Die Feuerwehren aus den rechtsrheinischen Gebieten waren mit die ersten Einsatzkräfte, die währen der Flut ins Ahrtal kamen.

„Ich konnte die Tränen nicht mehr halten“

„Ich konnte die Tränen nicht mehr halten“

Die Feuerwehrren aus den rechtsrheinischen Nachbargebieten waren früh zum Helfen im Ahrtal. Foto: ROB

12.07.2022 - 08:59

Kreis Ahrweiler/Kreis Altenkirchen. Die Alarmierung des Kreiszuges Landkreis Altenkirchen erfolgte am 15. Juli 2021 um genau 1 Uhr und somit keine zwei Stunden später, nachdem im Kreis Ahrweiler der Katastrophenalarm ausgerufen wurde. Die Feuerwehren aus dem Westerwald waren dabei mit die ersten Rettungskräfte, die in das von der Flut schwer getroffene Tal ausrückten. Einer der Feuerwehrleute war Pierre Hüsch. Der Feuerwehrmann aus dem Kreis Altenkirchen rückte in dieser Nacht zu einem Einsatz aus, den er nicht mehr vergessen wird. In BLICK aktuell erzählt er ungefiltert von seinem denkwürdigsten aller Einsätze.

„Nach der Alarmierung folgte die Anforderung weiterer Hilfeleistungs- und Löschfahrzeuge aus dem gesamten Landkreis Altenkirchen. Ab diesem Moment waren einige der sogenannten „Erstausrücker“ der Einheiten nicht mehr verfügbar gewesen. Die Nacht verlief für uns noch sehr ruhig, aber keiner konnte sich so richtig vorstellen, was da vor Ort im Ahrtal so wirklich los war. Im Laufe des Vormittags des 15. Juli wurden die Ablösemannschaften für die schon eingesetzten Kräfte, die seit der Nacht ja schon im Tal waren, zusammengestellt. Es war keine Pflicht, mitzumachen. Aber wir hatten uns vorher mit sechs Personen für die Ablöse zur Verfügung gestellt. Es konnte sich bis dahin immer noch keiner ausmalen, was uns da erwarten würde. Der Zug für die Ablöse sollte eigentlich gegen 15 Uhr vor Ort tauschen. Das hat aber aufgrund diverser Leitungs- und vor allem technisch-kommunikativer Probleme nicht geklappt. Schlussendlich sind wir mit knapp 60 Einsatzkräften und mehreren Einsatzfahrzeugen in Alarmkolonne in Richtung Ahrtal aufgebrochen. Das Ziel war das Haribo-Gelände in der Grafschaft. Auf der knapp einstündigen Fahrt herrschte eigentlich noch eine sehr angenehme Atmosphäre. Wir hatten gute Laune, eigentlich war alles sehr entspannt.


„Hier ist etwas Großes passiert“


Das änderte sich schlagartig, als wir gegen ca. 18.30 Uhr in der Grafschaft die Masse der Betroffenen und der Hilfskräfte gesehen haben. Ab dem Moment war uns klar, dass da was richtig Großes passiert sein muss. Gegen 20 Uhr wurde unsere Mannschaft noch einmal aufgeteilt und der eigentliche Plan sah vor, dass wir mit unseren sechs Personen Lückenfüller spielen sollen. Das wurde aber nochmal revidiert. Unsere beiden erfahrensten und auch dienstältesten Kameraden wurden mit einem weiteren Team zur Leichenbergung abgefordert. Wir übrigen drei Kameraden sollten dann das Fahrzeug vom unserem Nachbarlöschzug übernehmen und die Leute ablösen. Das Fahrzeug stand zur Bereitschaft am Gerätehaus in Bad Neuenahr, also hat unsere Fahrerin uns nach Bad Neuenahr gefahren und wir konnten die ziemlich erschöpften Kollegen ablösen. Die Jungs waren echt fertig und waren heilfroh um die Ablöse. Bis zu diesem Zeitpunkt, da wir auf der Fahrt dorthin nicht wirklich viel gesehen haben, dachte ich noch „Ach ja, sehen wir mal, wie sehr wir uns langweilen und da nur stehen werden…“. Von wegen! Es ging schon damit los, dass wir nur mit drei Männern bzw. Frauen eigentlich zu wenig waren, um so ein Fahrzeug adäquat zu besetzten. Kurzfristig bekamen wir noch zwei Kameraden von einem anderen Löschzug aus unserer Verbandsgemeinde, die kannten wir zwar, hatten aber noch nie zusammengearbeitet. Es gab aber immer noch Probleme. So einen Feuerwehr-LKW darf nun mal nicht jeder fahren, da blieben nur zwei mögliche Kameraden. Aber jemand muss ja noch die Führung übernehmen. Da blieben nur ich und unsere Fahrerin, die eigentlich wieder heimfahren sollte. Also musste sie dann auch kurzfristig noch mit im Ahrtal. Gegen ungefähr 20.30 Uhr konnten wir uns dann entsprechend mit dem Fahrzeug vertraut machen und uns einsatzbereit melden. Gegen 21 Uhr haben wir dann den Auftrag erhalten, die Delderstraße in Ahrweiler anzufahren. Gemeldet war „Wasser im Keller, evtl. Person noch drin.“ Aussage von der Führung vor Ort war „Retten, wenn möglich unter Ausschluss jeglicher Eigengefährdung.“ Etwas ganz Neues für uns, die normalerweise aus dem Vollen schöpfen können was Technik, Material und Personal angeht. Angekommen vor Ort haben wir erst mal realisiert, dass wir in einem absoluten Katastrophengebiet angekommen waren!


Unbegreiflich und verstörend


Überall waren Passanten mit Schlappen. Wenn sie überhaupt noch Kleidung am Leib trugen, war die von oben bis unten mit Schlamm und Dreck. Die Menschen standen vor ihrem Hab und Gut und starrten fassungslos ins Leere. An unserer Einsatzadresse konnten wir erst einmal nicht wirklich etwas tun. Vor Ort stellte sich das Ganze erst einmal als „weniger dramatisch“ dar. Denn im Keller waren keine Personen. Der Mann, der den Notruf abgesetzt hatte, hatte ein medizinisches Problem, bei dem wir ihm aber leider nicht helfen konnten. Während der Wartezeit auf einen Rettungswagen wurden wir von einigen der Anwohner aus der Delderstraße angesprochen und wurden sehr nett gefragt, ob man uns etwas anbieten könne. Nach einem kurzen Moment überlegen, mussten wir dann feststellen, dass die Leute dermaßen traumatisiert waren, dass sie nicht verstanden, dass sie nichts mehr hatten! Auch keinen Strom um uns einen Kaffee machen zu können. Für uns war das unbegreiflich und auch verstörend zugleich. Wir haben den Anwohnern gesagt, dass wir gerade erst unseren Dienst begonnen haben und sie das Essen und die Getränke für sich behalten sollten, denn sie bräuchten es eher wie wir.


„Ansonsten lasst es brennen“


Der nächste Auftrag führte uns gegen 22.00 zu einem gemeldeten Dachstuhlbrand in der Sebastianstraße in Bad Neuenahr. Auf meine Frage, wie es denn mit der Wasserversorgung aussähe, bekam ich nur ein „Schaut mal, wie ihr klar kommt, ansonsten lasst es brennen.“ Vor Ort hat sich diese Meldung glücklicherweise als falsch herausgestellt. Vielmehr konnten wir eine dreiköpfige Familie ausfindig machen, die sich eigentlich nur mit einem Camping-Kocher, den sie noch auf dem Dachboden gefunden hatte, ein bisschen Licht machen wollen. Aufgrund deren Mangel an Trinkwasser für die Nacht haben wir dort mit einer Kiste Mineralwasser aushelfen können. Gegen 23.15 Uhr ging es für uns dann wieder in die Sebastianstraße, diesmal zu einem ansässigen Autohaus. Vor Ort gemeldet war ein PKW-Brand, der sich - Gott sei Dank auch hier in Anbetracht der nicht vorhandenen Wasserversorgung - als falsch darstellte.


Abriss des Feuerwehrhauses


Die Elektronik hatte durch den massiven Wasserschaden diverse Fehlerbilder gezeigt. Nach einer kleinen Verschnaufpause sollten wir kurz nach Mitternacht dann das Feuerwehrhaus in Ahrweiler am Ahrtor ausleuchten und den Notabriss absichern. Bis dahin konnten wir uns noch nicht so richtig wa darunter vorstellen. Als wir dort ankamen wurde uns so richtig deutlich, was für eine gewaltige Flutwelle da gekommen war. Bis das wir dort ankamen, war uns das Ausmaß der Zerstörung nicht so richtig bewusst. Dann sprachen die Bilder, die wir mit unseren Augen gesehen haben, eine deutliche Sprache. Absolute Fassungslosigkeit und keine Erklärung dafür zu finden…eine komische Situation. Wir haben die ganze Nacht mit unserem Fahrzeug am Ahrtor gestanden. Haben die Einsatzstelle ausgeleuchtet und den zwei anwesenden Kameraden und dem Wehrleiter die Hand gehalten, als ein Tieflader mit Abrissbagger anrollte um das Feuerwehrhaus samt Ausrüstung abzureißen. Das Feuerwehrhaus durfte wegen Einsturzgefahr nicht mehr betreten werden. Die Flut hatte das Haus mehr als vier Meter unterspült.


„Es tat uns weh, nicht mehr helfen zu dürfen“


Gegen 3 Uhr hat uns ein Löschzug aus dem Kreis Altenkirchen Würstchen und Brötchen gebracht. Da hatten wir ach Hunger. Als es gegen 5 Uhr am 16. Juli langsam hell wurde, konnte man weitere Eindrücke sammeln. Und dann passierte etwas, das kann bis heute niemand nachvollziehen kann. Wir wurden aus dem Einsatz entlassen, weil es für uns keine Arbeit mehr gäbe. Dabei hatten wir gehofft, nach der schlaflosen Nacht ein Team zur Ablöse zu bekommen. Leider war dies nicht so, das Auto sollte zurück in den Westerwald. Ohne Ersatzfahrer. Also haben wir irgendwo her Kaffee organisiert und traten gegen 8 Uhr die Heimfahrt an. Das tat uns allen irgendwie weh, nicht mehr helfen zu dürfen. Um circa 10 Uhr konnten wir dann wieder in unserer Heimat, und mit unseren,noch immer in Bereitschaft befindlichen Kameraden, frühstücken. Der Müdigkeit wegen haben wir nicht viel gesprochen und erzählt. Nur das Nötigste. Ich persönlich bin während dem Essen einfach eingeschlafen. Es ging nicht mehr, der Kopf und die Seele waren voll mit Eindrücken, die erst einmal verarbeitet werden mussten. Am späten Nachmittag des 16. Juli bin ich mit meiner Frau einkaufen gewesen, während des Einkaufs wurde im Radio von diesem Ereignis berichtet, da gab’s dann kein Halten mehr. Ich konnte die Tränen und Gedanken nicht mehr halten, es ging nicht mehr. Aus heiterem Himmel bin ich einfach so zusammengebrochen. Im Laufe des Abends und der nächsten Tage hatte sich das alles wieder beruhigt. Es wurden einige Telefonate und auch Gespräche mit den Kameraden geführt, die mit im gleichen Fahrzeug oder im Ahr-Gebiet waren. Das hat am besten geholfen, das Erlebte zu verarbeiten. Dem Feuerwehrmann aus dem Kreis Altenkirchen, sind die Bilder, die er während der Flutnacht sah, immer noch präsent. „Und,“ so sagt Hüsch, „sie werden es auch noch die nächsten Jahre sein. Es fühlt sich immer noch so an, als wäre es gestern passiert“, so Hüsch. 

Transparenz-Info: In der ursprünglichen Version dieses Textes berichtete ein weiteres Feuerwehrmitglied von dem Einsatz. Auf dessen Wunsch wurde der Bericht zurückgezogen und entsprechend entfernt. 

ROB

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