Walter Fabritius hat im Buch die „Authentische Erinnerung aus dem langen Leben eines Breisiger Jungen“ festgehalten

Reichhaltig war‘s

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Walter Fabritius: Ein „Breisiger Junge“ durch und durch. Foto: HG

Bad Breisig. Erzählen kann er. Das ist beim Beisammensein mit Walter Fabritius etwa an einem schönen Tag auf der Terrasse des Hotels Rhein-Residenz mit Blick auf den Strom zu erleben. In seinem geliebten Bad Breisig, wo viele Menschen ihn „Waldi“ nennen und einigen darüber sein wirklicher Vorname Walter beinah entfallen ist, kennt er sich aus, wie kaum ein zweiter. Damit sind bereits zwei Vorraussetzungen gegeben fürs Bücherverfassen. Und als jemand, der im Alter von 17 Jahren damit begann, Beiträge für die lokalen Tagezeitungen und Wochenzeitschriften seiner Heimat zu schreiben, bringt Fabritius eine dritte mit: die Freude am Schreiben mitsamt der entsprechenden Übung.

Im Jahr 2007 hat er es schon einmal getan und im Eigenverlag „Die alten Breisiger – Plaudereien aus der Geschichte der Quellenstadt in 53 Aufsätzen‘‘ herausgegeben, die Karl-Heinz Ziebarth illustrierte. Es sei lohnend, den Werdegang Breisigs durch die Jahrhunderte zu verfolgen, befand Fabritius, der sich von Jugend an mit der Geschichte der Stadt befasste. Oft als „Breisiger Urgestein“ apostrophiert, kam er indes am 10. März 1931 in Sinzig, als Sohn des Sinzigers Franz Fabritius und der aus Breisig stammenden Christine, geborene Schlösser, zur Welt. Sein Opa Josef Fabritius war Gärtner vom Sinziger Schloss. Aber dreijährig zog Walter schon mit den Eltern nach Niederbreisig, wo zur Familie auch wieder sein älterer Bruder Erich stieß. Um ihn hatte sich zwischenzeitlich die unverheiratete Tante Susanne Schlösser gekümmert, da es in der Dachgeschosswohnung der Sinziger Schlossstraße zu beengt für vier Bewohner war.

Breisig erobern

Von da an „eroberte“ Walter Fabritius „sein“ Breisig einschließlich des Märchenwaldes, der die Kinder bei Besuchen mit den Eltern und Verwandten entzückte. Aus Erzählungen der Mutter erfuhr der Junge, dass sie früher Kinderfräulein bei der überwiegend in Niederbreisig lebenden Familie Albert Mertés, „dem millionenschweren Inhaber einer Kölner Hutfabrik“, war. Sie umsorgte das kränkliche Kind Mimi. Früh starb es an Tuberkulose und ist im Breisiger Mertés-Mausoleum bestattet. Überallhin begleitete sie die Kleine, sodass sie auch auf der hochseetüchtigen Yacht „Meteor“ einen Törn rund um Europa mitmachte, wovon ein Erinnerungsfoto im Hause Fabritius zeugte. Was hat Walter Fabritius in seinen 88 Jahren nicht alles erlebt. Darüber staunte vor zwei Jahren auch seine Nichte Jutta. Die vielbeschäftigte Managerin einer großen pharmazeutischen Firma war nach längerer Zeit aus dem Schweizer Domizil zum Weihnachtsbesuch beim Onkel aufgetaucht. Im schwachen Schein der Christbaumbeleuchtung ließ er sie erzählen, neugierig auf den Berufsalltag der von Stadt zu Stadt jettenden Frau. Doch dann drehte sie den Spieß um. Er musste für sie aus dem reichen Fundus seines Erlebten schöpfen. Danach ermunterte Nichte Jutta: „Das musst Du unbedingt aufschreiben und zwar sofort, sonst ist alles wieder vergessen“.

Tatsächlich setzte sich der so Animierte umgehend an den PC. Und er hielt durch. Nicht chronologisch notierte er, sondern, wie ihm die Dinge gerade in den Sinn kamen und legte in diesem Frühjahr die Veröffentlichung „Das war’s – Authentische Erinnerung aus dem langen Leben eines Breisiger Jungen“ vor. Vieles wird darin berücksichtigt, die persönliche Entwicklung vom Schulbub zum Gymnasiasten, zum Lehrling, bis hin „Zur Schokoladenseite meines Lebens“, der Anstellung bei der Schokoladenfirma Reichrath in Köln und der 46 Jahre währenden Beschäftigung beim Remagener Verkehrsverlag. Entgegen Fabritius‘ Einschätzung, durch die spontane Niederschrift sei ein „wirres Durcheinander“ entstanden, lässt sich der Erzählfaden gut verfolgen beziehungsweise immer wieder neu aufnehmen.

Flüssig geschrieben

Das Buch liest sich flüssig, weil im Plauderton verfasst, ganz wie vom Autor beabsichtigt. Dessen Rückblicke beleuchten die Vorkriegsjahre, Krieg, Nachkriegsjahre mit ihren Versorgungsengpässen und der vordringlichen Bemühung an Kartoffeln heranzukommen. Zur Erstkommunion bekam der Junge unter anderem „eine Palme, wie sie der Führer liebt“. Er beobachtete den Tieffliegerangriff, bei dem der alte Heinrich Knott ums Leben kam, half auch die Trage mit dem schwer verletzten Gretchen Söller zum Lazarett schleppen. Abenteuerlich geriet die Kinderlandverschickung des Andernacher Gymnasiums, die im Februar 1945 begann und für den anfangs 13-, dann 14-jährigen Teilnehmer Walter bis Ende Mai dauerte. Beabsichtigt war, die Schüler weit entfernt von der Front zu unterrichten. Die Familie Fabritius versuchte zudem, zu verhindern, dass Sohn Erich noch zum Wehrdienst eingezogen wurde. In Frankfurt hieß es für die Jungen zwölf Stunden im überfüllten Luftschutzkeller ausharren. Dem fiebrig erkälteten Walter setzte dies besonders zu. Jagdschloss Oberau in Staffelstein sollte für sechs Wochen schulischer Ausweichort werden. Doch weit gefehlt. Wehrmachtsberichte im Radio berichteten von der Einnahme von Remagen und die Schülergruppen flohen vor der heranrückenden Front bis an die tschechische Grenze. Fabritius hat wohl Recht, wenn er schätzt, dass dieses lange Kapitel im Buch „für einen, der den Krieg nicht erlebt hat, sehr interessant ist“. Ihn haben die Monate selbstständiger gemacht, resümiert er.

In der Heimat wurde er dann Zeuge der menschenunwürdigen „Rheinwiesenlager“. Wenn die Bürger Essbares über den Zaun warfen, sahen sie, wie die ausgehungerten deutschen Gefangenen sich um kleine Stücke Brot schlugen. Walters Mutter sorgte für ein Durchkommen in der Nachkriegszeit, sein Vater, der bei der SS gewesen war, blieb noch einige Zeit interniert und durfte auch danach nicht direkt wieder als Lehrer arbeiten. Die Zeitgeschichte ist unlösbar in die Lebensgeschichte und in den Alltag der Menschen verflochten. Das Private, lange begleitet von der „unvergleichlichen Lebenskameradin Margot“ überwiegt im Buch. Aber Politik, Gesellschaft und Zeitgeschehen scheinen durch. Einblicke in lokale Wirtschaftszweige, wie Tourismus, die ehemalige Remagener Möbelproduktion und der Jahrzehnte lang von Fabritius mitbetriebene Verkehrsverlag kommen ebenso vor wie Freizeitbeschäftigungen und Vereinsleben, wobei Fabritius‘ tragende Rolle im Karneval besonders hervorsticht.

Fortsetzung folgt?

Im Gespräch hält er plötzlich inne. „Das Buch ist eigentlich zu kurz geraten“, sinniert er. Beim Schreiben sei ihm noch so vieles eingefallen, was Berücksichtigung verdient hätte. In den letzten Zeilen seiner biografischen gut zweihundert Seiten umfassenden Aufzeichnungen heißt es: „Ich könnte ewig weiterschreiben. Geschichten von Lene Gran, das Unikum am Massagetisch, von Lotte Bindrich, der Miss Marple unter den Hotel-Direktorinnen, von Jupp Schwarz, dem immer zu Sprüchen aufgelegten Betreiber des Märchenwalds…“ Mehr Namen folgen und ganz zum Schluss gesteht der Verfasser: „Ich glaube ich muss ein weiteres Buch schreiben“. Das aktuelle ist für 15 Euro zu haben bei Walter Fabritius, Kontakt unter Tel.: 02633-96924, bei der Touristinfo Bad Breisig, Koblenzer Straße 39 und an der Rezeption des Hotel Rhein-Residenz an der Rheinpromenade.