Unwetterkatastrophe im Ahrtal: Staatsanwaltschaft Koblenz leitet Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts fahrlässiger Tötung und Körperverletzung aufgrund verspäteter Warnungen ein
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen AW-Landrat Dr. Jürgen Pföhler
Koblenz. Paragraph 222 des Strafgesetzbuches regelt es unmissverständlich: Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Durch die Unwetterkatastrophe fanden nach derzeitigen Stand 141 Menschen den Tod. Über 700 Menschen wurden verletzt. Es war daher damit zu rechnen, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz überprüft, ob Verstöße gegen das Strafgesetzbuch wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung vorliegen. Hätten bei einer früheren Warnung eventuell Menschenleben gerettet werden können? Zwei Tage nach dem Besuch der Staatsanwaltschaft im Hause der Kreisverwaltung Ahrweiler äußerte sich der Leitende Oberstaatsanwalt Harald Kruse im Rahmen einer Pressekonferenz zur Einleitung der Ermittlungen im Polizeipräsidium Koblenz.
Oberstaatsanwalt Harald Kruse betonte gleich mehrere Male, dass derzeit lediglich ein Anfangsverdacht bestehe, der die Einleitung des Ermittlungsverfahrens begründet. Es gelte daher die Unschuldsvermutung. Bei der Staatsanwaltschaft seien gleich mehrere Anzeigen eingegangen. Diese betreffen Personen unterschiedlichster Ebenen, bis hin zur Bundeskanzlerin.
Ermittlungen gegen zwei Personen
Der Anfangsverdacht richtet sich derzeit gegen zwei Personen. Zum einen sei dies der Landrat des Kreises Ahrweiler, weil dieser nach den Regelungen des Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetzes Rheinland-Pfalz möglicherweise die Einsatzleitung und alleinige Entscheidungsgewalt hatte. Bei den ersten Durchsuchungen am Freitag in der Kreisverwaltung habe der Landrat ein Schreiben vorgelegt. Aus diesem gehe hervor, dass er die Leitung des Krisenstabes bereits im Jahr 2016 dauerhaft delegiert habe. Die Ermittlungen richten sich daher auch gegen diese Person. Da es sich nicht um eine politisch besetzte Position handelt, wurden weder Namen noch Funktion von der Staatsanwaltschaft genannt. Landrat Jürgen Pföhler habe beim rund dreistündigen Besuch des Oberstaatsanwaltes in der Kreisverwaltung „gefasst“ auf die Einleitung der Ermittlungen reagiert, zumal die Einleitung der Ermittlungen gegen ihn keine Überraschung gewesen sei. Anders hingegen habe dies bei der zweiten Person ausgesehen: Diese sei „bestürzt“ gewesen, so der leitende Oberstaatsanwalt Harald Kruse.
Ermittlungen auch gegen Krisenstab oder Minister?
Da es sich beim Katastrophenschutz um eine kommunale Pflichtaufgabe handele, sieht man die Verantwortung in erster Linie bei der Kreisebene. Das Gesetz weise in einem Katastrophenfall die Aufgabe sehr eindeutig der kommunalen Seite zu. Daher bestehe kein Anfangsverdacht gegen Akteure, die im Staatsaufbau oberhalb der Kreisebene angeordnet sind.
Auf Nachfrage, ob denn auch andere Mitglieder des Krisenstabs mit einem Ermittlungsverfahren zu rechnen habe, beispielsweise die dortigen Vertreter der Polizei, führte Kruse aus, dass es sich nicht um ein demokratisches Gremium handele. Vielmehr gebe es eine hierarchische Struktur, so dass die Leitung verantwortlich entscheide. „Als Einsatzleiter hat er nach dem Gesetz die alleinige Entscheidungsgewalt, während alle anderen Mitglieder des Krisenstabs lediglich zuarbeiten“, so Oberstaatsanwalt Harald Kruse
Wo war der Landrat in der Krisen-Nacht?
Landrat Pföhler habe angegeben, am Abend „überwiegend“ nicht in der Kreisverwaltung gewesen zu sein. Er habe jedoch telefonisch in Kontakt mit dem Krisenstab gestanden. Aufgrund einer Pressemitteilung stehe fest, dass er gemeinsam mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz zumindest gegen 19 Uhr den Krisenstab besucht habe. Ob und welche weitere Kommunikation zwischen dem Landrat und dem Krisenstab erfolgte, werde noch ermittelt. Der Landrat sehe bei sich keine strafrechtliche Verantwortung für mögliche Einsatzfehler, nicht zuletzt aufgrund der vorgenannten Delegation. Befragt, ob es private Gründe für die Nicht-Anwesenheit im Kreishaus gebe, zum Beispiel eine eigene Betroffenheit, konnte und wollte Oberstaatsanwalt Harald Kruse keine Antwort geben. Dies werde im Rahmen der Ermittlungen ausgewertet, auch anhand der getätigten Telefonate.
Deutliche Warnung erst um 23.09 Uhr
Ausgewertet wurden und werden von der Staatsanwaltschaft auch die Wettermeldungen, anhand dessen man auf die Gefahren hätte schließen können. Bereits um 17 Uhr war es in der Ortsgemeinde Schuld zu Sachschäden gekommen. In Sinzig sei die Flutwelle hingegen nachts gegen 2.30 Uhr angekommen. Die deutliche Warnung an die Bevölkerung erfolgte erst um 23.09 Uhr. Und zwar nicht, wie man bislang ausgegangen sei, durch den Landrat, sondern durch die zweite Person. Es haben sich für die Staatsanwaltschaft tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass am 14.07.2021 spätestens ab etwa 20.30 Uhr Gefahrenwarnungen und möglicherweise auch die Evakuierung von Bewohnern des Ahrtals, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der Flutwelle betroffen waren, geboten gewesen wäre.
Eine Auswertung der bei der Staatsanwaltschaft geführten Todesermittlungsverfahren hat ergeben, dass sich die Todesfälle überwiegend ahrabwärts von Ahrbrück aus mit einem großen Schwerpunkt in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler ereignet haben. Eine zentrale Frage bei den weiteren Ermittlungen dürfte sein, ob der Tod von zwölf Menschen in einem Haus der Lebenshilfe in Sinzig hätte vermieden werden können.
Noch lange Ermittlungen
Der Leitende Oberstaatsanwalt Harald Kruse machte unmissverständlich klar, dass nicht mit schnellen Ergebnissen zu rechnen sei. Der Ablauf der Katastrophe müsse möglichst detailliert und genau nachgezeichnet werden: „Wann hat es wo, welche Flutfolgen gegeben? Wann und wie sind welche Teile der Infrastruktur ausgefallen? Das sind Fragen, die sich stellen werden“, so Oberstaatsanwalt Kruse. Ein weiterer wichtiger Teil der Ermittlungen sei auch die Frage, welche genauen Kenntnisse die im Krisenstab handelnden Personen zu welchem Zeitpunkt gehabt hätten. Und natürlich, welche Schlussfolgerungen sie daraus gezogen hätten.
Es gebe derzeit rund 60 bis 70 Hinweise aus der Bevölkerung. Außerdem müssen die Unterlagen des Krisenstabs ausgewertet werden „Es fehlen noch viele, viele Informationen“, so Oberstaatsanwalt Kruse. So haben beispielsweise Feuerwehren in manchen Orten Warnungen ausgesprochen. Es müsse noch ermittelt werden, auf wessen Veranlassung dies erfolgt ist. Zudem befinde man sich im Austausch mit anderen Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen, was überörtliche Dinge betrifft. Wer hat was zu welcher Zeit gewusst – und was ist daraus geworden?
Wichtige Fragen müssen geklärt werden
Ein mögliches Ergebnis der Ermittlungen kann sein: Mehr, als das was getan wurde, hätte man nicht tun können. Eine wichtige Frage in Richtung des Landrates dürfte aber auch sein: „Hätte man nicht, denjenigen, an den man delegiert hat, besser kontrollieren müssen?“ Ob diese Frage strafrechtlich relevant ist, wird die Staatsanwaltschaft prüfen müssen, wenn man die genauen Abläufe kennt, betonte Oberstaatsanwalt Kruse. Die polizeilichen Ermittlungen in dem Verfahren übernimmt das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz.
Hallo Herr Beck!
Sie sprechen mir aus der Seele!
Unglaublich
Ein unglaublicher Vorgang. Mich schaudert es jetzt noch; mit welch aalglatter Kaltschnäuzigkeit Landrat Dr. Jürgen Pföhler sich diese schweren Vorwürfe aus dem Pelz bürstet.
Warum auch war er nicht zu sehen in den ersten 12 Tagen nach der Katastrophe? Es ist nicht zu fassen.