EIN-Spruch: Die „schönste Zeit“
Mancher sagt, der Advent sei die schönste Zeit des Jahres. Wobei immer unklarer wird, wann Advent ist. Die Plätzchen gibt es schon Mitte Oktober. In Bonn und Köln kann man schon Anfang November ins Lichtermeer der Weihnachtsmärkte eintauchen. Glühwein unter Bäumen, die noch Blätter tragen. Weihnachtsbäume zwischen Kürbissen. Advent und Weihnachten verschmelzen immer mehr zu einer Dauerbeleuchtung, in der alles immer früher beginnt.
Dabei mag ich Weihnachtsmärkte. Ehrlich. Ich freue mich auf den ersten Glühwein, auf das warme Licht, das durch die Kälte schimmert, auf diese besondere Stimmung, die nur an dunklen Dezemberabenden entsteht. Aber ich freue mich darauf zu seiner Zeit – nicht im Spätherbst, wenn der Advent noch gar nicht begonnen hat und die Dunkelheit, die dieses Licht so nötig macht, noch gar nicht da ist.
Aus einer Zeit des Wartens wird eine Zeit des „Los, jetzt aber!“ Aus Erwartung wird Druck. Aus Stille ein Pflichtprogramm, das man auch noch erfüllen soll. Der Advent war einmal ein langsames Herantasten an ein Licht, das wuchs. Ein Raum, in dem man die kleinen Schritte ernst nahm. Heute wird alles sofort hell gemacht – vielleicht, weil die Welt unsicherer geworden ist und wir das Unklare lieber ausleuchten, als uns ihm zu stellen.
Gleichzeitig wächst das schlechte Gewissen: schon alles vorbereitet, gebacken, dekoriert, eingeladen? Schon besinnlich gewesen? Der Advent verwandelt sich in eine To-do-Liste mit Tannenduft.
Vielleicht besteht der eigentliche Widerstand darin, nicht alles auf einmal zu wollen. Sich auf Weihnachtsmärkte zu freuen – und warten, bis es Advent ist. Einen Abend lang nichts vorbereiten. Eine Kerze später anzünden. Und den Kalender nicht voller, sondern leerer werden lassen. Einen Spaziergang in der Kälte, oder im Halbdunkeln machen. Eine Rorate-Messe in der Frühe mitfeiern. Ein Konzert besuchen, das noch nicht alle Weihnachtslieder bringt.
Der Advent ist nicht die schönste Zeit, weil er glänzt. Sondern weil er wartet. Und wer wartet, lässt der Hoffnung Zeit, sich zu zeigen.
Ein-Spruch ist eine Kolumne der Pfarrei Bad Neuenahr-Ahrweiler. Jörg Meyrer ist seit 23 Jahren Pfarrer hier im Ahrtal.
Jörg Meyrer
