Hobby-Drachenbauer aus Harscheid baut derzeit größten Stablenkdrachen in Rheinland-Pfalz
Bunter Riese kreiste erstmals über dem Ahrtal
Harald Bertsch berichtet über sein außergewöhnliches Hobby und seine Leidenschaft zum Drachenfliegen

Harscheid. Wenn man seit über 30 Jahren Drachen fliegt, solche mit einer oder zwei, gar vier Leinen dran, dann kommt man irgendwann auf dumme Gedanken. „Ich baue meine Drachen fast alle selbst. Die Materialien sind Ripstop-Nylontücher oder Ripstop-Polyestertücher. Die Gestänge sind nicht wie früher aus leichten Holzlatten, es kommt Kohlefaser zum Einsatz. Die Leinen sind auch nicht mehr aus Bindfäden, es sind Aramid- oder hochwertige Dynemaaschnüre. Ein vielfaches leichter und reißfester als vergleichbarer Stahldraht“, erzählt Harald Bertsch aus Harscheid.
Aber manchmal braucht es vieles von dem nicht. Manchmal spukt einem eine Idee durch den Kopf, dass man auch die 30 Jahre alten Drachen, die noch vom Discounter stammen und in der Garage dahinvegetieren ein zweites Leben verdient haben.
„Dazu kam, dass ich vor einigen Jahren einen alten genialen Mann am Nordseestrand von Sankt Peter-Ording kennenlernen durfte. Auch ein Drachenflieger durch und durch. Ein Konstrukteur, der Visionen hatte. Er zeichnete und baute Lenkdrachen, die mir gefielen und mit denen ich auch fliegen durfte. Seine Lenkdrachen waren mal klein mit einer Spannweite von knapp über einem Meter und mal groß, sehr groß mit einer Spannweite von 12 Metern. Ja die kann man alleine im Stehen fliegen. Es sind die größten Stablenkdrachen, die jemals in den Himmel entlassen wurden. Günter lebt inzwischen nicht mehr. Sein Erbe aber sehr wohl. Es gibt einen Freundeskreis, der sein Andenken in Ehren hält. Und so entstand bei mir diese Idee“, erklärt Bertsch.
„Ich nahm also meine 17 Drachen vom Discounter, die sich in den Jahren angesammelt hatten und versuchte auch was Großes zu bauen. Nicht ganz so groß wie Günter mit 12 Metern, mir reichte die Vorstellung von 7,6 Metern Spannweite. Da ich auch die ganz großen schon geflogen habe, versuchte ich, die Idee umzusetzen, und zeichnete Günters Plan auf eine Rolle Papier, zerschnitt meine Discounterdrachen und machte mich ans Werk.“
Drache entstand am Esstisch
So entstand daheim in Harscheid bei Adenau am Esstisch der derzeit größte Stablenkdrachen in Rheinland-Pfalz. Es war schon viel Tuch, dass unter der Nähmaschine von Harald Bertsch Platz finden musste. Abend für Abend entstand dann das bunte Segel. „Da meine 17 Drachen nicht reichten, wurden kurzerhand in den Kleinanzeigen noch 5 bis 6 weitere Drachen der selben Bauart gekauft. Bei meinen alten Drachen fand ich noch die Herstellerfähnchen am Tuch, auf denen ich damals vermerkt hatte, von wem ich den Drachen bekommen habe. Diese Fähnchen habe ich auch wieder in den neuen Drachen eingenäht. So bleibt die Geschichte dahinter lebendig“, berichtet Harald Bertsch.
Ein Drache mit Vergangenheit
Er ließ auch die Verfärbungen und Macken im Tuch und schnitt auch nicht die Verstärkungen heraus, die sonst nur stören. Bertsch wollte, dass man die Vergangenheit im neuen Drachen sehen kann. Damit der Druck im Segel nicht zu groß wird und Harald Bertsch nicht bis zur Nürburg geschleppt wird, wurden einige Flächen mit Gazestoff genäht. Gazestoff ist ein Gitter, ähnlich eines Fliegengitters und lässt dann doch einiges an Wind durch. Den Nylonstoff kann man sehr gut mit einem Malerkrepp fixieren und muss nicht mit Stecknadeln experimentieren.
„Es war immer etwas unheimlich, wenn man sehr lange Bahnen, die mit Stecknadeln fixiert waren, durch die Beine in Richtung Nähmaschine laufen ließ. Man durfte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn dann eine der Nadeln sich im Oberschenkel verfängt und die Maschine fröhlich weiter am Stoff zieht“, erzählt Bertsch über den Entstehungsprozess.
Wer sich jetzt fragt, welches Modell der Drache ist, es ist ein Flaki 7.6 aus der Feder von Günter Wolsing. Der alte Mann am Nordseestrand, den Harald Bertsch kennen lernen durfte. „Flaki“ bedeutet lediglich, dass der Drache einen flachen Kiel besitzt. Die Tiefe des Kieles entspricht eben seiner Breite. Dadurch fliegt er sehr stabil geradeaus und lässt sich aber wiederum leicht in eine andere Richtung lenken.
Sicher ist dem Einen oder Anderen in Harscheid, Winnerath, Reifferscheid oder bei Mahlberg die Drachen von Harald Bertsch bereits aufgefallen.
Drachensport in der Region nicht weit verbreitet
„Leider ist das Freizeitvergnügen oder besser der Drachensport hier in der Gegend rund um den Ring nicht so weit verbreitet. Vielleicht ändert sich das ja mal“, hofft der Drachenbauer aus Harscheid.
Damit so ein Drachen auch haltbar ist, ist die äußere Leitkante aus besonders strapazierfähigem Material gebaut. Es nennt sich Dacron und besteht aus einem Nylontuch, das mit Kunstharz versteift wurde. Die Nase wird dann nochmals mit LKW-Plane verstärkt.
„Aber meine alte Pfaff geht da problemlos durch und macht jeden Blödsinn mit. Nur langsam geht mir der Platz in Küche und Esszimmer aus. Nicht jeder hat Platz zum Fußballspielen in der Wohnung“, sagt Bertsch.
1000 Meter Faden sind in den Drachen vernäht. Alles in einer geschlossenen Kappnaht. Über 10 Meter Klett- und Flauschband sind verarbeitet worden, damit Harald Bertsch die Gazesegel auch mal bei wenig Wind verschließen kann. Zum Glück hatte der Drachenbauer bereits vor dem Lockdown genügend Klettmaterial beim örtlichen Händler in Adenau gekauft. „Ich versuche immer so viel wie möglich von den örtlichen Händlern zu kaufen“, sagt er.
Im März war das Segel fertig
Nach nächtelangen Nähorgien konnte Harald Bertsch diesen März zum ersten Mal das Segel in seiner vollen Größe an die Garagenwand seiner Garage kleben. Dabei kontrollierte er direkt auch die Symmetrie. Das wäre das Aus für den Drachen gewesen, wenn die Seiten nicht gleich geworden wären. „Aber Entwarnung, es passte alles!“
Jetzt konnte es ans Bauen des Gestänges gehen. Ein Gestänge aus Kohlefaserrohren mit 16mm Durchmesser sollte es werden. Damit der Drache auch transportabel ist, wollte Harald Bertsch auf ein Packmaß von 1,6 Meter raus. Das bedeutete, dass die Rohre zersägt werden müssen und Muffen aus Alurohr gefertigt wurden. Alles am heimischen Esstisch in der schönen Eifel.
„Da ich auch die Karbonrohre nicht von allzu weit herholen wollte, fand ich diese im schwäbischen Weil im Schönbuch bei Stuttgart. Gutes Material einer kleinen aber feinen Fabrik. Es kostet ja schon Überwindung, wenn man die teuren Hightech Rohre unter die Bügelsäge legt und sie verkleinert. Zweimal abgesägt und immer noch zu kurz war mir schlicht zu teuer. Da kommt dann doch der gebürtige Schwabe durch. Also alles nochmals nachgemessen und dann beherzt die Säge durch das Karbon gejagt. Zu meiner Beruhigung, muss ich sagen, dass ich richtig gemessen hatte. Ein Hoch auf einen guten Meterstab“, berichtet Bertsch.
Aus klarem Gewebeschlauch entstanden die Verbinder zwischen den Leitkanten außen und den Querrohren. Die Verbinderleinen, an denen der Drachen dann angehängt wird, die sogenannte Waage entstand aus der Leine eines alten Gleitschirms. Ein Freund von Harald Bertsch aus Mendig, der ebenfalls so einen Drachen baut, hatte einen alten Gleitschirm zur Verfügung.
Ab zum Jungfernflug
Nachdem der Drache fertig war und auch die kleineren Glasfaserstäbe abgelängt und eingehängt waren, stand nur noch der Jungfernflug aus. Zum Einhängen der kleineren Stäbe hat Harald Bertsch Schlaufen von dünnem Gurtband ans Segel genäht und Wiederrum mit LKW Plane verstärkt. Die Stäbe bekommen dann Nocken von Pfeilschäften aus dem Bogensport. Die Teile hinten am Pfeil, wo der Pfeil auf der Sehne liegt. Als Drachenbauer muss man immer weit über den Teller schauen und prüfen, welche Materialien man nutzen kann. Nur ins Regal greifen beim Händler wäre ja zu einfach.
An einem Samstag im April war es dann soweit. Ab auf die Wiese und den großen Drachen aufgebaut. „Etwas mulmig war mir ja schon bei dem Gedanken, den Riesen an die Leinen zu nehmen und ab damit in die Luft. Nu was solls? Ich kann ja nicht nächtelang an der Nähmaschine verbringen, ein kleines Vermögen in das Hightech Material zu versenken um dann zu kneifen. Nee so geht das nicht. Ich war ja auch nicht alleine auf der Wiese und meine bessere Hälfte und auch Freund Micha aus Mendig waren da“, berichtet Bertsch von dem ersten Flug seines neuen „Riesenrachen“.
„So half mir dann Micha mit der Kontrolle der Waage. Aufgrund der Größe geht das nicht mehr alleine. Wir nahmen jeder eine Waageschnur in die Hand und zogen leicht daran. Der Flaki stand direkt über uns regungslos in der Luft. Und dabei hatten wir eigentlich wenig Wind auf den Wiesen hoch über dem Ahrtal“, erzhählt Bertsch vom Jungfernflug.
Das machte Mut und Harald Bertsch konnte die 50 Meter langen Lenkschnüre an den Drachen knüpfen. Mit einer Bruchlast von 170kg pro Leine sollten sie das auch aushalten.
„Ähnlich wie ein Pilot vor dem Start, geht man im Kopf alles nochmals durch.. alle Verbinder ordentlich gesteckt, keine Leine verheddert. o.k., dann kommt der kleine Mann im Ohr und fragt dich: „Hast du dein Erbe verteilt, mit allem abgeschlossen, wird dich dieses Monster töten oder bist du der Herr über das Biest?“, so Harald Bertsch über die anfänglichen Zweifel.
„Doch dann gibst du dir einen Ruck und ziehst beherzt an den Leinen, ein kleiner Ausfallschritt nach hinten und dann gabs kein Halten mehr. Der Flaki zog langsam und gemütlich nach oben. Er flog einfach und machte keinerlei Anstalten mich um die Ecke zu bringen. Ganz majestätisch stand er im Himmel und wartete auf weitere Lenkbefehle. Zuerst eine Kurve nach links – ok, dann nach rechts – auch ok… jetzt einen Looping, gut fällt etwas größer aus, klar sind 7,6 Meter Spannweite. Das muss größer ausfallen. Dann ließ ich mich ins Gras fallen und setzte mich zum Weiterfliegen und das Ganze zu genießen“, berichtet er stolz.
Abschluss des ernsten Fluges
Und nach einer gefühlten Ewigkeit versuchte Harald Bertsch es mit der Landung. Etwas aus dem Wind geflogen kam der Flaki willig in Richtung Wiese und stellte sich zum Landen sauber auf. So konnte der Drachenbauer ihn abstellen, sichern und wartete schon auf den nächsten Start, der auch nicht lange auf sich warten ließ.
„Die Erlebnisse dieses Nachmittags wirkten noch sehr lange nach. Und obwohl ich es besser wissen müsste, da es ja nicht der erste Drachen ist den ich gebaut habe, konnte ich zutiefst zufrieden nach Hause marschieren“, berichtete Harald Bertsch, der Drachenbauer aus Harscheid.
Quelle: Harald Bertsch

Im März konnte Harald Bertsch aus Harscheid zum ersten Mal das Segel in seiner vollen Größe an die Garagenwand kleben.

Mit seiner alten „Pfaff“ hat Harald Bertsch die fast 5 Meter langen Kappnähte gesetzt.

Da Harald Bertsch bei seinen Drachen immer ein Bildchen seiner verstorbenen Frau (links) und seiner neuen Liebe (rechts) versieht, musste natürlich auch der neue Drache diese Konterfeis tragen.

Der große bunte Lenkdrachen bei seinem Jungfernflug.

Harald Bertsch und sein Freund Micha bereiten alles für den Jungfernflug vor. Der Drache hat eine Spannweite von stolzen 7,6 Metern.