. April 1990 und das Schild hat 31 Jahre überstanden. Und auch die Flut des 14. und 15. Juli 2021. Das Gebäude ist längst kein Haus der Jugend mehr, Konzerte finden hier nicht mehr statt. Heute teilen sich Joachim Dieringer und Michael Dieringer die Räume. Beide sind Steuerberater, „mit Leidenschaft“, wie sie sagen. Heute bestimmen Aktenschränke, Flatscreens und bimmelnde Telefone statt E-Gitarrren die Szene. Sollte es zumindest, aber die Realität sieht anders aus. Die Flut traf die Kanzlei mit voller Wucht, das Erdgeschoss ist heute eine Baustelle. Alles ist entkernt und das Klingeln der Telefone wich dem Surren der Bautrockner. Das Wasser stand dort 1,20 Meter hoch, und das obwohl die Büroräume einen Meter über Bodenniveau stehen.

Die Familie hat eine Menge mitgemacht. Auch der Schuhladen von Gisela Dieringer, der Frau von Joachim Dieringer, wurde in massive Mitleidenschaft gezogen. Auch im Privathaus ist vieles kaputt: In den frühen Morgenstunden des 15. Juli wurden sie aus ihrem zerstörten Haus gerettet. Auf einer Baggerschaufel wurden die Dieringers herausgehoben, danach ging es in ein Notquartier. Michael Dieringer wohnt in Sinzig. Auch die Stadt am Rhein erlebte eine Katastrophe in der schicksalshaften Nacht. Doch ihm und seiner Frau geschah nichts Schlimmes. Das Haus blieb trocken. Außerdem wurde rechtzeitig evakuiert, erinnert sich Michael Dieringer an die Zeit, als die Sinziger Feuerwehr zur Warnung der Bevölkerung ausrückte. Als größte Schwierigkeiten gestaltete sich der Weg von Sinzig nach Bad Neuenahr. Es brauchte seine Zeit, bis er eine Möglichkeit in die Kreisstadt fand. Das war eine nervenaufreibende Situation. „Wir hatten Todesangst um die Familie“, sagen alle Dieringers rückblickend, egal, wo sie sich zu diesem Zeitpunkt auch aufhielten. Michael Dieringer kam nur bis 200 Meter an sein Elternhaus heran, ganz in der Nähe des Steuerberaterbüros. Zu hoch stand der pappige Schlamm. Nach und nach stellte sich jedoch die erlösende Gewissheit ein, dass alle Familienmitglieder gesund waren. Als der erste Schock überwunden war, begannen die Aufbauarbeiten. Das ging vergleichsweise zügig, erste Fortschritte sind bereits sichtbar. „Ein Handwerker aus Flensburg hat uns mit neuen Fenstern versorgt,“ freuen sich Michael und Joachim Dieringer. Für sie war das ein wichtiges Zeichen. Angesichts Unterstützung vieler freiwilliger Helfer, zum Beispiel von Freunden und Bekannten, aber auch Mitgliedern der Unternehmernetzwerks BNI, in dem Michael Dieringer Mitglied ist, waren die Räume relativ zügig von Schlamm und Schrott befreit. Wichtig: Der Server war noch ganz. Die Flut verfehlte die Elektronik um nur knappe zehn Zentimeter. Dass die Technik heil geblieben ist, war für die Steuerberater ein Schlüsselerlebnis. „Wir wussten schnell, dass wir weitermachen wollten“, sagt Joachim Dieringer. „Eigentlich wussten wir das seit der „Stunde Null“, ergänzt Michael Dieringer. Dass der Server überlebte, erleichtert nun den Wiedereinstieg enorm, sind sich beide sicher. Schließlich liegen hier alle Daten über die Kunden. Und: Man begreift die Zerstörung der Flut nicht nur als Katastrophe, sondern auch als Chance. Die Dieringers haben bereits Pläne geschmiedet, was sie in Zukunft besser machen wollen. „Wir brauchen auf jeden Fall eine bessere Dämmung und eine bessere IT“, sagen die beiden optimistisch. „Und besser wird der Zeitpunkt zum Renovieren nicht mehr“, fügen die beiden Steuerberater hinzu.