Vortrag an der Integrierten Gesamtschule Remagen

„Das Schlimmste wargetrennt zu sein von den Lieben“

„Das Schlimmste war
getrennt zu sein von den Lieben“

Miriam Rothmann, stellvertretende Schulleiterin (links), sprach Edith Erbrich ihren Dank aus. Fotos: HG

„Das Schlimmste war
getrennt zu sein von den Lieben“

„Hass ist ein sehr schlechter Begleiter“, betonte Edith Erbrich.

„Das Schlimmste war
getrennt zu sein von den Lieben“

Edith Erbrich spricht vor Schülern, damit sich die menschenverachtende Geschichte nicht wiederholt.

„Das Schlimmste war
getrennt zu sein von den Lieben“

Zeitzeugin Edith Erbrich und Pascal Rowald, Vorsitzender des DGB Ahrweiler.

Remagen.„Meine Kindheit war anders“, sagt Edith Erbrich im Verlauf ihres Berichtes vor den Zehntklässlern der Integrierten Gesamtschule (IGS) Remagen. Was sich hinter den schlichten Worten verbirgt, erschüttert. Denn Erbrich wuchs als Kind einer katholischen Mutter und eines jüdischen Vater im Frankfurt der Nazizeit auf, einer Stadt, die wie kaum eine zweite durch ihre jüdische Gemeinde geprägt worden ist.

„Mischehe hieß das im Nazijargon“. Beinahe hätte das perfide System zur Vernichtung unerwünschter Menschen auch ihr Ende bedeutet.

Edith Erbrich, damals Edith Bär, kam im Oktober 1937 in Frankfurt am Main zur Welt. Sie wurde am 14. Februar 1945 zusammen mit ihrem Vater und ihrer vier Jahre älteren Schwester Hella ins KZ Theresienstadt deportiert. Da war sie sieben Jahre alt. Am 8. Mai, Tag der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, wurde sie dort von der Roten Armee befreit – gerade noch rechtzeitig. Für den 9. Mai war sie für einen Todestransport nach Auschwitz vorgesehen. Kein Mensch sollte erleiden müssen, was sie bereits als Kind durchmachte. Deshalb spricht sie auf Einladung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Ahrweiler in der Schule. Sie hat schon oft in Schulen erzählt. Immer wieder tut sie es. Damit die jungen Leute wissen, was geschah und willens sind zu verhindern, dass sich ein menschenverachtendes Regime wie der Nationalsozialismus wieder etablieren kann.

Von der

Anschauung zum Gedenken

„Es ist etwas Außerordentliches, dass wir einen Menschen hier haben, der uns persönlich berichtet“, sagte Miriam Rothmann, stellvertretende Schulleiterin, mit Dank an den Gast und den DGB in der vollbesetzten Schulbibliothek. Für die Vereinigung war Regionalvorsitzender Sebastian Hebeisen dabei und Pascal Rowald, Vorsitzender des DGB Ahrweiler. IGS, Zeitzeugin und Dachverband DGV wollten alle dasselbe, erklärte Rowald und appellierte an die Zuhörer: „Lassen Sie uns ein Zeichen setzen gegen Hass gegen Andersdenkende und auch andere Religionen“.

Diese Haltung zeigte auch die Klasse 10 d nach ihrem Besuch der Gedenkstätte KZ Buchenwald mit Klassenleiterin Sandra Rosa und Geschichtslehrer Alexander Krause, indem sie im Januar dieses Jahres eine Gedenkveranstaltung organisierte. Nun sprachen Xenia, Gabriel, Sebastian und Klara über ihre Gefühle beim KZ-Besuch, als sie sich „ein eigenes Bild von dem abscheulichen Teil deutscher Geschichte“ machten. Sie empfanden „Ekel vor den Menschen, die systematisch töten und foltern“ und waren „emotional angeschlagen“ beim Gang zum Krematorium, durchs Ärztezimmer und angesichts eines Leichen-Fotos. Es sei etwas anderes, ein KZ zu besuchen als einem Menschen zu begegnen, der einen teilhaben lässt an dem, was ihm widerfuhr, äußerte die stellvertretende Schulleiterin Rothmann gegen Ende der Veranstaltung. So hatten es offenbar auch die Jugendlichen empfunden. Dafür sprachen die vielen Fragen, welche sie Edith Erbrich nach deren Ausführungen freimütig stellten. Die Rednerin hat die Schüler mit ihrer annehmenden freundlichen Art gewiss ermutigt, trotz der beklemmenden Darstellung die Gunst der Stunde nutzten, um von der Zeitzeugin möglichst viel zu erfahren.

Angst und Hunger

Ganz ruhig sprach sie von dem schrecklichen Erleben. Für die kleine Edith waren Krieg, Ausgrenzung, Deportation und Lagererfahrung unausweichliche Realität: „Angst und Hunger begleiteten meine Kindheit“. So jung sie war, begriff sie, dass der Judenstern, „eigentlich der Davidstern“, dazu unzählige Verbote, von nicht auf bestimmten Bänken im Park sitzen bis nicht in die Schule gehen dürfen, auf Diskriminierung hinausliefen.

Bei einem Bombenangriff 1944 in Frankfurt wurde das Wohnhaus der Familie zerstört. In der Ostendstraße sah sie „Menschen laufen, wie brennende Fackeln“. Zur Deportation von 616 Personen ab der Großmarkthalle, heutige Zentralbank, im Februar 1945 sollte die Familie Kleidung und Proviant einpacken. Die Mutter wollte freiwillig mit. Aber: „Mutter, die alles grausam durchlitten hat, bespuckt und verspottet wurde, durfte ihre Familie nicht begleiten“. Edith Erbrich: „Das war der schmerzlichste Tag in meinem Leben“. Im Bewusstsein, die Mutter vielleicht nie mehr wiederzusehen, prägte sich die Siebenjährige ihr Gesicht fest ein. Das Bild sieht sie bis heute vor sich. Auf dem Transport im Viehwaggon mit 30 bis 40 Eingeschlossenen warf der Vater zehn Postkarten heraus an die Mutter, seine „liebe Susanna“, die wie ein Wunder bei ihr ankamen. In Theresienstadt wurde der Vater von den Kindern getrennt, dann Edith von Helga. Diese Trennung von den Eltern und der Schwester, war für die Jüngere „das Schlimmste“.

Meist eingesperrt

Wie alle Ankömmlinge in Theresienstadt, mussten sich die Kinder nackt ausziehen und bekamen die Haare abrasiert. „Ich werde nie vergessen, wie die miesen Kerle sich lustig gemacht haben darüber, wie man aussieht, wenn man sich tagelang nicht waschen kann.“ Die Größeren mussten arbeiten, die Kleinen „waren meistens eingesperrt und ständig überwacht“, erzählt die Zeitzeugin. Zum Nichtstun verdammt – „die wollten uns damit systematisch fertig machen“. Aber auch sie bekamen mit, dass die Karren, die morgens Brot ausfuhren, abends Leichen transportierten. Zur Strafe - für was, weiß sie nicht mehr - schrubbte sie einmal ohne Essen, aber unter Aufsicht, einen ganzen Tag mit einer Zahnbürste den Fußboden. „Wir mussten auch stundenlang bei Eis und Schnee draußen stehen. Wenn jemand umfiel, durften wir ihm nicht aufhelfen. Die Aufseherinnen saßen in ihrem Kabäuschen und machten sich noch lustig.“ Bis heute ist für Edith Erbrich „nicht nachvollziehbar, wie man tagsüber Menschen schikaniert und am Abend mit seinen Freunden am Tisch feiert“. Dennoch sie ist nicht bitter geworden. Sie dankte jenen, die sich damals als „stille Helfer“ erwiesen. Außer ihr haben auch Schwester und Vater das Lager überlebt, anders als der Großvater. Die Schwester wurde eine Schneiderin und Edith Erbrich lernte Industriekaufmann bei der Frankfurter Rundschau. Erst nach der Pensionierung, so die Zeitzeugin, die nach über 50 Jahren Theresienstadt besuchte und sogar ihre Pritsche wiederfand, konnte sie in die Schulen gehen. „Ich wollte nicht Mitleid bekommen, sondern Anerkennung für die Arbeit.“Wie es für sie sei in Deutschland zu leben? „Das ist meine Heimat“, antwortet sie. Ob sie die Deutschen hasse, fragte einer der Schüler. „Ja, wie denn, ich bin doch selber Deutsche. Ich habe Freunde mit verschiedenen Hautfarben und Religionen. Ich gehe in den katholischen oder evangelischen Gottesdienst oder auch in die Synagoge. „Haltet die Augen offen“, gab sie den jungen Menschen mit, damit sie gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung vorgehen und betonte, „Hass ist ein sehr schlechter Begleiter.“