Bänkelsang mit lokalem Bezug zum „Gasperkreuz“ fesselte früher die Besucher
Historisches zum Breisiger Zwibbelsmaat
Bad Breisig. Der Breisiger Zwibbelsmaat hat seinen historischen Ursprung in der Verehrung der Kreuzreliquie am Fest Kreuzerhöhung (14. September) in der Kirche der früheren Templer-, später Johanniter- bzw. Malteserkommende an der Koblenzerstraße, wo seit dem 14./15. Jahrhundert zu diesem Anlass im Bereich der Kommende alljährlich ein Jahrmarkt stattfand. Von dieser Anlage steht heute nur noch das Gebäude des Templerhofs. 1794 besetzten französische Revolutionstruppen die Rheinlande, die ab 1802 französisches Staatsgebiet wurden. Das Kirchengebäude der Templer wurde in französischer Zeit abgerissen. Die Kreuzreliquie konnte aber gerettet werden und gelangte in die Pfarrkirche St. Marien zu Niederbreisig, wo sie noch heute ausgestellt und verehrt wird. Der Jahrmarkt verlagerte sich danach erst im 19. Jahrhundert - lange noch als Heiligkreuzmarkt und nicht als „Zwibbelsmarkt“ bezeichnet - in die Straßen um die Pfarrkirche St. Marien von Niederbreisig. Der Zwibbelsmarkt ist also nicht der „Traditionsmarkt seit 1374“, wie auf aktuellen Plakaten 2023 propagiert! Im Jahre 1374 erhielten die Einwohner und das Dorf Breisig vielmehr auf Intervention des Burggrafen Johann von Rheineck von Kaiser Karl IV. das Marktprivileg/Recht, an jedem Montag einen Wochenmarkt abzuhalten. Das war nicht der Heiligkreuzmarkt/Zwibbelsmaat. Der war ein Jahrmarkt um das Fest Kreuzerhöhung am 14. September und kein Wochenmarkt im Jahreslauf. Der ursprüngliche Heiligkreuzmarkt, später Zwibbelsmaat, kam in der heutigen Ausprägung wohl erst in preußischer Zeit nach 1815 zustande. Zur Zeit des Alten Reiches konzentrierte sich dieser Jahrmarkt auf das Umfeld der Templerkommende an der Koblenzerstraße. Erst später wurde er im Ortskern in den Straßen um die Pfarrkirche von Niederbreisig veranstaltet.
Vom landwirtschaftlich geprägten Jahrmarkt wandelte sich der Jahrmarkt mehr und mehr zum Krammarkt mit Billigangeboten. In Kriegs- und Notzeiten sowie bei Seuchengefahr fiel er zeitweilig aus, zuletzt aufgrund der Pandemie. Aktuell wird er vom 16. – 19. September 2023 in abgespeckter Form veranstaltet, denn Stände und Buden dürfen nicht mehr in der Biergasse und Bachstraße aufgestellt werden.
Bänkelsang
Zu allen Zeiten gehörte zum bunten Markttreiben neben den Verkaufsständen auch eine volkstümliche Unterhaltung der Besucher. Zur beliebten Volksbelustigung zählte im 19. und frühen 20. Jahrhundert der inzwischen ausgestorbene Bänkelsang. Im Jahre 1774 wird der Bänkelsänger folgendermaßen charakterisiert: Er ist „ein Landstreicher, der auf den Gassen von hölzernen Bänken allerley Mordgeschichten absingt.“ Somit zählte er zum fahrenden Gewerbe mit geringem sozialem Ansehen. Hauptsächlich trat er auf Märkten und bei Patronatsfesten (Kirmes) auf, jedoch wanderte er zwischenzeitlich von Dorf zu Dorf. Da zum Breisiger Zwibbelsmaat große Menschenmassen zusammenströmten, bot er für den Bänkelsänger eine günstige Gelegenheit zur Ausübung seiner Kunst. Im Repertoire des Bänkelsängers waren sensationell aufgebauschte Begebenheiten, Naturkatastrophen, Feuersbrünste, Überschwemmungen, Vulkanausbrüche in fernen Ländern, Erdbeben, Kriege, Mordgeschichten, Überfälle und menschliche Tragödien aller Art. Gesang mit Musikbegleitung und das Zeigen auf blutrünstige, grobschlächtige Bilder waren konstituierende Elemente des Bänkelsangs. Als Begleitinstrument diente hauptsächlich die Drehorgel. Dem sensationshungrigen Publikum wurden furchterregende Ereignisse auf gar „schröckliche“ Weise dargeboten. Wahre oder für wahr gehaltene Geschichten wurden zum Besten gegeben und durch „Beweise“ glaubwürdig gemacht. Hierzu zählte in Niederbreisig auch der Hinweis auf das „Gasperkreuz“ im Breisiger Wald. Lehrer Josef Breitbach, der in den 1950-er Jahren ein heimatgeschichtliches Werk schrieb, hatte dies noch in seiner Kindheit und Jugend im 19. Jahrhundert erlebt.
Zum Gasperkreuz
Was hat es nun aber mit dem genannten Gasperkreuz auf sich? Nur noch aufmerksamen Wanderern fällt an einem Waldweg auf der Mönchsheide das sogenannte schlichte Gasperkreuz aus Basaltlava am Wegrand auf. Es trägt die Inschrift: Mathias Gasper Ist hier Verunglük 1809
An dieser Stelle geschah also vor nunmehr 214 Jahren ein Unfall, dessen Begleitumstände im Dunkel liegen. Durch Recherchen konnten zumindest einige Angaben zur Person des Matthias Gasper ermittelt werden: Breisig gehörte damals zum französischen Staatsgebiet. Die Franzosen hatten im Zuge einer umfassenden Verwaltungsreform bereits 1798 Personenstandsregister eingeführt, Vorläufer der heutigen Standesamtsunterlagen. In französischer Sprache wurden darin von der Zivilbehörde Geburten, Heiraten und Todesfälle amtlich dokumentiert. Zuvor waren diese von den Pfarrern in den Kirchenbüchern festgehalten worden. Niederbreisig war Mairie (Bürgermeisterei) und zählte zum Kanton Andernach im Rhein-Mosel-Departement. Der Maire (Bürgermeister) von Niederbreisig hieß 1809 Keiffenheim. Seine Familie war schon zur Zeit des Alten Reiches mit führenden Verwaltungsaufgaben im Breisiger Ländchen, dessen Landesherrin die Fürstäbtissin von Essen war, betraut gewesen.
Am 18. Januar 1809 trug Bürgermeister Keiffenheim ins Sterberegister von Niederbreisig ein, dass Nachbarn den Tod des Mathias Gasper gemeldet hatten. Gasper war am 22. September 1756 in Niederbreisig geboren worden und fungierte als Feldhüter. Am 17. Januar 1809 war er um vier Uhr nachmittags verstorben. Die Todesursache wird nicht angegeben. Wir erfahren also in der amtlichen Eintragung nicht, was sich im Wald auf der Mönchsheide ereignet hatte. War es ein Jagdunfall, ein Unglücksfall zur Winterzeit bei Eis und Schnee, wurde Gasper tot aufgefunden, starb er noch im Wald oder erst nach seinem Auffinden und dem Transport in seinem Hause? Über all das erhalten wir keine Auskunft. Der Tod Gaspers wird lediglich vor dem Bürgermeister von Zeugen bestätigt und amtlich erfasst. Ein Arzt, den es in Niederbreisig damals auch noch nicht gab, musste dies nicht bescheinigen und wie heute allgemein üblich einen Totenschein ausstellen. Bei den Zeugen handelt es sich um Nachbarn des Verstorbenen: Antoine Salscheider, 36 Jahre alt und Zimmermann von Beruf sowie den 46-jährigen Landwirt Martin Zinn, beide aus Niederbreisig. Die zu Protokoll gegebene Anzeige des Todes wurde den beiden Zeugen vorgelesen und musste von ihnen durch Unterschrift bestätigt werden. Zinn tat dies in einer Weise, die zeigt, dass er im Schreiben nicht sehr geübt war. Salscheider dagegen erklärte, dass er des Schreibens nicht kundig sei, damals nichts Ungewöhnliches. Mit der Unterschrift von Bürgermeister Keiffenheim schließt das amtliche Dokument.
An der Stelle im Breisiger Wald, an der Matthias Gasper am 17. Januar 1809 verunglückt war, errichtete seine Familie das bis heute erhaltene schlichte Unglückskreuz. Wanderer sollten dort beim Vorübergehen des Toten gedenken und für sein Seelenheil beten, so die vormals tief in der Volksfrömmigkeit verankerte Vorstellung.
Dass das Gasperkreuz schließlich sogar Eingang in den Bänkelsang auf dem Breisiger Zwibbelsmaat fand, erklärt sich wohl dadurch, dass Bänkelsänger bei ihren Auftritten die Aufmerksamkeit der heimischen Zuschauer und sonstigen Markbesucher durch lokale Bezüge steigern wollten. Auf Aktualität und nachprüfbare Wahrheiten kam es dabei nicht an, zumal bei dem vorliegenden Unfall anno 1809 die näheren Umstände, die zum Tod des Feldhüters geführt hatten, unklar waren und im Laufe der Jahre in Vergessenheit gerieten.
Leonhard Janta
