Equipe Eurodek war auf Erinnerungstour gegen das Vergessen
„Jetzt werde ich auch beseitigt!“

Montabaur/Nassau. 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus wollen immer mehr Menschen einen „Schlussstrich“ unter die Erinnerungskultur an die von den Nazis begangenen Gräueln ziehen. Das heimische Radsportteam Equipe EuroDeK sagt dazu klar NEIN - und organisierte eine Rundfahrt zum Thema „Erinnern…für die Demokratie“. An zwei Tagen wurde eindrucksvoll an die schrecklichen Verbrechen der NS-Zeit erinnert – dabei standen die Opfer der Euthanasie im Mittelpunkt.
Die Radsportler übernahmen damit Verantwortung und leisteten einen Beitrag dazu, dass so etwas nie wieder bei uns passiert. Die 15 beteiligten Aktiven kamen tief bewegt nach fast 200 km im Rennradsattel und 5 Erinnerungsstationen zurück nach Montabaur und Nassau.
Euthanasieopfer von Scheuern in den Tod geschickt
Gestartet wurde die von den heimischen Unternehmen Westerwald Bank und MANN-Energie unterstützte Tour auf dem Gelände der Stiftung Scheuern in Nassau, bei der das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte auch Spuren hinterlassen hat. Im dortigen Bistro Orgelpfeife begrüßte deren Vorstand Pfarrer Gerd Biesgen die Teilnehmenden zu einem „Erinnerungsfrühstück“. Er erinnerte daran, dass aus den damaligen Heil- und Pflegeanstalten Scheuern als „Zwischenanstalt“ etwa 1.500 Menschen mit Behinderung und physischer Erkrankung als Euthanasie-Opfer nach Hadamar in den Tod geschickt wurden. Als Schirmherr der Gedenk-Rundfahrt war Hendrik Hering an die Lahn gekommen. „Ich danke allen Equipe-Radlern für diese wichtige Aktion, die andere gesellschaftliche Gruppen hoffentlich zu ähnlichen Erinnerungs-Initiativen anregt“, sagte der Landtagspräsident. Er und Pfarrer Biesgen gaben dann am Mahnmal für die Euthanasieopfer auf dem Stiftungsgelände dazu den Startschuss.
In Tötungsanstalt Hadamar wurden 15.000 Menschen ermordet
Etwas Trost, angesichts der doch sehr belastenden Erlebnissen und Eindrücken der bevorstehenden beiden Tage, bot das optimale Radlerwetter. Die erste Teilstrecke im Rennradsattel führte zur Euthanasie-Gedenkstätte in Hadamar. In der damaligen „Tötungsanstalt“ wurden ab 1941 etwa 15.000 Menschen ermordet. Sie kamen in weithin bekannten grauen Bussen aus „Zwischenanstalten“ wie Scheuern und Weilmünster und wurden am ersten Tag nach Ankunft dort ermordet“, berichtete Birgit Sucke bei einer tief beeindruckenden Führung. Dabei konnten auch die Gaskammer, ein Seziertisch und die Reste des Krematoriums besichtigt werden. Am Ende der Führung in die grauenvolle Vergangenheit des Ortes rief Birgit Sucke die Gäste dazu auf, angesichts des wachsenden Rechtsextremismus dazu beizutragen, das sowas nicht wieder passiert. Immerhin sei hier eine ganz Generation von Menschen mit Behinderung ausgelöscht worden!
In Weilmünster Massenmord zur Reinigung des deutschen Volkskörpers
Nächste Station war dann die schon erwähnte Erinnerungsstätte in Weilmünster an die dortige „Zwischenanstalt“. Die frühere Landesheilanstalt Weilmünster war einer der zentralen Tatorte der NS-Euthanasie in Hessen. Für etwa 6.000 Menschen führte die Unterbringung in den Tod: Über die Hälfte von ihnen starb in Weilmünster, die anderen in Hadamar. Besonders eindrucksvoll war hier die Führung durch 2 ehrenamtlich in der Gedankenarbeit tätige Jugendliche. „In Zeiten wie diesen, wo eine rechtsextreme Partei, die sich an ideologischen Strukturen und Denkweisen der Nationalsozialisten anlehnt und offen Rassismus und völkisches Denken verbreitet, ist das Erinnern an unsere furchtbare Vergangenheit wichtig“, meinte der 18-jährige Noah. Zur Reinigung des Volkskörpers seien hier nicht nur Menschen mit Behinderung und psychisch Kranke ermordet worden, sondern es seien auch viele durch Hunger oder überdosierte Medikamente gestorben, die irgendwie aus der Norm der Nazis fielen, fügte der 26-jährige Markus hinzu.
Bei der Schilderung einiger Einzelschicksale schienen sogar die vorbeifliegenden Vögel zu verstummen: beispielsweise als eine Mutter beim Abtransport mit einem grauen Bus zu ihrer Tochter in Vorahnung sagte: „Jetzt werde ich auch beseitigt!“ Beendet wurde der Rundgang durch das weitläufige Gelände der heute überwiegend leerstehenden Vitos-Klinik bei einem von Schülern geschaffenen Gedenk-Kunstwerk. Auch dies ein Beitrag dazu, dass die lange um die „Zwischenanstalt“ bestehende Mauer des Schweigens in der Region beseitigt wurde.
Junge Menschen erinnern an menschenverachtende NS-Zeit in Weilburg
Am nächsten Morgen wurden die Equipler nach dem Frühstück im Schlosshotel in Weilburg von Vorstandsmitgliedern des rührigen Vereins „Weilburg erinnert e.V“ abgeholt. Über einen vom Verein mit der Stadt angelegten Weg des Erinnerns gelangten die Gäste zum Sitz des Vereins in der Innenstadt. Ziel ist die erinnernde Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit der Stadt und des Umlandes. „Wer nicht erinnert, vergisst – wer vergisst, kann schuldig werden“, sei ein Grundsatz des Vereins, so Vorsitzender Markus Huth. In einer ausführlichen Präsentation wurde über die menschenverachtende NS-Zeit in Weilburg und die wichtige Arbeit des Vereins umfassend berichtet.
Vorstandsmitglied Martina Zimmermann erinnerte daran, dass es nach 1942 kein jüdisches Leben mehr in Weilburg gegeben, die Stadt jedoch lange das Einbringen von „Stolpersteinen“ als Erinnerung an ermordete jüdische Mitbürger abgelehnt habe. Gelobt wurde von allen beeindruckten Radsportlern die wichtige und überzeugende Erinnerungsarbeit des erst 2018 gegründeten Vereins mit 110 überwiegend jungen Mitgliedern. Dieser bringt es immerhin auf stattliche 80 Veranstaltungstermine im Jahr, wie dem vorgelegten Programmheft zu entnehmen war. „Angesichts mehr oder weniger latent vorhandener faschistischer Tendenzen in unserer Gesellschaft treten wir auch aktiv gegen Rechtsextremismus, Extremismus jedweder Art, Terrorismus und Rassismus im Sinne eines „Nie wieder!“ ein“ , so der Vorsitzende zum Abschluss.
Viele haben auch im Westerwald wegeguckt, als grauenvolle Dinge passierten
So eine Erinnerungstour kann natürlich nicht enden, ohne sich auch damit zu beschäftigen, was im „Dritten Reich“ im Westerwald los war. Dazu begrüßte Dr. Moritz Jungbluth als Museumsleiter die Gruppe im Landschaftsmuseum Westerwald in Hachenburg. Er zeigte Exponate seines Hauses, die vom früheren jüdischen Leben in der Region zeugten. Präsentiert wurde beispielsweise vom damaligen Warenhaus des Seligman Rosenau vertriebene landwirtschaftlicher Geräte wie eine Fegemaschine und eine Strohschneidemaschine. Für die Westerwald Bank lobte Lorenz Candrix das Projekt der Equipe EuroDeK, die damit ein großartiges Zeichen ganz im Sinne seines Arbeitgebers für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt gebe.
Mit Fakten zum Thema „So war es während der Nazizeit im Westerwald“, die er mit dem Song „My Generation“ von Tho Who begann, erinnerte der Heimathistoriker Dr. Uli Jungbluth in einem Vortrag bei Kaffee Kuchen. Er sei ein Teil der Generation, die wissen wollte, was damals geschah. „Zu viele haben wegeguckt, als grauenvolle Dinge passierten, leider oft auch die Kirchgänger“, so Jungbluth. Er wies darauf hin, die beschworene Bedrohung durch das Judentum sei bei einem Bevölkerungsanteil von 0.4 % ein reines Propagandaphänomen gewesen. Ebenso wie damals sei euch heute das Weggucken als Überlebensstrategie ungeeignet und könne wieder in der Katastrophe enden. „Leider wird die heutige Boomergeneration immer dekadenter, ist stolz darauf Urlaubweltmeister zu sein und will Probleme mit immer mehr Konsum überdecken“, so der Historiker mahnend.
Als Schirmherr der Veranstaltung ließ sich Landtagspräsident Hendrik Hering ebenso wie Sponsor Markus Mann (MANN-Energie), über den erfolgreichen Verlauf und die gewonnen nachhaltigen Eindrücke der Thementour berichten. Die Equipe EuroDeK innerhalb der beiden heimischen Radsportvereine RSV Oranien Nassau und RSG Montabaur, plant bereits die nächste Thementour 2026: dann soll sich alles um unser immer mehr gefährdetes Lebenselixier Wasser drehen. Weitere Info dazu und zur Arbeit der Equipe bei Uli Schmidt unter uli@kleinkunst-mons-tabor.de.

Führung durch die Gedenkstätte in Hadamar. Foto: Uli Schmidt