Sinzigs Bürgermeister gegen das Dirnenwesen in der Stadt

Hoffnung auf Besserungdurch einen tüchtigen Pastor

Hoffnung auf Besserung
durch einen tüchtigen Pastor

Hoffnung auf Besserung
durch einen tüchtigen Pastor

Hoffnung auf Besserung
durch einen tüchtigen Pastor

Sinzig. Zu den klassischen Aufgaben eines Bürgermeisters gehört es sicher nicht, sich Gedanken über den „sittlichen Zustand der Bevölkerung“ seiner Stadt zu machen und gegen „liederliche Dirnen“ zu Felde zu ziehen. Geschehen ist dies aber in grauer Vorzeit einmal in Sinzig.

Es war die Zeit zwischen 1822 und 1829. Damals lebten in Sinzig ungefähr 1.600 Menschen. Bürgermeister war ein Simon Josef Knieps (1822-1834)1) und katholischer Pastor ein Jakob Theodor Tassi (1804-1827).2)

Über die Sorgen von Bürgermeister Knieps schreibt Hans Kleinpass:3)

„Auch in sittlicher Hinsicht fand Bürgermeister Knieps offenbar arge Missstände vor, als er sein Amt in Sinzig antrat. ‚Im Oktober 1822 berichtete er (das heißt Bürgermeister Knieps) dem Landrat über den sittlichen Zustand der Bevölkerung: .. Dieser taugt durchaus nicht und sind wenig ausgenommen, selbst beim gemeinen Volk, die nicht sich mit liederlichen Dirnen abgeben. Allein diesen Unfug zu steuern sind bereits die zweckdienlichen Maßregel ... ergriffen worden.‘Auch nach Jahresfrist hatte Bürgermeister Knieps noch Beanstandungen vorzubringen, und im Oktober 1823 klagte er: ‚...Möchte nur ein tüchtiger und einflussreicher Pfarrer hier seyn. Der Zustand der Bewohner in der Moralität bedarf vieler Abänderungen.‘ ... Auch im Monatsbericht von November 1823 warf Knieps dem damaligen Pfarrer Tassi mangelnde Energie vor und versprach sich erst von einem tüchtigen neuen Pfarrer eine Besserung der allgemeinen Moral. Immerhin konnte Knieps im Dezember 1823 dem Landrat eine gewisse Besserung des ‚sittlichen Zustandes der Einwohner melden,...weil den verdorbenen Buhl-Dirnen Schranken gesetzt worden und dieselben nicht mehr abends ihre Speculations-Promenaden aus Furcht von der Wache arretiert zu werden, machen können‘. Ein Jahr später konnte Knieps im Dezember 1824 berichten, der sittliche Zustand der Einwohner habe sich viel gebessert, dazu seien ‚....die hiesigen Buhldirnen theils geheiratet, theils auseinandergesprengt und zum Bettelstaeb herabgesunken.‘ Am 15. Januar 1825 erging dann eine Allerhöchste Kabinettsorder, wonach die der öffentlichen Unzucht nachgehenden Weibspersonen mit Gefängnis oder Zwangsarbeit von acht Tagen bis vier Wochen bestraft wurden.

Auf den neuen und offenbar auch tüchtigen Pfarrer Sebastiani musste Knieps allerdings noch bis 1828 warten, ließ jedoch auch danach in seinen Bemühungen nicht nach. Um die Sittlichkeit noch mehr zu fördern, so berichtete Knieps im Januar 1829 dem Landrat, habe er ‚wegen der nächtlichen Schwärmereien die alten bestehenden Verordnungen, wonach die Wirtshäuser abends 10 Uhr geschlossen sein müssen, in Erinnerung gebracht‘.“

Damalige Moralvorstellungen

Diese Geschehnisse in früherer Zeit in Sinzig sind nur unter Berücksichtigung der damaligen Moralvorstellungen zu verstehen. Es war die Zeit, als die kirchlichen und gesellschaftlichen Moralvorstellungen noch identisch waren. Prägend für die Moral war die katholische Kirche. Nach ihrer Lehre ist Sexualität nur in einer Ehe zulässig, da Sexualität ausschließlich den Zweck hat, Kinder zu zeugen.

Deshalb wurde Sexualität außerhalb einer Ehe als eine schwere Sünde gewertet, was zum Verlust der ewigen Seligkeit führt oder, nach einer anderen Meinung: „Sexualität außerhalb der Ehe führt auf direktem Weg ins Höllenfeuer und in die Verdammnis.“

Welche Auswirkungen der Verlust der ewigen Seligkeit am Tage des Jüngsten Gerichts hat, wurde den des Lesens und Schreibens meist unkundigen Menschen des Mittelalters durch die bildliche oder plastische Darstellung des Jüngsten Gerichts verdeutlicht.

Hier die Darstellung „Christus der Weltenrichter“ im Tympanon der Kathedrale Saint-Trophim“ in Arles (Südfrankreich), ein Werk, das um 1190 geschaffen wurde und auf das jeder, der die Kirche durch das Hauptportal betrat, schauen musste.

Motiv für das

Handeln des Bürgermeisters

Zur Durchsetzung dieser kirchlich-gesellschaftlichen Verhaltensvorschrift fühlte sich Bürgermeister Knieps wahrscheinlich als guter Katholik verpflichtet und ist deshalb gegen die Hurerei vorgegangen. Die bemängelte Passivität des Pastors Tassi mag aus einer anderen Einschätzung der moralischen Verhältnisse in Sinzig zu erklären sein.

Vorehelicher Geschlechts-

verkehr mit einer „Buhldirne“?

Interessant ist bei der Aufzählung des Verbleibs der Dirnen die Erwähnung, dass die hiesigen Buhldirnen auch „theils geheiratet“ hätten. Bei ihnen kann aus heutiger Sicht unterstellt werden, dass sie in einer festen Partnerschaft mit einem bestimmten Mann standen und ihr Sex als ein vorehelicher Geschlechtsverkehr zu bewerten war. Diese Frauen waren keine Dirnen, taten sie doch etwas, an dem heute keiner mehr Anstoß nimmt.

Unter dieser negativen kirchlichen und gesellschaftlichen Einstellung zur Geschlechtlichkeit außerhalb einer Ehe hatten besonders unverheiratete Mädchen und Frauen zu leiden, wenn sie schwanger waren und wenn sie ein Kind zur Welt gebracht hatten.

Sie waren bis ins 20. Jahrhundert hinein gesellschaftlich geächtet. Waren diese Frauen in einer kirchlichen Einrichtung beschäftigt, wenn auch nur als Putzfrau, wurde ihnen gekündigt, schwangere Schülerinnen einer katholischen Schule wurden vom weiteren Unterricht ausgeschlossen. Selbst die Familie empfand eine uneheliche Geburt bei einer Tochter als große Schande.

In den Taufregistern der katholischen Kirche wurden uneheliche Kinder von den Pfarrern vereinzelt auch mit besonderen Zusätzen versehen, zum Beispiel „filius illegitimus“, das heißt unehelicher Sohn.4)

Vorfahren

Auch ich habe Vorfahren mit einem zu frühen Start in die Ehe. Mein Altgroßvater (sechste Generation zurück) Heinrich Jose Moeren, geboren 1763, hat am 29. April 1783 in Linz meine Altgroßmutter Anna Marie Kaaf, geboren 1761 in Linz, geheiratet.5) Für damalige Verhältnisse waren der Ehemann mit 20 Jahren und die Ehefrau mit 22 Jahren bei der Eheschließung noch sehr jung. Am 5. Oktober 1761, also knapp sechs Monate nach der Heirat, kam dann schon der erste Sohn Johann Josef Moeren in Linz zur Welt, wo seine Eltern zunächst auch ihren Wohnsitz begründet hatten.

Ganz im Gegensatz zu der damals allgemein üblichen Praxis ist als einer der Trauzeugen weder der Vater des Ehemannes noch einer seiner Brüder urkundlich erwähnt. Alle Trauzeugen waren Verwandte der Ehefrau, das heißt der Vater Johann Kaaf und ein Peter Wingen, beide wohnhaft in Linz.

Auch bei den Taufen des am 5. Oktober 1783 geborenen Johann Josef und der am 1. Juni 1785 geborenen Elisabeth waren die Taufpaten alle Verwandte der Mutter Anna Catharina Kaaf, obwohl es damals auch üblich war, dass jeweils ein Taufpate von der väterlichen und mütterlichen Seite stammt. Erst bei dem dritten Kind, dem am 5. Mai 1787 geborenen Peter Josef, war dies der Fall, hier war der Großvater des Täuflings Peter Josef Moeren ein Pate, dessen Vorname auch der neue Erdenbürger erhielt.

Aus alledem kann geschlossen werden, dass bei der Eheschließung und den Taufen der ersten beiden Kinder keine Angehörigen der Familie Moeren anwesend waren.

An einer fehlenden Möglichkeit zur Überfahrt über den Rhein kann dies nicht gelegen haben, denn es gab schon die Fähre zwischen Linz und Kripp, die 1443 erstmals urkundlich erwähnt wurde.6)

Es kann nur so gedeutet werden, dass die Eltern des jungen Ehemannes mit der vorehelichen Schwangerschaft der Braut und deren Heirat durch den Sohn Heinrich Josef Moeren nicht einverstanden waren und ihre Missbilligung durch das Fernbleiben von der Hochzeit und der Verweigerung einer Patenschaft bei den ersten beiden Kindern zum Ausdruck brachten.

Schlussbemerkung

Wenn überhaupt, war die Sittlichkeit der Sinziger Bevölkerung langfristig nicht besonders gefährdet, denn für die Zeit um 1860 wird bezogen auf den Kreis Ahrweiler berichtet, dass Concubinat und lose außereheliche Verbindungen nur höchst vereinzelt vorkommen.

Dasselbe gelte von den Vorkommen und dem Umfang der gewerbsmäßigen Unzucht, welche von einigen wenigen meist außerhalb des Kreises „verliederlichten Frauenzimmern“ ausgeübt werde.7)

Anmerkungen

1) Keuser Anton „Die Bürgermeister von Sinzig in preußischer Zeit“, Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 1961

2) Schug Peter, Pfarrer, „Geschichte der zum ehemaligen kölnischen Ahrgaudekanat gehörenden Pfarreien und Dekanate Adenau, Ahrweiler und Remagen, 1952, S. 440

3) Kleinpass, Hans „Sinzig von 1815 bis zur Gebietsreform 1969“ in „Sinzig und seine Stadtteile – gestern und heute“ hrsg. von Jürgen Haffke und Bernhard Koll, Sinzig, 1983, S. 199/200

4) vgl. als Beispiel Eintrag von 1743, lfd. Nr. 3269 im „Familienbuch der Stadt Sinzig“ von Hans-Jürgen Geiermann, 2002

5) vgl. Hans Jürgen Geiermann „Familienbuch der Stadt Sinzig“, 2002, lfd. Nr. 1875

6) Fuchs Hermann Josef „Seit 550 Jahren ist die Rheinfähre Brücke zwischen Westerwald und Eifel“ im Heimatjahrbuch 1995 des Kreises Ahrweiler

7) Statistik des Kreises Ahrweiler vom Juli 1863, S. 13