Der letzte Büroleiter von Willy Brandt war wieder in der Unkeler Gedenkstätte zu Gast

Ein ganz außergewöhnlicher Mann

Ein ganz außergewöhnlicher Mann

Neben dem Gastredner, Klaus Lindenberg, konnten Christoph Charlier, Rudolf Barth und Rudolf Rupperath auch den Ex-Juso-Chef Wolfgang Roth im Willy-Brandt-Forum begrüßen. DL

Unkel. Einen der wenigen noch lebenden Augen- und Ohrenzeugen aus Willy Brandts Zeit als „Staatsmann ohne Staatsamt“ hatten die Vorsitzenden der Unkeler Bürgerstiftung „Willy-Brandt-Forum“, Christoph Charlier und Rudolf Barth, mit dem Diplom-Politologen Klaus Lindenberg eingeladen. Dieser war nach seiner Zeit als Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) von 1971 bis 77 in Venezuela sowie anschließend als Referent für Sonderaufgaben für die FES-Geschäftsführung von 1986 bis 92 außenpolitischer Berater von Willy Brandt als Präsident der Sozialistischen Internationale (SI). „Bestimmt erinnern sich noch einige von Ihnen an seinen Bericht hier im September 2014 über die Bagdadreise von Willy Brandt“, begrüßte Christoph Charlier die Zuhörer im Seminarraum des WBF, unter diesen auch der ehemalige Bundesvorsitzende der Jusos (1972 bis 74), Wolfgang Roth, der 1976 über die Landesliste der SPD Baden Württemberg in den Bundestag gewählt worden war, dem er von 1981 bis 91 als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion bis September 1993 angehörte, als er das Mandat nach seiner Wahl zum Vizepräsidenten der Europäischen Investitionsbank niederlegte. „Das Treffen mit dem Diktator Saddam Hussein, um deutsche Geiseln zu befreien, war nicht die einzige internationale Reise, zu der Willy Brandt aus Unkel aufgebrochen ist. Nach 1976 hat er von hier aus mehr als 200 Auslandsreisen unternommen“, so Christoph Charlier. Nach seinem Sturz habe Brandt sein internationales Prestige genutzt, um als Präsident der SI und Vorsitzende der Nord-Süd-Kommission aktuelle Antworten auf die Fragen von Hunger und Krieg, von Entwicklung und Frieden zu suchen und diese auch zu finden, betonte er, bevor Klaus Lindenberg seinen Vortrag „Willy Brandts späte Jahre – Internationale Begegnungen aus der Nähe!“ begann.

Bewunderung und Anerkennung

„Das erste Mal getroffen habe ich Willy Brandt 1975 in Caracas, von 1977 bis 92 habe ich dann seine Reisen organisiert und ihn auch auf den meisten davon begleitet“, berichtete der Gastredner. Wenn der Fahrer Hans Simon sie auf dem Köln/Bonner Flughafen am Tor 13 abgesetzt habe, sei von dem angeblich so Unnahbaren alles abgefallen, was ihm die dunkele Seite der Bewunderung, der Neid, in Deutschland bescherte habe. „Dagegen hat Willy Brandt im Ausland politische und persönliche Bestätigung erfahren, dort flogen ihm Bewunderung und Anerkennung entgegen“, so Klaus Lindenberg, bevor er sich der Beziehung seines ehemaligen Chefs zu Michail Gorbatschow widmete. Mitte der 80-er Jahren, also mitten im „zweiten Kalten Krieg“ habe Willy Brandt begonnen, Möglichkeiten einer zweiten „Neuen Ostpolitik“ zu erkunden. Dies sei in Deutschland auch innerhalb der SPD nicht unumstritten gewesen, ja sogar auf heftige Kritik gestoßen als „Neben-Außenpolitik“, die sich dann aber 1998/99 als äußerst hilfreiche „Vorarbeit“ erwiesen habe.

Treffen mit Gorbatschow

„Im Mai 1985 kam es zu einem ersten Treffen in Moskau mit dem zwei Monate zuvor gewählten KPdSU-Generalsekretär, dessen offenes Lachen bewirkte, dass Brandts ‚Lübecker Jalousienblick‘ verschwand. Ganz ohne Zettelwirtschaft, also ohne vorgefertigte Verlautbarungen und ohne dass Blicke der beiden Gesprächspartner sich in Unverbindlichkeit verloren hätten, kam es zu einem echten, über dreistündigen Gedankenaustausch über das europäische Haus“, erinnerte Klaus Lindenberg. Im April 1988 habe Willy Brandt bei einem Empfang im Katharinensaal des Kreml, in dem 1970 der Moskauer Vertrag unterzeichnet worden war, mit Gorbatschow im Sinne der Perestroika und Glasnost über eine Demokratisierung der Sowjet Union gesprochen, um seinen Gesprächspartner dann um ein Treffen mit Andrei Sacharow zu bitten. „Die Verbannung des Dissidenten nach Gorki war erst im Dezember 1986 nach sechs Jahren aufgehoben worden. Gorbatschows vertrauensvoller Kommentar: „Sie wissen schon richtig damit umzugehen!“, erinnerte der Referent. Beim Deutschlandbesuch des Generalsekretärs im Sommer 1989 sei die Enttäuschung Gorbatschows hinsichtlich des Scheiterns seiner Glasnost- und Perestroika-Politik schon erschütternd gewesen. Allerdings habe er da schon in dem Gespräch über ein gemeinsames Dach beider deutscher Staaten Veränderungen in der DDR angesprochen. „Dabei waren seine Vorstellungen darüber wesentlich konkreter als die von Willy Brandt. Wie nah sich die beide Staatsmänner gekommen waren, belegten nicht nur ihre Sprach- und Wortwahl, deutlich sichtbar wird dies auch auf einem Foto durch ihre Körpersprache“, belegte Klaus Lindenberg mit einer seiner privaten Fotografien.

Auf Asienreise

Auch auf Brandts Asienreise im Juni 1984 mit Egon Bahr und Hans-Jürgen Wischnewski ging der Redner ein. „Herzlichkeit auf allen Ebenen, ob von Seiten des KP-Generalsekretärs, Hu Yaobangs, oder des Vorsitzenden der Beratenden Kommission des Zentralkomitees, die für eine Wachablösung zwischen den Generationen sorgen soll, Deng Xiaoping. Immer gestalteten sich die Gespräch äußerst angenehm, weil in dem Deutschen der Mann gesehen wurde, weil er seinen Beitrag zum Frieden in der Welt geleistet habe und für Abrüstung kämpfe“, so Klaus Lindenberg. In Indien bei Indira Gandhi sei die Herzlichkeit nicht überraschend gewesen, hätten die Politiker des Subkontinents doch in der Nord-Süd-Kommission mitgearbeitet, wobei der „Brandt-Report“ als ein wichtiger Beitrag zum Interessenausgleich gewertet worden sei, erinnerte der Zeitzeuge, um dann auf die Süd- und Mittelamerikareise einzugehen, bei der Willy Brandt 1985 in drei Wochen elf Länder besuchte. Dabei traf er nicht nur Raùl Alfonin, den ersten Präsidenten Argentiniens nach der Militärdiktatur, oder etwa Daniel Ortega Saavedra, den Präsident von Nicaragua und Vorsitzender der Frente Sandinista de Liberación Nacional, in Lima gerade erst gewählten peruanischen Präsidenten Alan Garcia, sondern auf Kuba auch Fidel Castro.

Gute Freunde

Natürlich überging Klaus Lindenberg auch nicht Felipe Gonzales, der nicht nur bei der Eröffnung des WBF vor fünf Jahren, sondern auch beim Staatsakt am 17. Oktober in Berlin eine bewegende Rede auf seinen väterlichen Freund gehalten hatte, dem er im März desselben Jahres ein letztes Mal getroffen hatte. „Neben dem ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten zählten die Sozialdemokraten Bruno Kreisky, der von 1970 bis 83 Bundeskanzler der Republik Österreich war, und Olof Palma, Premierminister von Schweden 1969 bis 76 und von 1982 bis zu seiner Ermordung am 28. Februar 1986, zu seinen engsten Freunden“, so der Gastredner, der nach eigenem Bekunden, nicht gekommen war, um einen wissenschaftlichen Vortrag zu halten. „Ich wollte Ihnen eine Erzählung über einen ganz außergewöhnlichen Mann anbieten, der die letzten Jahre seines Lebens hier bei Ihnen gewohnt hat“, betonte Klaus Lindenberg, dem Christoph Charlier bescheinigte, zu den Wenigen zu zählen, die nicht nur etwas zu erzählen haben, sondern die auch erzählen können.