Hospiz-Verein: Abschiedsessen in verschiedenen Religionen und Kulturen
Tod und Trost an der gedeckten Tafel

Kreis Ahrweiler. Der Tisch war reich gedeckt, und kein Platz drumherum ist leer geblieben. Zum Welthospiztag hatte der Hospiz-Verein Rhein-Ahr in die ehemalige Ahrweiler Synagoge an eine ange gemeinsame Tafel eingeladen. Das Motto: „Liebe geht durch den Magen – auch nach dem Tod“. Es klingt paradox, aber die Ehrenamtlichen des Vereins um Nadine Kreuser, die die Aktion vorbereitet hatten, hießen willkommen zum Abschiedsessen, wobei tatsächlich niemand verabschiedet, sondern viel mehr das Leben gefeiert wurde.
Im Fokus standen Zusammenkünfte, die hierzulande auch „Leichenschmaus“ oder „Beerdigungskaffee“ genannt werden. Und das mit Blick nicht nur auf Deutschland oder den christlichen Glauben, sondern auch auf andere Religionen und Kulturen. Schließlich stand der diesjährige Welthospiztag unter dem Titel „Hospiz für Vielfalt“, denn die Hospizbewegung setzt sich seit ihren Anfängen in den 1980er Jahren für Solidarität und Vielfalt ein. Zehntausende Ehren- und Hauptamtliche in Deutschland begleiten schwerkranke und sterbende Menschen unabhängig von Nationalität, Religion, Geschlecht, Einkommen oder sexueller Orientierung.
Bunt war das Bild auf der langen Tafel mit Fladenbrot und Humus, türkischem Baklava und dem bei Juden beliebten Charoset, einem Dattel-Apfel-Aufstrich, sowie einem herzhaften asiatischen Linsengericht und vielem mehr. Natürlich fehlten auch die für den Leichenschmaus hierzulande unerlässlichen Schnittchen und Streuselkuchen nicht. Wer wollte, hatte etwas mitgebracht. Unter anderem berichtete Gisela Schopp aus Hönningen vom Abschiedsessen als „Mahl der Stärkung“ im Judentum und dass dabei vor allem runde Speisen gegessen werden: „Für den Lebenskreislauf, denn auf Verzweiflung und Trauer folgen Energie und Freude“.
Den Totenkult im südamerikanischen Bolivien beleuchtete Bärbel Knieps. Davon, wie er die Beerdigungseiner Großmutter und anderer Verwandter in Polen erlebt hat, erzählte der eigens aus Bonn gekommene 29-jährige Daniel Markus Wowra. „Im tibetischen Buddhismus gibt es den Zyklus aus Geburt, Leben, Sterben und Wiedergeburt“, wusste Elisabeth Sous-Braun. Und auch um die bis zu 49 Tage dauernde Abschiedszeremonie im Buddhismus. Friederike Kettel erinnerte sich an den „Leichenims“ in ihrem Heimatdorf im Saarland: „Irgendwann löste sich die Anspannung, und es begannen die Gespräche über das, was man mit dem Verstorbenen erlebt hat.“
Verbindende Gemeinschaft, überfordernde Individualisierung
Überhaupt Gemeinschaft. Wie wichtig diese in allen Kulturen und Religionen ist, wurde in fast allen Ausführungen deutlich, weil nicht nur das Teilen von Speisen, sondern insbesondere auch das Zusammensein mit anderen das ist, was Trost spende und Liebe ausdrücke. Genauso wie Rituale die Erinnerung lebendig halten. „Leider gehen angesichts zunehmender Individualisierungstendenzen Rituale in unsere Gesellschaft verloren. Manchmal geht man zu einer Beerdigung und weiß nicht mehr, was einen erwartet. Dann kann Vielfalt auch überfordern“, stellte Ulrike Dobrowolny, Vorsitzende des Hospiz-Verein Rhein-Ahr, fest Wenn Menschen an Sterbehilfe dächten, zeige sich darin oft die Angst der Menschen angesichts eines Wegs, der alle erwarte. „Unsere Aufgabe als Bürgerbewegung ist es, dass dieser Weg ein gut gehbarer Weg wird.“ Dazu gehöre, das Thema mehr ins Bewusstsein zu rücken und auch den Gemeinsinn zu stützen. Nicht unerwähnt blieb die Spannung zwischen dem, was sich ein Mensch für seine Abschiedsfeier vielleicht wünscht und dem, was den Hinterbliebenen in diesem Moment ein Bedürfnis ist.
„Es ist schön, wenn man vorbereitet ist.“
Erst am Vortag sei sie auf einer Beerdigung gewesen erzählte Fine Gies, die als Gast dabei war. Erstaunt war sie, wie viele Leute da waren, „obwohl der Verstorbene Junggeselle war, und das hat, neben den Worten des Trauerredners, auch seinen Geschwister gut getan“. Neben ihr saß Aloisia Wollersheim, ebenfalls aus Ahrweiler, die an der Veranstaltung des Hospiz-Vereins begrüßte: „Man kommt mal ans Nachdenken. Für mich persönlich habe ich das immer ein bisschen verdrängt, obwohl mein Mann auch schon verstorben ist. Wenn ich mit meinen Kindern, die beide schon über 30 sind, darüber sprechen möchte, wie ich das mal haben möchte, wollen sie davon nichts wissen. Aber die Zeit kommt näher und, es ist schön, wenn man vorbereitet ist.“ Zuhause will sie den Faden nochmal aufnehmen.
Angeregt waren die Gespräche rund um die Tafel in der ehemaligen Ahrweiler Synagoge. Und die Stimmung, wie so oft beim Hospiz-Verein, nicht gedrückt, sondern zugewandt. Und wo gegessen wird, ist insbesondere im Ahrtal, der Wein nicht weit. So auch dort: Der neue Hospizwein stand bereit. Ein Weißwein, ein Blanc de Noir und ein Rotwein, die symbolisch für Leben, Tod und Verbundenheit stehen. Alle drei stammen aus dem Altenahrer Weingut Sermann und tragen auf dem von Künstler Stephan Maria Glöckner gestalteten Etikett ein großes „W“ wie „Wir“ oder „Wir-Gefühl“. Und letzteres war bei dieser Zusammenkunft einmal mehr spürbar.