Kulturbahnhof: Klare Sicht und kein Insektenschiss

Gregor Pallast gastierte mit seinem Programm „Ansichtssache“

Gregor Pallast gastierte mit
seinem Programm „Ansichtssache“

Kabarettist Pallast betrachtet die Dinge von vielen Seiten und bleibt auf der Bühne stets in Bewegung. Foto: HG

27.09.2022 - 08:48

Bad Breisig. Politisches Kabarett auf der Kulturbühne in Bad Breisig, damit sind die Organisatoren durchaus ein Risiko eingegangen, hat doch das Genre den Ruf anstrengend zu sein. Indes füllten sich die Reihen zufriedenstellend und was Gregor Pallast bei „Ansichtssache“, seinem dritten Kabarettprogramm, an Analyse und Fazits ablieferte, war raffiniert ausbalanciert zwischen bekömmlich, satirisch und beißend.

Sein Publikum wusste er altersmäßig sofort einzuschätzen, begrüßte im Jugend- und Kulturbahnhof freundlich die Leute, die „heute Abend enkelfrei haben“, um gleich zu fragen, „waren Sie eigentlich auch so überrascht wie der Bundeskanzler über die Zeitenwende? Wie da „über Nacht plötzlich aus dem lupenreinen Demokraten Putin“ ein Kriegsentfesseler wurde? Bis zum 24. Februar hat es ja lange keine Kriege gegeben. Autsch. Jedenfalls nicht in Europa.

Zeitenwende rundum: Atomkraft gilt wieder als sicher. Wirtschaftsminister Robert Habeck reist um die Welt, um Energie bei schwierigen Partnern einzukaufen und Annalena Baerbock setzt sich für Waffenlieferungen in die Ukraine ein. „Das hätte man den Grünen mal vor 20 Jahren erzählen sollen!“ Zeitenwende auch beim Waldsterben. In den 1980ern hieß es schon, kein Blatt bleibe mehr an den Bäumen. Nun ist das noch nicht eingelöst, schon gibt es, die Nadelbäume betreffend, das Waldsterben 2.0 und das Insektensterben dazu. Wespen und Fruchtfliegen halten sich nicht dran, hat der Kabarettist beobachtet. Grundsätzlich aber hätten Laub- und Insektenschwund auch ihr Gutes: „Klare Sicht und kein Insektenschiss auf der Windschutzscheibe“. Ist eben alles Ansichtssache.


Zitrone und Limonade


So springt er von Thema zu Thema, wechselt immer wieder die Perspektive, bleibt auch auf der Bühne in Bewegung, bemüht, bloß nicht zu negativ aufzutreten. Die Gäste wollen ja trotz allem gut unterhalten sein. Das versteht Pallast, außerdem würden es Bedenkenträger nicht weit bringen, sagt er, Menschen, die sich auf das Positive konzentrieren, schon. Deshalb fallen ein paar Namen, darunter Wernher von Braun, Raketenbauer in Nazi-Deutschland und später in Amerika. Dass der sich mit allen verstand, habe ihm keineswegs geschadet. In dem Kontext tut Pallast kund, wann es den ersten Deutschen Bundestag ohne ehemalige NSDAP-Mitglieder unter den Abgeordneten gab: 1998, erstaunliche 53 Jahre nach Kriegsende. Aber halb so wild, das waren ja alles nur Mitläufer, die gar nicht begriffen hatten, für was die Partei stand.

Manches lässt sich schlichtweg nicht schönreden, etwa wenn die Autoindustrie Abgasbetrügereien betreibt und Verkehrsminister Volker Wissing ein Tempolimit wegen Schildermangel für nicht umsetzbar hält. Wenn Banken und Millionäre sich Milliarden Steuern erstatten lassen, die sie niemals gezahlt haben, wenn der EU jedes Jahr Unternehmersteuern in Höhe von einer Billion Euro hinterzogen werden.

Zur anzustrebenden positiven Grundhaltung zitiert Pallast Virginia Woolf: „Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade draus“. Serviert es jedoch nur noch Zitronen, wird sogar deren Versüßung des Guten zu viel. Selbst Optimismus behagt dem Mann auf der Bühne nicht per se. Ein Mensch, der ihm morgens einen schönen Tag prophezeit, in Ordnung, aber ein Klempner, der optimistisch auf sein Arbeitsergebnis blickt, muss nicht sein.


Volles Glas


Wie sich die Dinge bewerten lassen, komme immer auf die Umstände an, wie beim Glas Wasser, das nicht nur halb voll oder halb leer sein kann. Trump sagte gar, es seien zwei Gläser, ohne die Chinesen wären es drei, vier hätten die Mexikaner geklaut. Steinzeitmenschen hatten nicht einmal Gläser. Sie hätten deswegen aber kaum Depressionen gehabt. Nein, bei Ausgrabungen seien keine Therapiezentren aus der Zeit gefunden worden. Aber ernsthaft, es geht nicht nur um die Menge an Wasser.

Pallast empfiehlt, sich nicht mit den falschen Leuten zu vergleichen. In den 1950ern hätten beispielsweise ein Kühlschrank, eine Waschmaschine und ein Fernseher gereicht, dass sich die Leute wie ein König fühlten. „Die waren damals nicht genügsamer als wir, aber man war mit Kühlschrank und Fernseher mit Blick auf die Nachbarschaft schon ganz vorne mit dabei.

Es ging aufwärts. Und je weniger im Glas ist, desto mehr freut man sich doch, wenn nachgeschenkt wird.“ Heute befänden wir uns in der Epoche des Neobarock. „Alles übertrieben“, der Konsum, die Verschwendung, die Art zu reisen. Mit einem Erlebnis im Barockschloss in Ludwigsburg spannte Pallast den Bogen von Barock bis Neobarock. Da gibt es doppelte Wände. Durch die Gänge dazwischen lief das Personal, „damit die Herrschaften die Diener nicht sehen mussten, das war wie auf dem Kreuzfahrtschiff“.

Halb mahnend, halb beruhigend gab Pallast den dankbaren Gästen am Ende des nachdenklichen Abends mit auf den Weg: „Freuen Sie sich, trotz Energiekrise ist unser Glas wahrscheinlich fast voll“.

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