Untersuchungsausschuss des Landtags zur Flutkatastrophe

Skandal in Mainz: Diverse Rücktrittsforderungen

Landesregierung soll nach Ansicht der Opposition ihrer Pflicht nicht nachgekommen sein, in der Flutnacht die Einsatzleitung zu übernehmen und die Bevölkerung rechtzeitig vor den heranstürzenden Wassermassen zu warnen

Skandal in Mainz:
Diverse Rücktrittsforderungen

Symbolbild. Archiv ROB

30.09.2022 - 08:03

Kreis Ahrweiler/Mainz. Seit ziemlich genau einem Jahr versucht der Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags, die politische Verantwortung für die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Starkregenkatastrophe im Kreis Ahrweiler am 14./15. Juli 2021 zu klären.

Nach dem Rücktritt der ehemaligen Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) am 11. April dieses Jahres steht mittlerweile Innenminister Roger Lewentz (SPD) im Fokus der Untersuchungen. CDU und AfD haben bereits seinen Rücktritt gefordert. Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt derweil weiterhin ausschließlich gegen den ehemaligen Landrat Dr. Jürgen Pföhler (CDU) sowie den Brand- und Katastrophenschutzinspekteur, an den Pföhler schon viele Jahre vor der Katastrophe die Einsatzleitung in Katastrophenfälle übertragen hatte.

Dabei muss sich der Untersuchungsausschuss immer wieder mit widersprüchlichen oder nichtssagenden Aussagen sowie mit zurückgehaltenen Beweismitteln auseinandersetzen. Das Fass zum Überlaufen brachten jetzt Videoaufnahmen, die ein Polizeihubschrauber in der Flutnacht aufgenommen hatte und die erst über ein Jahr später bekannt wurden. Bislang hatte Lewentz immer beteuert, es habe in der Flutnacht kein belastbares Lagebild gegeben, weshalb die Landesregierung auch keine Grundlage dafür gesehen habe, die Einsatzleitung zu übernehmen oder noch am Flutabend einen Krisenstab einzuberufen. Diese Aussage wird aufgrund der plötzlich aufgetauchten Polizeivideos nun stark in Zweifel gezogen.


Sieben Videos aus der Flutnacht aufgetaucht


Nach neuesten Erkenntnissen handelt es sich um insgesamt sieben Videos, die zwischen 22.14 Uhr am Abend des 14. Juli und 6.09 Uhr am folgenden Morgen stammen. Diese wurden mittlerweile auch von der Staatsanwaltschaft als Beweismittel angefordert und werden einer eingehenden Auswertung unterzogen. Deren Inhalte könnten eventuell eine Rolle für die strafrechtliche Beurteilung der Geschehnisse in der Flutnacht spielen. Womöglich müssten die Ermittlungen ausgeweitet und vielleicht auch auf weitere Beschuldigte ausgedehnt werden. Auf jeden Fall seien die Ermittlungen damit noch komplexer geworden.

Immerhin hat das Mainzer Innenministerium mittlerweile zugegeben, dass die vom Hubschrauber aufgenommenen Bilder ebenso wie mündlichen Schilderungen der Hubschrauberbesatzung in die damalige Lagebewertung eingeflossen seien. Die Dramatik der Situation scheint jedoch nicht wirklich durchgedrungen zu sein, denn erstaunlicherweise sagte der diensthabende Polizeibeamte im Untersuchungsausschuss aus, er habe das so aufgefasst, dass das ein Hochwasser mit steigendem Wasser sei.

Die Videos sind der Öffentlichkeit bislang noch nicht zugänglich, weil nach Ansicht der Landesregierung dort Menschen in großer Not zu sehen seien und damit Persönlichkeitsrechte verletzt werden könnten. Doch dem Vernehmen nach sollen sie Menschen zeigen, die auf Hausdächern mit Taschenlampen um Hilfe winken. Leider fehlte dem Hubschrauber eine Seilwinde, sodass der Pilot beschloss, den Flug einzustellen, weil er den Menschen keine Hoffnung auf Rettung machen wollte.


Niemand will von den Videos etwas gewusst haben


Minister Lewentz hatte im Untersuchungsausschuss erklärt, die Videos nicht gekannt zu haben, bevor sie ihm dort gezeigt wurden. Dabei war nach Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses die Initiative, einen Polizeihubschrauber in das Ahrtal zu schicken, um ein umfassendes Lagebild zu erhalten, von einem Mitarbeiter des Lagezentrums im Innenministerium ausgegangen. Lewentz soll am Flutabend im Büro seines Privathauses gearbeitet und nach eigenen Angaben versucht haben, sich über die Geschehnisse im Ahrtal und den anderen betroffenen Gebieten auf dem Laufenden zu halten. Kaum nachzuvollziehen ist es jedoch, dass sich angeblich weder die Mitarbeiter im Lagezentrum noch der Minister selbst danach erkundigt haben, was der Hubschrauber bei seinem Erkundungsflug in Erfahrung gebracht hatte. Denn im Lagezentrum kamen laut Aussagen von Mitarbeitern im Untersuchungsausschuss nur einzelne Fotos an, die Aufnahmen der überschwemmten Ortschaft Schuld zeigten. Diese sollen auch an Lewentz weitergeleitet worden seien. Von Videos hingegen will niemand etwas gewusst haben.

Im Kreuzfeuer steht auch Thomas Linnertz (SPD), der Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD). Er habe zwar Informationen über großflächige Überschwemmungen und herumschwimmende Öltanks gehabt - aber dass etwa in Schuld Häuser eingestürzt seien, habe er erst nach Mitternacht erfahren, ebenso über mögliche Todesopfer. Nacht um halb eins habe er darüber den Innenminister informiert. Zwei Gutachter waren jedoch der Überzeugung, seine Behörde hätte die Einsatzleitung in dieser Nacht übernehmen können oder sogar müssen, denn die entsprechenden Voraussetzungen im Brand- und Katastrophenschutzgesetz des Landes seien gegeben gewesen. Doch Linnertz behauptet, für eine Übernahme der Einsatzleitung habe es keinen Anhaltspunkt gegeben.

Alles in allem ergeben die Ermittlungen im Untersuchungsausschuss ein vernichtendes Bild: abvorhandene Informationen wurden offenbar nur unzureichend zwischen den beteiligten Stellen ausgetauscht und wurden darüber hinaus auch oft noch völlig unterschätzt. Kein Wunder also, dass CDU-Fraktionschef Christian Baldauf auch den Rücktritt von Thomas Linnertz fordert: „Entweder hat er uns nicht die Wahrheit gesagt oder er hat ein glattes Organisationsverschulden in seinem eigenen Haus.“


Rechtzeitige Warnung an die Bevölkerung unterblieb


Und dann gibt es auch noch das Mainzer Umweltministerium mit dem Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) in vorderster Front. Natürlich wird auch sein Rücktritt oder seine Demission verlangt, denn er habe zu wenig getan bei der Bewältigung der Katastrophe. Hatte doch der Bonner Hydrologe Thomas Roggenkamp im Untersuchungsausschuss ausgesagt, die prognostizierten Pegelstände an der Ahr hätten bereits ab 14.22 Uhr gereicht, um von einem Hochwasser extremen Ausmaßes auszugehen. Damit wäre noch ausreichend Zeit gewesen, um die Menschen entlang der Ahr zu warnen, fand nicht nur Stephan Wefelscheid, Obmann der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss. Die Warnung unterblieb allerdings bekanntlich.

Dabei ist Erwin Manz ein erfahrener Wasserexperte, leitete der Biologe doch fünf Jahre lang die Fachabteilung Wasserwirtschaft im Mainzer Umweltministerium. Zwei Monate nachdem ihn Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) zum Staatssekretär ernannt hatte, setzte die Starkregenkatastrophe für das Ahrtal unter Wasser. Eigentlich war Manz also der richtige Mann am richtigen Ort. Umso erstaunlicher ist, was er im März 2022 vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal aussagte: Von einem Extremhochwasser oder gar einer sich anbahnenden Katastrophe im Ahrtal habe er an jenem 14. Juli nichts geahnt. Wo doch die Wetterdienste schon Tage vorher vor ergiebigem Dauerregen und Überflutungsgefahr gewarnt hatten. Sogar das Manz unterstellte Landesamt für Umwelt warnte am Morgen des 14. Juli noch von einem erheblichen Hochwasser.

Trotzdem gab das Mainzer Umweltministerium noch um 16.43 Uhr eine beschwichtigende Pressemitteilung heraus: „Wir nehmen die Lage ernst, auch wenn kein Extremhochwasser droht.“ Erst um 17.17 Uhr rief das Landesamt für Umwelt die höchste Hochwasser-Warnstufe aus und prognostiziert einen Pegelstand von mehr als fünf Metern für die Ahr. Doch weder diese noch spätere Pegelprognosen kamen angeblich beim für Katastrophenschutz zuständigen Innenminister oder seinem Staatssekretär an. Angekommen bei Manz war jedoch um 17.34 Uhr eine Nachricht seines Hochwasserreferenten, dass sich die Lage zuspitze, und der Abteilungsleiter für Hydrologie im Landesamt für Umwelt, Thomas Bettman, berichtet dem Ausschuss, es sei eindeutig klar gewesen, dass es zu einer Katastrophe kommen, als die Hochwasserwarnung auf lila sprang.


„Noch ein Bierchen und dann ab ins Bett“


Vor dem Untersuchungsausschuss sagt Manz aus, zwischen 17.30 Uhr und 18 Uhr sei der Wendepunkt gewesen, an dem er wahrgenommen habe, dass es sich um ein Extremereignis handele. Eine drohende Katastrophe will er dennoch nicht erkannt haben. Stattdessen ging Manz laut eigener Aussage nach Hause, aß zu Abend und erledigte Büroarbeit. Der Untersuchungsausschuss traute seinen Ohren nicht, als Manz erklärte, er habe wohl später wie immer Nachrichten geschaut, dabei noch „ein Bierchen getrunken“ und sei dann ins Bett gegangen. Nur in einer E-Mail von 23 Uhr gab Manz Informationen an Innenstaatssekretär Randolf Stich (SPD) weiter, darin schildert er den verzweifelten Anruf der damaligen Altenahrer Bürgermeisterin Cornelia Weigand (parteilos), die eine Stunde zuvor im Landesamt für Umwelt dramatische Schilderungen von weggerissenen Autos und sechs Meter hohen Fluten hinterlassen hatte: „Hallo Randolf, wir hatten einen dramatischen Notruf aus Altenahr, hoffentlich kommt diese Nacht niemand zu Schaden“. Fünf Minuten später rief Manz das Lagezentrum im Innenministerium an und schildert den Anruf Weigands. Sein dringender Appell: „Schickt alle Einsatzkräfte, dass alles getan wird, diese Menschen zu retten“ - so jedenfalls behauptet es Manz.

Für den Katastrophenschutz fühlt sich Manz jedenfalls nicht zuständig, für Warnungen der Bevölkerung auch nicht: „Es macht überhaupt keinen Sinn, da als Staatssekretär reinzugrätschen“, sagte Manz in seiner Vernehmung. Vielmehr müssten die Regularien ganz streng beachtet werden, und diese besagten: Für Katastrophenschutz ist das Innenministerium zuständig und nicht er. Die Opposition sieht das anders: „Manz war die Schlüsselfigur im Umweltministerium in der Flutnacht, über seinen Schreibtisch liefen die Dinge“, betont Wefelscheid. „Wer als Fachmann den Ernst der Lage nicht erkennt, hat auf der Position nichts verloren.“

Die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusses ist für den 7. Oktober terminiert. Dabei soll es um ein hydrologisches Gutachten gehen, in der Bonner Sachverständige Thomas Roggenkamp zum Schluss kommt, die Pegel-Prognosen am 14. Juli hätten ab 14:22 Uhr gereicht, um von einem Hochwasser größer als 2016 auszugehen. Das Gutachten zeigt nach Ansicht von CDU-Obmann Dirk Herberger, dass das Land zu spät gewarnt habe.

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30.09.2022 10:31 Uhr
juergen mueller

Beschämend ist noch gelinde ausgedrückt, was sich im Nachhinein zur Flutkatastrophe da so alles abspielt und herauskommt. Wenn ich mir in Erinnerung rufe, wie z.B. auch ein Herr Lewentz seine angebliche Betroffenheit über das Ausmaß der Flutkatastrophe immer wieder zum Ausdruck brachte (oder war es Betroffenheit über sein Versagen?). Eine schauspielerische Leistung, geprägt von Kaltschnäuzig- u. Verantwortungslosigkeit, Fehler, Versäumnisse einzugestehen?
Rückgrad zeigen, vor allem in der großen Politik, offensichtlich ein NO GO. Ich frage mich, wie ein Mensch, der sich angeblich nach eigenem Bekunden dem Wohle des Volkes verschrieben hat, damit leben kann, hat er Fehler gemacht (die das Leben von Menschen gekostet haben) diese aber nicht eingesteht. Verantwortung für Geschehenes tragen offensichtlich nie die, denen diese kraft ihres Amtes obliegt, sondern die, denen man diese im Nachhinein als Befehlsempfänger zuschiebt. Die nennt man dann Bauernopfer.



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