Der Bunte Kreis Rheinland e.V. hilft Frühchen in der schwierigen Anfangszeit

„Eine Handvoll Leben“

27.12.2018 - 15:10

Die Geburt des ersten Kindes ist ein überwältigendes Erlebnis. Niemand kann junge Eltern wirklich auf dieses kleine Wesen vorbereiten, das nun rund um die Uhr auf ihre Hilfe angewiesen sein wird. Aus Erzählungen, Beobachtungen und verschiedenen Babyratgebern weiß man theoretisch, was zu tun ist. Das Köpfchen muss gestützt und die Fontanelle geschützt werden. Das laute Rauschen eines Föhns kann beruhigender wirken, als eine Spieluhr. Und doch ist Wickeln gar nicht so einfach, wie man dachte. Und warum schreit es denn nun schon wieder?

Unsicherheiten gehört zum Wochenbett, wie Kuscheln, Stillen und Bauchmassage. Erst nach und nach entwickeln sich Routinen, spielt sich die Familie aufeinander ein. Was aber, wenn das Baby nicht nach neun Monaten zur Welt kommt, sondern bereits nach sechs. Wenn es keine 3.300 Gramm auf die Waage bringt, sondern gerade mal 620 – also noch nicht mal ein Fünftel des normalen Geburtsgewichts. Und was, wenn nicht klar ist, ob das Kind überhaupt die ersten Tage überstehen kann. Ärzte, Pfleger und der Bunte Kreis Rheinland unterstützen Familien auf ihrem Weg in ein Leben, das immer etwas anders sein wird.

Es gibt viele Gründe, warum ein Kind zur früh auf die Welt kommen kann. Bei Fatma Balci ist es ein verkürzter Gebärmutterhals, der die werdende Mutter in die Klinik bringt. Für einen stabilisierenden Eingriff ist ihre Schwangerschaft schon zu weit fortgeschritten und so kommt ihre Tochter Ilkim in der Nacht auf den 24. November zur Welt, fast vier Monate vor dem errechneten Termin.


Der Schock sitzt tief


Es ist die 23. Schwangerschaftswoche und der Schock sitzt tief bei den Eltern Fatma und Güven. „Wir hatten vorher noch mit dem Kinderarzt gesprochen und wussten, dass unser Kind nur zu 50 Prozent überleben würde und dann vielleicht mit großen Behinderungen“, erzählt Fatma. Tatsächlich sprechen Ärzte bei einer so frühen Geburt vom Rande der Lebensfähigkeit. Deshalb ist es die Entscheidung der Eltern, ob das Neugeborene überhaupt versorgt werden soll.

„Ich habe gehofft und gebetet, diese Entscheidung nicht treffen zu müssen“, sagt Fatma. Aber als es soweit ist, kommt es für die Eltern nicht in Frage, ihr Baby einfach so liegen zu lassen. Sie bitten, die Ärzte, alles Mögliche zu tun. Nach der Erstversorgung bringt ein Arzt Ilkim ans Bett ihrer Mutter. „Aber ich konnte mein Kind nicht anschauen.“ Zu groß ist ihre Angst, sich bald schon wieder verabschieden zu müssen. „Ich wollte kein Bild von ihr in Erinnerung haben, keine Verbindung zu ihr aufbauen, wenn sie sterben müsste.“ Fatma und ihr Mann weinen viel in diesen Stunden.


„Ein echtes Wunderkind“


Erst als der Arzt später wiederkommt und sagt: „Ihr Baby hat einen Traumstart hingelegt. Sie atmet selbständig ohne Hilfe, ein echtes Wunderkind“, wagt Fatma ihr Kind anzusehen. „Sie sah aus wie eine Puppe“, beschreibt es ihr Mann. Ilkims Ohren sind noch nicht ausgebildet, ihre Finger kleben zusammen und am ganzen Körper ist sie mit einem schwarzen Flaum bedeckt. Aber sie ist stark und sie kämpft sich ins Leben. Ihre Eltern weichen nicht von ihrer Seite. Ein halbes Jahr lang leben sie im Elternzimmer auf der Frühchenstation. „Ein großes Glück für uns, dass es diese Möglichkeit gibt.“

Vater Güven, ein Sänger und Komponist aus Istanbul, setzt seine Selbständigkeit aus, um ganz bei seiner Familie zu sein. „Ich habe mich tagsüber um Ilkim gekümmert, Güven war nachts bei ihr“, erzählt Fatma. Güven komponiert ein Mutmachlied für seine Tochter und singt es ihr täglich vor. Und während Ilkim zunächst ohne Komplikationen heranreift, versuchen die Eltern den Schock der Frühgeburt und ihre Ängste auch mit Hilfe einer Psychologin zu überwinden. Fatma fällt das leichter als ihrem Mann, der auch nach Monaten auf der Station Panik hat, etwas falsch zu machen und seiner Tochter zu schaden.

Kinderkrankenschwester Luise Weimann-Metzen, die später vom Bunten Kreis Rheinland als Nachsorgeschwester vermittelt wird, erinnert sich an diese Monate auf der Station. „Güven hatte unglaubliche Angst um seine Prinzessin. Eigentlich hat er seine Sache gut gemacht, aber er hat es sich einfach nicht zugetraut.“ Beim Füttern oder bei der Medikamentengabe reagiert der Vater oft hektisch und macht seine Frau ebenfalls nervös. „Ich habe immer gesagt, wenn ich hier die Schwester wäre, dann würde ich dich rausschmeißen“, schmunzelt Fatma. Das Leben auf der Station gibt den Eltern Sicherheit. Und so löst der Gedanke, nach vielen Monaten mit Ilkim entlassen zu werden, neue Ängste aus. „Anfang März sollte es soweit sein, aber wir wollten nicht“, erinnert sich Fatma. „Die anderen Eltern haben gesagt: Seid ihr verrückt? Seid doch froh, dass ihr nach Hause könnt! Aber wir hatten Panik, es nicht zu schaffen.“ Schwester Luise kann ihre Sorge verstehen: „Die Familie wohnt in einem kleinen Ort in der Eifel. Alle Krankenhäuser sind mindestens eine Stunde entfernt. Sie hatten einfach Angst, im Notfall nicht rechtzeitig Hilfe zu finden.“ Deshalb zögern die Eltern die Entlassung heraus, so lange es geht. Dann aber wird der Termin festgelegt. Eine Sozialpädagogin des Bunten Kreis unterstützt bei allen organisatorischen Fragen rund um das Eltern- und Wohngeld. Es kommt der Tag, an dem Fatma und Güven gemeinsam die Klinik verlassen, um zu Hause alles für Ilkims Ankunft vorzubereiten. Für sie ist es ein mulmiges Gefühl, von ihrer Tochter getrennt zu sein, aber sie machen sich gegenseitig Mut. Plötzlich jedoch klingelt das Telefon. Ein Anruf aus der Klinik: Ilkim, die sich bis dahin so gut entwickelt hat, hat sich mit einem Krankenhausvirus angesteckt. Voller Sorge fahren die Eltern zurück.


Ein achtwöchiger Kampf


Acht Wochen kämpft Ilkim gegen den Virus an, der ihre Lunge angreift und für Atemaussetzer sorgt. Sie bekommt Kortison und hat immer wieder Rückfälle. Erst sim Mai hat sie sich soweit erholt, dass sie aus dem Krankenhaus entlassen werden kann. Die Eltern möchten nun auch nach Hause, sind aber durch die Infektion ihrer Tochter wieder sehr verunsichert. „Ich wollte unbedingt einen Monitor mitnehmen, der die Atmung überwachen sollte“, sagt Fatma. Der Oberarzt beruhigt sie. Niemals würde man ein Kind heimschicken, bei dem die Gefahr eines Atemstillstandes bestünde.

In dieser Phase ist Schwester Luise vom Bunten Kreis an ihrer Seite und versucht, den Eltern die Ängste zu nehmen. „Es war so gut, dass wir sie hatten. Wir konnten sie immer alles fragen“, sagt Fatma dankbar. Und tatsächlich, nachdem die ersten Tage zu Hause überstanden sind, kehrt langsam etwas Ruhe ein. „Natürlich waren wir am Anfang unruhig und haben jede Minute nach dem Kind geguckt. Güven hat sich in der ersten Zeit nachts alle halbe Stunde einen Wecker gestellt, um nach Ilkim zu sehen.“ Das Kind schläft immer friedlich und nach zwei Wochen beginnt er sich zu entspannen.

Schwester Luise kommt regelmäßig zu Besuch, klärt Fragen rund um die Pflege, die Ernährung. „Wir sind dem Bunten Kreis dankbar für die Nachsorge. Mir hat es immer sehr gutgetan, dass Luise da war und über die Zeit ist fast so etwas wie eine Freundschaft entstanden.“ Währenddessen entwickelt sich Ilkim hervorragend. Sie war und ist immer noch sehr pflegeleicht, schläft durch, weint nie, ist immer entspannt. Schwester Luise ist stolz auf die Familie, die mehr und mehr alleine zurechtkommt. Ein ganzes Jahr begleitet sie die drei, dann ist die Betreuungszeit zu Ende. „Wir war sehr traurig, als sie nicht mehr kommen konnte“, sagt Fatma. „Aus medizinischer Sicht haben wir sie nicht mehr gebraucht, aber es tat gut sie zu haben. Sie hat einfach zu Ilkim dazugehört.“Von Janina Mogendorf

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