Brexit beeinflusst nicht nur die Menschen jenseits des Ärmelkanals, auch in der Region gibt es Betroffene

„Die Freiheit, die ich hatte, ist weg!“

„Little Britain“-Erfinder Gary Blackburn erlebte das historische Ereignis aus seiner ganz eigenen Perspektive

03.02.2020 - 15:00

Linz-Kretzhaus. Die Bilder des Brexit-Countdowns vor Downing Street No. 10 gingen um die ganze Welt. Auf die Hauswand des Wohnsitzes des Premierministers von Großbritannien, seit dem Rücktritt von Theresa May der des Brexiteers Boris Johnson, wurden die Sekunden rückwärts gezählt, auf der Straße davor wurde von Brexit-Anhängern frenetisch gefeiert. EU-Fahnen wurden verbrannt, die Freude der Befürworter über den historischen Schritt schien unendlich.

Der wohl berühmteste Brite und Neu-Deutsche der Region, Gary Blackburn aus Kretzhaus bei Linz am Rhein, musste derweil schwere Stunden durchstehen … und tut es noch. Der Erfinder des skurril-britischen Mini-Freizeitparks „Little Britain“, der im vergangenen Jahr schließen musste verfolgte die Vorgänge mit gemischten Gefühlen. Als am Freitagabend 23 Uhr britischer und 0 Uhr europäischer Zeit das Vereinigte Königreich aus der EU austrat, war er erleichtert, einerseits. Die jahrelange Hängepartie über das Für und Wider des „Brexit“, die immer wieder hohe Wellen schlug und auf beiden Seiten des Ärmelkanals für Irritation, Unbehagen und teils hämisches Gelächter sorgte, war endlich vorbei. Die Unsicherheit andererseits blieb. „Als ich vor 35 Jahren nach Deutschland kam, brauchte ich nur eine Arbeit und bekam eine Arbeitserlaubnis für ein Jahr. Später dann für fünf Jahre und dann unbegrenzt. Das wird für meine Angestellten und Kinder nicht mehr so einfach sein“, fasste er traurig im Gespräch mit BLICK aktuell am Samstag zusammen. „Wir haben gestern alle gemeinsam hier im Wohnzimmer den Countdown verfolgt. Es ist gut, dass es vorbei ist, aber es ist auch ein Gefühl, als habe man ein Bein oder einen Arm verloren.“

Für den Inhaber des Baumdienstes Siebengebirge stellt grade die Planungsunsicherheit ein großes Problem dar. „Ich kann im Moment keine Pläne für das nächste Jahr machen. Ich kann meinen Mitarbeitern auch nicht sagen, wie lange sie für mich arbeiten können –etwa die Hälfte von ihnen kommt aus England. Sie arbeiten teilweise seit zwanzig Jahren für mich und kommen immer wieder hier rüber – das wird wahrscheinlich ab 2021 so einfach nicht mehr möglich sein“, schilderte er seine Situation. Erschwerend komme hinzu, dass viele seiner Stammkunden grade diese englischen Facharbeiter wünschen – denn nur dort gibt es die Ausbildung zum sogenannten „tree surgeon“, sinngemäß einem „Baumchirurgen“. Tree Surgeons sind in der Lage, in großen Höhen sicher und fachgerecht Bäume zu beschneiden oder uralte Naturdenkmäler am Leben zu erhalten. Eine ähnliche Fachausbildung gibt es in Deutschland oder dem Rest von Europa nicht, entsprechend kann Gary Blackburn außer auf die von ihm selbst geschulten Kräfte nur auf Landsleute jenseits des Kanals zurückgreifen. Grade bei besonderen Herausforderungen wie großen Stürmen oder langen Dürreperioden war das ungeheuer wichtig. „Einige meiner Arbeiter wollten ihre Familien nach Deutschland holen, auch das wird jetzt erst einmal nicht gehen. Sie wissen ja selbst nicht, ob ich sie im nächsten Jahr noch beschäftigen kann“, resümierte er.

Der rührige Brite schrieb sogar einen Brief an Boris Johnson selbst, in dem er ihm seine Situation schilderte. „Ich habe ihn um Hilfe gebeten – denn ich brauche eine Lösung. Alle meine englischen Mitarbeiter haben Familien. Ich habe ihm vorgeschlagen, die Verhandlungen hier in Deutschland zu führen – dies wäre ein guter Platz, mitten in Europa.“ Leider erhielt er bislang keine Antwort. Gary Blackburn befürchtet allerdings ohnehin, dass in den nächsten Jahren erhebliche Schwierigkeiten auf ihn zukommen werden. „Sobald Visa benötigt werden, um im jeweils anderen Land zu arbeiten, wird es schwierig werden. Ich kann nicht drei Monate darauf warten, dass ich Unterstützung von englischen Tree Surgeons bekomme, wenn hier ein Sturm gewütet hat.“ Seine Hauptsorge ist, dass der United Kingdom am Ende nicht viel besser dastehen wird, als Länder der sog. 3. Welt: „Es wird alles viel, viel schwieriger werden. Meine Tochter wollte mit ihrer besten Freundin in England nach dem Abitur studieren gehen – ob das noch so einfach gehen wird? Die Freiheit, die ich hatte, ist weg. Auch das Einkaufen über die Grenzen hinweg, das Reisen, Transporte … alles wird so viel aufwendiger werden“, fasste er seine Befürchtungen zusammen: „Mein Schwager ist britischer Bauer … für ihn ist die Zukunft nun noch unsicherer geworden. Bislang hat in schlechten Jahren die EU immer unterstützt – was jetzt kommt, weiß er nicht.“ Viele seiner Landsleute seien dankbar für Chancen und Hilfen während der letzten Jahrzehnte und traurig über diesen Schritt.

Gary Blackburn selbst hatte die Entscheidung zum Austritt aus der EU 2016 damit beantwortet, dass er auf seinem Grundstück an der L253 eine Art Mini-Freizeitpark voller englischer Erinnerungsstücke und Eigenartigkeiten einrichtete. Die skurrile Mischung aus lebensgroßem Friedenspanzer, einer Teerunde mit der Queen, Mr. Bean`s Auto inklusive seines Teddys, einer riesigen Hasenfigur aus Alice im Wunderland, der mitten in einer freilebenden Kaninchenfamilie saß und vielen anderen kleinen und großen Figuren war etwas ganz Besonderes. Mit seinem „Little Britain“ hatte Gary Blackburn ein Stück England in den Westerwald holen wollen – mit Erfolg. Wanderer, Familien, Kindergärten und Altersheime nutzten gern die Gelegenheit, sich einmal in einen Doppeldecker-Bus für ein Picknick zu setzen oder bei Regen schnell mal bei der Queen unterzustellen. „Ich hatte einen Ort schaffen wollen, an dem sich Deutsche und Engländer weiter begegnen, reden und Spaß miteinander haben“, erinnerte er sich. Leider hatte er die in Deutschland notwendigen Vorschriften nicht beachtet und auch vergessen, Bauanträge zu stellen, bevor er loslegte … und so musste er „Little Britain“ im Sommer letzten Jahres schließen, in der Hoffnung, es wieder öffnen zu können, wenn er die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen hatte. „Ich bin in Verhandlung mit Gemeinderat und Kreisverwaltung und habe ein gutes Gefühl. Es wäre so schön, wenn wir dieses oder nächstes Jahr wieder aufmachen könnten.“ Auch für alle anderen kleinen und großen Fans des Vereinten Königreichs wäre es eine schöne Sache, ein bisschen „Great Britain“ vor der Haustür zu haben, wenn es bald schwieriger wird, auf die Insel zu reisen. Der Ausgang der Verhandlungen ist noch offen – die Queen, Mr. Bean und Dr. Who stehen bei Blackburns Zuhause aber immer noch bereit und hoffen auf einen erneuten Einsatz. 

KBL


Mehr zum Thema:


>> Do we need another Brexit?!

>> Drohender Brexit erhöht Erpels Einwohnerzahl

Artikel bewerten

rating rating rating rating rating
Kommentare können für diesen Artikel nicht mehr erfasst werden.
Stellenmarkt
Weitere Berichte

Fassungslosigkeit und Entsetzen bei Angehörigen und Beobachtern

Ex-Landrat wird nicht angeklagt: Einstellung des Verfahrens schlägt hohe Wellen

Kreis Ahrweiler. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat am 17. April 2024 das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Landrat des Landkreises Ahrweiler und den Leiter der Technischen Einsatzleitung (TEL) während der Flutkatastrophe an der Ahr 2021 eingestellt. Die umfangreichen Ermittlungen ergaben keinen ausreichenden Tatverdacht, der eine strafrechtliche Verurteilung ermöglichen würde. Dem Leitenden... mehr...

Polizei bittet Verkehrsteilnehmer keine Anhalter mitzunehmen

Andernach: Fahndung nach flüchtigen Personen und dunklem BMW

Andernach. Seit Mittwochabend, 17. April, gegen 22.37 Uhr finden im Bereich Andernach umfangreiche polizeiliche Fahndungsmaßnahmen nach flüchtigen Personen statt. Gefahndet wird nach einem dunklen 5er BMW mit Mönchengladbacher Kennzeichen (MG). Bei Hinweisen auf das Fahrzeug wird gebeten, sich umgehend mit der Polizei Koblenz unter 0261/92156-0 in Verbindung zu setzen. Nach derzeitiger Einschätzung besteht keine Gefahr für die Bevölkerung. mehr...

Regional+
 

Unfallfahrer konnte sich nicht an Unfall erinnern

Neuwied: Sekundenschlaf führt zu 20.000 Euro-Schaden

Neuwied. Am Montag, 15. April ereignete sich gegen 16.35 Uhr ein Verkehrsunfall auf der Alteck. Ein PKW wurde im Seitengraben vorgefunden, während ein weiteres Fahrzeug auf der falschen Fahrbahnseite zum Stehen kam. mehr...

Die Veranstalter rechnen voraussichtlich mit 500 Teilnehmern

Demo in Ahrweiler: Wilhelmstraße wird gesperrt

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Am Sonntag, den 21. April 2024, findet in Bad Neuenahr-Ahrweiler eine Versammlung unter dem Titel „Sei ein Mensch. Demokratie. Wählen“ statt. Die Veranstalter erwarten etwa 500 Teilnehmer. Aufgrund des geplanten Demonstrationszuges wird die Wilhelmstraße zeitweise gesperrt sein. mehr...

Anzeige
 
Sie müssen angemeldet sein, um einen Leserbeitrag erstellen zu können.
LESETIPPS
GelesenNeueste
Kommentare
Jürgen Schwarzmann :
Für alle Betroffenen im Ahrtal ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft schwer nachzuvollziehen. Ich hätte mir schon gewünscht, dass das Verfahren eröffnet worden wäre um so in einem rechtsstaatlichen Verfahren und einer ausführlichen Beweisaufnahme die Schuld bzw. Unschuld festzustellen. Die Entscheidung...
K. Schmidt:
Wenn ich das richtig sehe, gab es, bevor der Landkreis/Landrat die Einsatzleitung übernahm bzw. übernehmen musste, doch auch in den einzelnen Kommunen schon Leiter. Die staatsanwaltschaftlichen Arbeiten beziehen sich wohl nur auf Landrat bzw. dessen Kreisfeuerwehrleiter. Heißt das, darunter haben Herr...
K. Schmidt:
In der Pressekonferenz ging man auch auf die Warnungen und Hinweise dort, wo es sie gab, ausführlicher ein. So wurden Feuerwehrleute mancherorts belächelt, ignoriert, gar beschimpft. Dann frage ich mich, was soll dann irgendwer noch anderes tun? Wie will man denn jemanden regelrecht evakuieren, der...
Amir Samed:
Es sind nicht die Migranten, die Deutschland über Gebühr belasten, im Gegenteil, es sind die falschen, die mutwillig falsch hereingelassenen Migranten, und es sind die richtigen, die integren, fleißigen Migranten, die versuchen, mit den restlichen Deutschen dagegenzuhalten....
juergen mueller:
Liebe Frau Friedrich. Den werden weder Sie noch meine Wenigkeit überzeugen, ändern noch zum Schweigen bringen, einen, der doch fast nur von (vielleicht) klugen Sprüchen/Zitaten anderer lebt, das Internet auf der Suche nach Informationen durchforstet, die seine/r Meinung entsprechen/unterstützen u....
Amir Samed:
Zum Kommentar von Gabriele Friedrich einige (kluge) Worte von Margaret Thatcher: „Je lächerlicher, weit hergeholter und extremer ihre Versuche sind, uns zum Schweigen zu bringen, desto mehr freue ich mich darüber“...
Haftnotiz+
aktuelle Beilagen
Inhalt kann nicht geladen werden

 

Firma eintragen und Reichweite erhöhen!
Service