Besuch im ehemaligen Hotel Rheingold Bellevue

Ein Ort verdichteter Sehnsucht

Ein Ort verdichteter Sehnsucht

Badeluxus im Hotel, als Nasszellen in Wohnungen noch ein Fremdwort waren. Matthias Brand

Ein Ort verdichteter Sehnsucht

Verwaiste Stufen.

Ein Ort verdichteter Sehnsucht

Einst ein schöner Saal.

Rolandseck. „Es bleiben immer wieder Leute stehen, von der Straße aus oder vom Weg am Rhein. Die fragen, was es mit dem Haus auf sich hat.“ Was Klaus Decker bescheiden als „Haus“ bezeichnet, ist das einst prachtvolle Hotel Rheingold Bellevue. Es war einmal. Der Lack ist ab, niemand würde es bestreiten. Doch jene Betrachter, die fasziniert beim lang gestreckten Gebäude innehalten, spüren etwas vom Geist einer vergangenen Zeit, einer Zeit, als Rolandseck ein kleiner, aber keineswegs bedeutungsloser Ort war. Ganz im Gegenteil. Man darf die Ansiedlung für das 19. Jahrhundert bedenkenlos als Sammelpunkt verdichteter Sehnsucht ansprechen.

Rhein-Romantik

Bewaldete Höhen lockten zu Ausflügen und versprachen die herrlichsten Ausblicke. Die Leute schwärmten von der Sicht auf den Rhein, den Strom der Rheinromantik. Hier macht er eine stimmungsvolle Biegung, präsentiert in seiner Mitte die Insel Nonnenwerth mit einem Kloster. Gen Norden blickend, erfasst man an seinem linken Ufer hoch oben den Rolandsbogen. Rechtsrheinisch grüßt mit dem Drachenfels eine weitere sagenumwobene Anhöhe und das gesamte Siebengebirge. So setzte sich aus Bergen und Ruinen, Fluss und Eiland, Sagen und beschaulichem Leben geradezu idealtypisch das Bild einer rheinromantischen Landschaft zusammen. Es war vergleichsweise ruhig in Rolandseck. Und es gab reichlich Platz zur Ansiedlung, was betuchte Bauherren dazu bewegte, sich einen Sommer-, Ausweich-, Alterssitz zu bauen oder sich dort grundsätzlich niederzulassen. Vielfach um 1850, wie Haus Humboldtstein (ehemals „Villa Rolandshöhe“) verschiedentlich auch früher oder danach, entstanden eine Reihe großer Villen, so die italienisch inspirierte Villa Rolandseck des Kölner Unternehmers Johann Jacob vom Rath 1840 bis 1842, der klassizistische Rolandshof von um 1830 oder das Anwesen Haus Sölling, von 1858 bis 1860 errichtet.

„Hotel Billau“

Etwas früher schlug bereits, wie eine Annonce in der „Bonner Zeitung“ wissen lässt, die Stunde eines Gasthofes von Carl Billau: „Hiermit zeige ich an, dass ich heute, den 13. April 1856, meinen neuerbauten Gasthof eröffnet habe. Mein Bestreben wird dahin gehen, die mich mit ihrem Besuche beehrenden Gäste aufs Billigste und Beste zu bedienen, so wie ich noch extra bemerke, dass ich ein ausgezeichnetes Glas bayerisches Bier zu jederzeit verabreichen werde. Zugleich findet heute bei der Eröffnung Hornquartett von Trompeten des 7. Husaren-Regiments statt. Entree frei. Um zahlreichen Besuch bittet Carl Billau“.

Sein Hotel Billau war der Vorgänger des Hotel Rheingold-Bellevue. Carl Billau wies damals in seiner Eröffnungsankündigung darauf hin, das Haus liege „am Landungsplatze der Dampfschiffe und dem Stationsgebäude der Eisenbahn“, wie Victor Francke im General-Anzeiger vom 19. Mai 2015 schrieb. Ein Stahlstich Christian Hohes von 1857 zeigt das Stationsgebäude als Symbol des Fortschritts zentral in der Landschaft mit ihren bekannten Reizen Wald, Rolandsbogen, Rhein mit Insel und Segelschiff sowie der gegenüberliegenden Hügelkette. Hinter dem Bahnhof rechts steht das „Hotel Billau“, ausgewiesen durch einen gut lesbaren Schriftzug. Viele offenbar von der Bahn kommende Menschen streben darauf zu. Der Anbau links dient als Remise, vor der passenderweise eine Kutsche wartet.

Treffpunkt Bahnhof

Die Eisenbahn verbesserte die Verkehrsanbindung beträchtlich. Der Bahnhof Rolandseck, ein herrschaftlicher klassizistischer Bau, wurde zum Treffpunkt der prominenten Gesellschaft, die hier von der Endstation der Privatbahn (mit dem Weiterbau bis Remagen bald Durchgangsstation) auf das Rheinschiff oder die Kutsche wechselte. Für Kulturschwärmer und Lustwandler, die schon seit Jahren nach Rolandseck kamen, nahm das Hotel Billau also den denkbar besten Standort ein. Es ist etwa 1879 aufgeführt unter „Gasthöfe“ in Grieben’s Reisebibliothek No. 75 – Kleiner Führer für die Rhein-Reise von Köln bis Mannheim-Heidelberg: „Hotel Rolandseck (Groyen), beliebt, Hotel Roland, Familien-Hotel, Pension; Hotel Billau; Hotel Decker; Bahnhofs-Restauration.“

Darunter steht: „Man versäume nicht, den um das Stationsgebäude laufenden Balkon zu besuchen, und die herrliche Aussicht auf das Siebengebirge zu genießen“, ein Rat, den auch andere Reiseführer geben. Für Ausflüge in die Umgebung werden der Nachen nach Königswinter und Rüngsdorf genannt und die Eselstaxe „Zum Rolandsbogen 75 Pf.; zum Thurm des Herrn vom Rath 1 M.; zum Roderberg 150 Pf; für den Rückweg die Hälfte mehr.“ Der kluge Hotelier erkannte die Sogwirkung des Bahnhofs, sodass er beschloss, ihn zu imitieren.

Architektonischer Spiegel

Auf dem Stahlstich von 1857 erscheint das Hotel Billau noch in einfacher Bauweise. In der Folge aber erhielt es, wie sein großes Vorbild, erst am nördlichen, dann auch am südlichen Ende je einen Risalit und bot so ein kleines Spiegelbild. Zu der Vergrößerung der Herberge wäre es natürlich nicht gekommen, wenn kein Bedarf bestanden hätte. Den aber gab es. Mehr noch, das Hotel hat Eingang in die Literatur gefunden. Eine Szene von William Blacks Werk Kilmeny (1873) spielt darin. Da sie geeignet ist, Romantiker dahinschmelzen zu lassen, sei ein Auszug frei übersetzt: „Sie und ich waren in Rolandseck am Rhein, und wir waren ganz alleine dort. Es war spät im Herbst und all die Scharen von Touristen hatten sich wieder nach Hause begeben. Ich glaube, wir waren die einzigen Gäste im Hotel Billau, das den Fluss überblickt. Die Tage wurden jetzt kürzer und als wir nach dem Abendessen hinaus auf den Balkon gingen, war es ganz dunkel, und wir konnten kaum den großen Strom sehen, obwohl wir ihn plätschern hörten unten vor uns. Doch der Mond hatte sich langsam über die Hügel von Rolandseck erhoben. Also packte ich meine kleine Freundin in gemütliche Schals und Pelze, und zusammen warteten wir auf die kalte Nacht. Wie still es war und wie schön, als der ruhige wundervolle Glanz über die hinteren Hügel kam und uns das magische Bild zeigte, das rund um uns lag.“

Aus in den 1950ern

Das magische Bild hielt noch Jahrzehnte an. Mit seiner großen überdachten Panorama-Terrasse und gepflegten Gartenanlagen zum Rhein galt das Hotel Billau als eines der ersten Häuser am Platz. Zeitweilig gehörte es, nun unter dem Namen „Belle Vue“, mit seinem Nebenhaus, in dem heute Klaus Decker und seine Frau Christine wohnen, einem J. Pütz, wie Postkarten zeigen. Um 1900 erwarb es Deckers Großvater Ludwig Decker, der das Haus mit seiner Frau Paula führte. Der Name änderte sich in „Rheingold Bellevue“. In der Hauptsaison unterstützten 18 Angestellte den Betrieb des Hotels mit seinen acht Doppel- und acht Einzelzimmern, dem im Garten noch ein halb offener Bierpavillon angegliedert war.

„200 Menschen saßen da. Für sie gab es außen Herren- und Damentoiletten mit separatem Eingang“. Ludwig Deckers Sohn, der auf denselben Namen hörte, baute später noch das Belvuechen an. Das Restaurant mit Flair ist heute verpachtet. Wie sich Klaus Decker erinnert, hat sein Vater Ludwig Decker Junior das Hotel, zu dem auch ein Tanzsaal gehörte, zuletzt in den 1950er Jahren für zwei Saisons geöffnet. Die großartige Lage war Segen und Fluch zugleich. „Bei Hochwasser war die große Hotelküche jedes Mal überflutet“, so Klaus Decker zum Dilemma. Auch weiß er noch, dass sein Vater 1926 den Terrassensaal mit dem Paddelboot durchquert hat.

Ende einer Ära

Überhaupt war eine Ära zu Ende gegangen. Der Höhepunkt der Rheinromantik war überschritten. In früheren Jahrzehnten herrschte eine aufgekratzte Stimmung. Dichter und Maler der Rheinromantik liebten Rolandseck und die Insel Nonnenwerth. Grafiken und Gemälde zeigen ihn immer wieder, den beseelten Blick auf das besiedelte linke Rheinufer, Nonnenwerth und das Siebengebirge. Großes Aufsehen erregten der Einsturz des Rolandsbogens am 8. Dezember 1839 und der Spendenaufruf des in Unkel lebenden Dichters Ferdinand Freiligrath zum Wiederaufbau. Ihm wurde dafür 1914 am Weg zum Bogen das Freiligrath-Denkmal am Fußweg vom Rheintal zum Rolandsbogen errichtet. Ein schwärmerisches Fieber löste auch der Aufenthalt Franz Liszts auf der Insel Nonnenwerth aus, wo er 1841 seinen Geburtstag feierte und ihn die Ovationen zahlreicher Chöre beehrten. Der Erste Weltkrieg war eine Zäsur. Danach setzte eine neue Entwicklung ein: Es gab Bemühungen Rolandseck zum Kurort zu machen. Um 1918 eröffnete das Kurhotel „Haus Lebensquell“ in der ehemaligen „Villa Rolandshöhe“.

Boomende Gastlichkeit

Vor dem Zweiten Weltkrieg erlebten die Gasthäuser einen guten Zuspruch. „Es kamen hier früher im Sommer an einem Tag mehrere Hundert Touristen an der Hauptanlegestelle der Köln-Düsseldorfer Dampfschiffsgesellschaft an, die sich dann auf die Häuser verteilten. Das waren das Hotel Anker, das Belle Vue mit der Villa Belle Vue, das Hotel Rolandseck, der Düsseldorfer Hof und der Krefelder Hof und das Hotel Decker im Besitz meines Großonkels Julius und seiner Frau Else.“

Diese Häuser der Gastlichkeit sind mit den veränderten Reisegewohnheiten der Gäste untergegangen. Viele heutige Einwohner kennen nicht einmal mehr ihre Namen. Anders Klaus Decker, der von den einstigen beiderseits der Hauptstraße stehenden Bauten des Kyffhäuserheims berichtet und Haus Kasselbach, ein Erholungsheim der Stadt Aachen. „Nach dem Zweiten Weltkrieg waren alle diese Häuser, auch unser Hotel, Ausweichkrankenhäuser“. Das Kurhotel „Haus Lebensquell“ gehörte auch dazu. Später wurden einige abgerissen, andere wandelten sich in Wohnräume. Das Kurhaus wurde türkische Botschaft und schließlich zur AWO-Tagungsstätte „Haus Humboldtstein“. Wieder andere, wie das einstige Hotel Anker und das Rheingold Bellevue, liegen ungenutzt brach.

Wasmuth war angenehm

Dabei hat Letzteres durchaus Folgenutzungen erfahren. Nach der kurzen 1950er-Hotelphase diente es im selben Jahrzehnt bis 1963 der FGAN Gesellschaft zur Förderung der astrophysikalischen Forschung e. V. als Domizil. Neun Jahre lang war ein Herr Ruppel mit Antiquitäten im Haus. „Das ist 40 Jahre her“, sagt Klaus Decker. Danach sei an Studenten vermietet worden, aber nur kurz. Großes Interesse habe Johannes Wasmuth an der Liegenschaft gezeigt. Der Kunstvermittler und Freund der Künstler hatte 1964 den Bahnhof Rolandseck gemietet, ihn zum Künstlerbahnhof gemacht und so vor dem Abriss gerettet.

„Der Wasmuth war angenehm. Er ging hier im Belvuechen essen und hatte immer sehr interessante Leute dabei.“ Namen fallen: Stefan Askenase, Pianistin Martha Argerich, Laos Barta („ein großer Künstler“), Rosalie Rother („Rosalka, das war auch ein Unikum“), Marcel Marceau und Steven McKenna, der die Toiletten des Bahnhofs ausmalte, „ein sehr netter Mensch“. Wasmuth zahlte fürs Essen: „Er war nicht kleinlich.“ Decker mochte ihn, hatte aber den Eindruck, Wasmuth wolle das Gebäude „umsonst haben“. Wäre es anders gewesen, stünde das Arp Museum vielleicht heute am Ort des Rheingold Bellevue. So aber blieb es in Deckers Hand, der das vormalige Hotel inzwischen an seinen Sohn Klaus weitergereicht hat.

Hotel wird Konzerthalle

2014 zog noch mal Leben in das Erdgeschoss ein, und zwar durch die Johannes-Wasmuth-Gesellschaft (JWG), die Ideen und Ansätze von Wasmuth (gestorben 1997) lebendig halten will. „Wir haben von Mai 2014 bis Winter 2014/15 jeden Monat ein Konzert ausgerichtet“, erklärt Vorstandsmitglied Torsten Schreiber. Räume wurden gesäubert und Stützen im Terrassenraum eingesetzt. Interviewt von Cornelia Rabitz, erläutert Torsten Schreiber auf der Webseite der JWG: „Klavierabende, Auftritte von Kammermusik-Ensembles, eine Summer School für junge Talente aus Ramallah, die uns Daniel Barenboim vermittelte – den ganzen Sommer über war etwas los. Auch auf der Wiese zum Rhein hin, die wir nutzen durften. Während des Rolandseck-Musikfestivals im Juli 2014 diente das Hotel den Musikern als Aufenthalts-und Probenraum.“

Als die Decke im Auftrittsraum nicht mehr sicher war, endeten die Konzerte dort. Aber in der vom JWG angemieteten separaten Wohnung des Hotels lebt noch die erste Stipendiatin Myriam Farid. Beim Rundgang mit Klaus Decker im verlassenen Hotel sind Klavierklänge zu hören, die Pianistin übt für das anstehende Konzert. Klaus Decker liebt das Gebäude mit seiner reichen Geschichte. Wenn er könnte, so sagt er, „würde ich das Haus wieder so bauen, nur etwas höher wegen des Hochwassers“. Er hofft auf eine gute Nutzung in der Zukunft, vielleicht eine Klinik.

Der romantische Blick

Das Rheingold Bellevue glänzt nicht mehr, dennoch nehmen romantisch veranlagte Menschen einen Schimmer einstiger Größe wahr. Matthias Brand, Berufsfotograf mit Schwerpunkt Werbung und Industriefotografie, erging es so. Als ein Auftrag ihn ins Haus führte, erlag er dem verblichenen Reiz. Die JWG stellte den Kontakt zu Klaus Decker her und Brand durfte sich mit der Kamera im verlassenen Gemäuer umsehen. Er blickte in Flure, stieg ins Treppenhaus, öffnete Zimmer und Balkontüren. Er nahm die abblätternde Farbe auf dem Holz und das feine Krakelee türkisfarbener Badkacheln ins Visier sowie den stilvollen gelben Ofen im einstigen Salon und Lesezimmer, von dem keine Wärme mehr ausgeht.

Fotografenmeister Matthias Brand wählte für seine Aufnahmen des Hotels Rheingold Bellevue bewusst hartes, kontrastreiches Licht, „um das Objekt hervorzuheben und ihm Charakter zu verleihen. Durch Übersteigerung von Kontrasten sind besonders Details und Strukturen extrem herausgearbeitet, beispielsweise Risse im Putz oder in der Glasur von Fliesen.“ Auch nahm er Farbe aus den Bildern, was die Räume zusätzlich altern lässt. So verfolgt der Fotograf mit der Serie „Architektur im Dornröschenschlaf“ kein dokumentarisches Interesse, sondern setzt seine eigene Sicht hell in Szene. Von den Fotos hat Brand einen Kalender für das Jahr 2018 auf hochwertigem Fotopapier herausgegeben, zu bestellen im Focus-Fotostudio, www.focus-vallendar.de, Tel. (02 61) 21 01 81.