70. Jahrestag der Luftangriffe auf Koblenz im Historischen Rathaussaal
Großteil der Koblenzer Innenstadt zerstört
Koblenz . In Gedenken an den 70. Jahrestag der Luftangriffe auf Koblenz hielten im Historischen Rathaussaal die Stadt Koblenz, die Pfarreiengemeinschaft „Koblenz-Innenstadt Dreifaltigkeit“ und der „Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge“ eine Gemeinschaftsveranstaltung ab. Für die musikalisch stimmige Umrahmung sorgten Anna-Lena Papst (Violine) und Myriam Baumann (Violoncello) von der Musikschule der Stadt Koblenz mit Stücken von Reinhold Glière. Die verheerenden Angriffe der amerikanischen und britischen Luftwaffe 1944 und 1945 auf Koblenz zerstörten die Innenstadt zu 87 Prozent, zwei Millionen Kubikmeter Trümmerschutt prägten das Stadtbild, und von ehemals 23.700 Wohnungen waren nur 1.500 unbeschädigt geblieben. Der Luftkrieg mit Luftminen, Spreng- und Brandbomben forderte in Koblenz 1.016 Tote und 2.925 Verwundete. Diese Zahlen rief Oberbürgermeister Prof. Dr. Joachim Hofmann-Göttig zu Beginn der Veranstaltung noch einmal ins Gedächtnis bevor der Berliner Autor Jörg Friedrich mit seinem Vortrag „Totaler Luftkrieg. Spuren einer nationalen Erfahrung“ ein wahrlich schweres Wort-Geschütz auffuhr. Jenseits der schrecklichen Ereignisse um die militärisch völlig sinnlose Flächenbombardierung und damit einhergehende Zerstörung von Koblenz in der Nacht des 6. November 1944 sowie deren Folgen für Mensch und „Stein“ spannte der Referent den Bogen zu globaler Machtentfaltung, Machtfülle und der offenbar unzügelbarer Aggressivität der Großmächte in West und Ost. Für viele der Zuhörer war der Bogen vielleicht eine Spur zu weit gespannt, hatten sie doch erwartet, detailliertere Informationen über den von 122 britischen Bombern durchgeführten Luftangriff auf die Stadt Koblenz zu erhalten. Doch von einem renommierten Historiker wie Jörg Friedrich darf man eine solche Kleinsichtigkeit nicht erwarten. Als solchem ist ihm natürlich eher daran gelegen, Gedächtnislücken zu schließen, aufzuzeigen, wie und warum die auf die Durchhaltemoral ausgerichtete Vernichtungskampagne, das „moral bombing“, nicht nur gegen Koblenz, sondern gegen tausende Städte und Ortschaften in Deutschland geplant und ausgeführt wurde.
„Luftangriff auf Koblenz war ein Menschenexperiment“
Was den Luftangriff auf Koblenz betraf, schloss er sich der, auch von anderen Historikern aufgestellten These, an, es habe sich um eine Art von „Menschenexperiment“ gehandelt, mit dem getestet werden sollte, wie erfolgreich sich eine Stadt selbst bei Nacht und durch eine Wolkendecke hindurch flächig einäschern lässt. Ein menschenverachtender Streich. „Ein Terrorangriff“, bestätigte Friedrich die Sichtweise seines Autoren-Kollegen, des Geschichtswissenschaftlers Helmut Schnatz, der - genau wie er selbst - Publikationen zum Thema Luftkrieg im Zweiten Weltkrieg veröffentlichte. Doch dann ging Friedrich in seinem Vortrag über zum alliierten Bombenkrieg gegen das gesamte Deutschland, mit dem dem Land eine tiefe Wunde zugefügt, Nazi-Deutschland zerstört werden sollte. Seine radikale Phase sei mit der Zerstörung Königsbergs im August 1944 eingeleitet worden. Der britische Premierminister Winston Churchill hatte schon im Mai 1940 die Sperre gegen zivile Ziele in Deutschland aufgehoben, wonach nicht länger ausschließlich militärische und industrielle Ziele bombardiert wurden. Die deutsche Zivilbevölkerung habe bei der Bombardierung der Städte eine regelrechte und unerträgliche Ohnmachtserfahrung machen müssen, legte Friedrich dar. Die „Schadensquote“ der Luftangriffe der Alliierten auf Deutschland im Zweiten Weltkrieg - mehr als eine halbe Million Tote (Zivilisten), darunter 80.000 Kinder - sei dennoch als gering zu bezeichnen, wenn man bedenke, dass immerhin dreißig Millionen Menschen die Städte bewohnten. Aber die (Brand)-Bomben hatten ganze Arbeit geleistet. Friedrich erklärte: Dank ihrer Wirkung verwandelten sich die Städte mit ihren engen Gassen, den hölzernen Dachgebälken selbst in eine Waffe. So wurden mehr als zwei Dutzend deutsche Städte in Schutt und Asche gelegt. Der Krieg, der Freund und Feind nicht auseinander halte, zerstörte Leben und Kultur in einem barbarischen Vernichtungsexzess, für den sich niemand rechtfertigen mag und - was noch schlimmer zu sein scheint - aus dessen Leidensgeschichte offenbar niemand lernt. Obwohl die Strategie Luftangriffe es nicht schaffe, den Feind in die Knie gehen zu lassen, werde immer weiter daran festgehalten. So sei im Schoß des Weltkriegs bereits der nächste Krieg, der mehr als vierzig Jahre lang zwischen Westmächten und Ostblock geführte „Kalte Krieg“, gewachsen. Aus ehemals Verbündeten wurden jetzt Rivalen, und eine neue Bombe, die Atombombe, sollte das Kräfteverhältnis egalisieren. Friedrich sagte: Für die kriegsführenden Entscheidungsträger sei die Grenze wie der Horizont. Man gehe weiter, weiter und weiter. Die Zahl der Kriegstoten wachse dabei mit jedem neuen Krieg um ein Vielfaches. „Was ist dagegen zu unternehmen, außer zu beten?“ Eine im Anschluss des Vortrages angeregte Diskussion kam zunächst nur zögerlich zustande, die Zuhörer waren sichtbar in Nachdenklichkeit versunken. Die erste Wortmeldung gab es zu Friedrichs 2002 erschienenem Buch „Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945“. Ein Mann aus dem Publikum erzählte, er habe es nur zur Hälfte gelesen, danach seien seine seelischen Kräfte erschöpft gewesen. Es folgten weitere Fragen und Anmerkungen zum Bombenkrieg, die wieder neue Thesen einbrachten und Friedrich veranlassten, seine Darlegungen weiter zu spezifizieren.
Gedenken an Gefallene
Die Trauer und Wut hinterlassenden Spuren dieses Terrors sind die Gefallenen. Um das Gedenken an sie zu bewahren, erfassen, erhalten und pflegen die Mitglieder des 1919 gegründeten Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge deren Gräber. In der Obhut des Volksbunds befinden sich heute 832 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten. Michael Hörter, der rheinland-pfälzische Volksbund-Vorsitzende, zeigte sich nach Friedrichs Rede tief beeindruckt. Die Gratwanderung, die mit der Behandlung des Themas einhergehe, sei dem Publizisten meisterlich gelungen. Er habe von deutschem Leid gesprochen, ohne sich verdächtig zu machen, von Schuld ablenken zu wollen. Tatsächlich war die Leidensgeschichte der Deutschen gerade wegen der eigenen Schuld über lange Zeit ein tabuisiertes Thema. „Wir dürfen die Ursache nicht vergessen“, meinte auch Hofmann-Göttig und erinnerte damit an die Gräueltaten des imperialistischen Regimes von Adolf Hitler.