Die Welt blickt auf Sotschi zu den XXII. Olympischen Winterspielen
Wintermärchen unter Palmen?!

Sotschi. Stellen Sie sich vor, das sonnenverwöhnte, südfranzösische Nizza wäre Austragungsort der nächsten Olympischen Spiele. Winterspiele wohl bemerkt. Klingt lustig? Wie ein Witz? Das mag sich der ein oder andere 2007 vielleicht auch gedacht haben, als sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) für das russische Sotschi als Austragungsort der 22. Olympischen Winterspiele entschied. Die einst verschlafene Stadt am Fuße des Kaukasus liegt immerhin auf dem gleichen Breitengrad wie Nizza und hat von daher ein vergleichbares Klima - subtropisches nämlich, mit langen, heißen Sommern, warmen Herbsttagen und einem kurzen, milden Winter.
An der „Russische Riviera“, der Ostküste des Schwarzen Meers gelegen, laden die Temperaturen in der gut 340.000 Einwohner zählenden Stadt zum Badeurlaub unter Palmen ein, die wachsen dort nämlich auch. Die kältesten Monate sind auch hier der Januar und Februar mit etwa 6 °C Durchschnittstemperatur, auch wenn am 22. Januar 1948 schon mal 21,2 °C gemessen worden sind. Kann ja mal vorkommen, wird sich das IOC vielleicht gedacht haben?!
Importiertes Winterwonderland
Und immerhin ist es in den Gebirgslagen der Stadt 5 bis 6 °C kühler, so zum Beispiel im knapp 600 Meter hoch gelegenen Krasnaja Poljana, wo die olympischen Skiwettbewerbe ausgetragen werden. In dem rund 50 Kilometer von der Küste entfernt gelegenen, einst beschaulichen Bergdorf ist das Wintersportzentrum für die Olympischen Spiele entstanden, ein völlig neuer Ort mit nunmehr über 42.000 Übernachtungsmöglichkeiten.
Auch für Schnee hat man gesorgt: Bereits im vergangenen Winter wurden Schneereservoirs angesammelt, die während des Jahres mit Spezialfolien vor dem Schmelzen geschützt wurden. Außerdem wurden aus Finnland Kunstschnee-Maschinen importiert, die selbst bei Temperaturen von bis zu 30 Grad Celsius ein Winterwonderland entstehen lassen können. Dazu benötigen sie nur Wasser. Viel Wasser, zugegeben. Dafür wurden extra riesige Reservoirs angelegt.
Gigantische Baumaßnahmen
In Sotschi selbst werden die Hallenwettkämpfe ausgetragen. Hier, mit Blick auf Palmwedel und türkisfarbenes Meer, wurde auf einem gigantischen Gelände der „Olympiapark Sotschi“ mit sechs nigelnagelneuen Eishallen aus dem Boden gestampft. Dafür mussten enorme Mengen Erdreich bewegt werden. Mit dem Umweltschutz nahm man es dabei nachweislich nicht so genau und Abraum und Schutt wurden kurzum in der näheren Umgebung verteilt.
Sowieso sorgte das Projekt Olympia 2014 für massive Einschnitte in der Region, ihrer Vegetation und Tierwelt. Zwar wurde schon bei der Bewerbung versprochen, „die Umwelt mit der Ausrichtung der Olympischen Winterspiele zu ehren“, und dass Sotschi „einen umfassenden Plan“ entwickelt habe, um die Spiele „mit einem starken Bekenntnis zur Nachhaltigkeit zu inszenieren und gleichzeitig ein Vermächtnis an Umweltbildung, Umweltbewusstsein und Umweltverbesserung zu ermöglichen“ - doch die Taten, die dann folgten, sprechen bisher eine ganz andere Sprache.
Massives Glaubwürdigkeitsproblem
Überhaupt sieht es so aus, als habe Sotschi ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Pünktlich zur Eröffnung der Veranstaltung wurde zum Beispiel viel darüber spekuliert, wer warum was wollte, wie viel Putins Prestigeobjekt eigentlich kostet und vor allem wie es die russische Bewerbung geschafft hat, sich gegen die Konkurrenz aus tatsächlichen Wintersportgebieten - nämlich das koreanische Pyeongchang und das österreichische Salzburg - durchzusetzen.
Es kursieren zig Aufstellungen mit den verschiedensten Summen, die diese Olympischen Winterspiele verschlingen sollen. So richtig und endgültig scheint durch diesen Sumpf noch niemand durchzusteigen, denn nach dem Matrjoschka-Prinzip verstecken sich hierbei Kosten in Kosten in Kosten. Aus den zunächst im Rahmen der Bewerbung veranschlagten 10,7 Milliarden Dollar, sollen mittlerweile 51 Milliarden Dollar (37,5 Milliarden Euro) geworden sein - Stand Anfang Februar 2014.
Enthalten in diesen Rechnungen: ein geschätzter Korruptionsanteil von 30 bis 40 Prozent. Den Nutzen daran sollen nicht zuletzt gute Freunde des Kreml-Chefs haben, wie das US-Magazin Forbes recherchierte. So soll Arkadi Rotenberg, ein Judo- und Jugendfreund Putins, Bauaufträge im Wert von 7,36 Milliarden Dollar erhalten haben.
Einiges von diesem Geld aber, so wird gemutmaßt, hätten auch die verantwortlichen Sport-Funktionäre eingesteckt, damit die lukrative Wintersport-Veranstaltung überhaupt in die wärmste Region des Landes kommt. Der neue IOC-Präsident Thomas Bach hält dagegen, dass das IOC dem Wunsch der Russen nach „Tourismus-Entwicklungshilfe“ gefolgt sei.
Banalisierter Terror
Überhaupt muss sich das IOC in diesen Tagen einiges anhören. So zum Beispiel auch, dass die besondere Terrorgefahr in und um Sotschi seitens der Olympia-Entscheider banalisiert worden ist.
Das Terrorpotenzial durch mögliche Bedrohungen von Gruppierungen aus benachbarten Gebieten ist schon seit Jahren ein Thema für den Nordkaukasus.
Dennoch bezeichnete sich Sotschi in seiner Bewerbung als eine der „sichersten Städte Russlands“ und man werde in jedem Fall die „günstigsten Bedingungen für friedliche Winterspiele schaffen“. Die wünschen wir uns alle!


Die Temperaturen in der gut 340.000 Einwohner zählenden Stadt laden zum Badeurlaub unter Palmen ein. Olympische Winterspiele können sich viele hier nur schwer vorstellen.Foto: Wikipedia/Mikhail Mordasov