Dialekt im Fokus beim Turmgespräch im Sinziger Schloss

„Was ist Rheinisch – undwie verhält es sich zum Sinziger Platt?

„Was ist Rheinisch – und
wie verhält es sich zum Sinziger Platt?

Sinzig. Als der Dialektforscher Georg Wenker vor knapp 140 Jahren über „Das rheinische Platt“ schrieb, war allen klar, was gemeint war: das Platt der preußischen Rheinprovinz. Heute gilt deutschlandweit das Kölsche als Inbegriff der rheinischen Sprache. Wie kommt es zu einer derartigen Vereinfachung? Und wie stehen der Kölner Stadtdialekt und das Sinziger Platt zueinander? Um dies und mehr zu klären, hatte der Verein zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums in Sinzig den Sprachwissenschaftler Dr. Georg Cornelissen als Experten zum Turmgespräch eingeladen.

Er leitet im Bonner Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), vielen noch bekannt als Amt für rheinische Landeskunde, die mit Dialekt, Sondersprachen und Namensforschung befasste Sprachabteilung. Die Sprachprofis sind der Sprachwirklichkeit auf der Spur. Durch Erhebungen und Publikationen zur allgegenwärtigen Umgangssprache erschließen sie einen wichtigen Bereich des sprachlichen Alltags. Neben ihren wissenschaftlichen Erkundungsinteressen beraten und begleiten die Fachleute Arbeitskreise und Vereine bei ihren örtlichen Sprachdokumentationen. So sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Ortsdialektwörterbücher mit fachlicher Unterstützung des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte erschienen. Auch im Kreis Ahrweiler profitierten Mundartautoren vom Fachwissen der Bonner.

Der Einfluss Kölns

„Die meisten Menschen tun so, als könne man Dialekte zweier Orte unterscheiden wie die Pfarrkirchen, kann man aber nicht“, räumte der Forscher gleich mit einem Vorurteil auf. Die Fragebögen zur Dokumentation der Sprachregion zeigten, dass selbst in einem Ort verschiedene Begriffe genutzt würden. „Sie haben es gut“, rief er den 40 Zuhörern in Sinzig zu, „dass Sie kein Wörterbuch haben, denn wo es eines gibt, sind die Leute besonders dogmatisch.“ Zwar gebe es zwischen den Orten feine Unterschiede. Grundsätzlich gelte jedoch, dass es zwischen benachbarten Dialekten keine Verständigungsprobleme gebe. Die Dialektsprecher hören genau heraus, woher der Gesprächspartner ist. Doch sind die Unterschiede nur aus der Nähe groß. Mit wachsendem Abstand werden die überwiegenden viel größeren Gemeinsamkeiten wahrgenommen.

Der Sprachforscher wies darauf hin, dass Fragebögen, die in zeitlichen Abständen wiederholt dasselbe abfragen, ein bewährtes Instrument zum Ablesen der Sprachentwicklung sind. So bat er den gebürtigen Sinziger Peter Billig, den Sinziger Beleg aus dem Wenker-Fragebogen von 1887 vorzulesen. Der lautete für „Die Bauern hatten fünf Ochsen und neun Kühe …“: Die Bauere hatten fönef Oße on neu Köh… Billig aber war versucht, „nöng Köh“ zu lesen, wie es inzwischen in Sinzig gebräuchlich und auch in Köln üblich ist. „Das ist der Einfluss Kölns; An solchen Sätzen, kann man gut erkennen, wie sich die Sprache ändert.“

Herkunft der Wörter

Cornelissen ging humorvoll mit dem Sprachverständnis in der Region um: „Rheinländer erzählen gerne Geschichten, wo Wörter herkommen. Ein Teil stimmt nicht, ein Teil ist erfunden, und den Rest machen wir in Bonn.“ Aus aktuellem Anlass bekannte der Wissenschaftler, „erster Fußballwortforscher der Welt“ zu sein. In seinem Büro hängt eine Karte über die Verteilung verschiedener Fußballwörter. Antworten aus Sinzig, Westum und Löhndorf auf den Dialekt-Fragebogen des Instituts von 2011 lauteten für „Fußball spielen“ etwa „knöche“, „bolze“, „kicke“, wobei „knöche“ auch hart arbeiten meint. Cornelissen hat festgestellt, „dass alle diese Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommenden Wörter ursprünglich schlagen, kloppen, treten oder werfen bedeuten. So besagte das anderswo übliche Fußballwort „pöhlen“ früher, einen Knüppel in den Baum werfen, damit die Kirschen herunterfallen. Auch heute werden Begriffe von einem auf einen anderen Bereich übertragen: „Junge Leute sagen, von PC-Spielen ausgehend, „Fußball zocken.“

Werde über Rheinland und Rheinisch gesprochen, müsse man den Bereich definieren. Denn: „Es gibt historisch zwischen hier und Ostende keine Sprachgrenzen“. Bis ins 16. Jahrhundert existierten nur Ortsgrenzen, betonte Cornelissen. Wohl treten im Rheinland erhebliche Sprachunterschiede auf. Er stellte den „Rheinischen Fächer“ vor, ein System gedachter Linien, die der Sprachwissenschaft dazu dienen, die Dialekte in Deutschlands Westen zu gliedern, von Norden nach Süden vom Niederfränkischen über das Ripuarische und Moselfränkische zum Rheinfränkischen. „Rheinisch“, das lernten die Gäste, „ist ein hochkomplexer Begriff, der ganz unterschiedliche Sprachlagen meint.“ Für Sinzig in der moselfränkischen Sprachzone ist die Dorp-Dorf-Linie entscheidend. Dialektsprecher sagen nach Köln hin „Dorp“; südlich der Linie sprechen sie vom „Dorf“.

Von Dialekt bis Akzent

Außerdem bedeute Rheinisch, auf die Sprache bezogen, nicht nur rheinischer Dialekt. Auch Regiolekt, also dialektal geprägte Umgangssprache, rheinisch gefärbtes Hochdeutsch und rheinischer Akzent gehören dazu.

Für diese Ausprägungen nannte Cornelissen Sinziger Beispiele. Für den Literaturbestand des Denkmalvereins hatte er drei Veröffentlichungen des Instituts mitgebracht, darunter „unser Kassenschlager“, die siebte, erweiterte Auflage des Buches von Peter Honnen „Kappes, Knies und Klüngel: Regionalwörterbuch des Rheinlands“, erschienen beim Greven Verlag Köln.

Da wird manch einer gerne nachschlagen.

Auch eine Minimaldefinition des Rheinischen enthielt er den Sprachinteressierten nicht vor: „Wer im Urlaub als Kölner angesprochen wird, der ist Rheinländer“. Damit waren auch die Themenstichworte Rheinisch, Kölsch, Sinzig wieder vereint, zumal der Sinziger Peter Billig aus eigener Erfahrung die Bekanntheit des Kölschen belegen konnte.

Er habe 500 Dienstreisen in ganz Deutschland gemacht und sei überall als Kölner angesprochen worden. Warum das Rheinische andernorts als Kölsch durchgeht? Weil die Sprache „sicherlich der größte Dialekt des Rheinlands ist und der bekannteste durch die Musikgruppen“.

Außerdem wird mit Kölsch geworben. Die Beliebtheit von Dialekten nimmt in Deutschland in südlicher Richtung zu. Kölsch ist eine Ausnahme. Es wurde gerne gesprochen, weil die Hautevolee es vormachte. Dennoch sprechen zurzeit viel weniger Menschen Kölsch, als die Medien vermitteln. Der zweite Vereinsvorsitzende Matthias Röcke dankte Georg Cornelissen für die fundierte wie heitere Aufklärung über die Sprachwirklichkeit in der Region.