Eine Weihnachtsgeschichte

„Süßer, die Glocken sind Klingeln!“

„Süßer, die Glocken sind Klingeln!“

Foto: Gregor Schürer

Ein Samstagnachmittag in der Vorweihnachtszeit. Ich habe es mir mit meiner Liebsten auf der Couch gemütlich gemacht. Die Kerzen am Adventskranz brennen und verbreiten heimelige Stimmung. In der Tasse dampft ein heißer Punsch, auf dem Teller liegen köstliche Plätzchen, selbst gebacken. Die Auswahl reicht von Vanillekipferl über Ausstecher bis zu Zimtsternen. Ich greife mir ein Motiv in Glockenform, bunte Streusel darauf, lecker. „Schau mal“, sage ich zu meiner Frau und schaukel dabei den Keks hin und her, „fast ist es, als hörte man die Glocke läuten, bim bam, bim bam…“ „Liebster“, antwortet sie, „die Glocken sind Klingeln.“ „Wie meinst Du das?“, frage ich. „Es hat geschellt.“ Als ich verständnislos schaue, wird sie deutlicher: „Geschehellt, an der Tühür!“

Ich erhebe mich irritiert vom Sofa und gehe zur Haustür. Tatsächlich, da steht jemand. Ich öffne, es ist der Bote von DHL, den man freilich vor lauter Paketen fast nicht sehen kann. Ich nehme ihm die zahlreichen Schachteln ab, unterschreibe und balanciere die Kisten in die Küche, wo ich sie auf dem Tisch ablege.

Dann schnell zurück auf die Couch. Ungestört vergreife ich mich am Gebäck. Anschließend rücke ich meinem Liebchen etwas näher auf die Pelle, sie ist mindestens genauso knusprig wie die Plätzchen. Und riecht ebenso verführerisch. Ich grabe meine Nase in ihre Halsbeuge, vor mir baumelt ein schöner Ohrhänger. „Hach“, säusele ich ihr ins Ohr, „das ist, als hörte man leise das Glöckchen der Liebe klingeln, bim bam, bim bam…“ „Liebster“, antwortet sie, „die Glocken sind Klingeln.“ „Wie, was…?“ stammle ich „Es hat geschellt.“ „Jetzt echt?“, „Ja, echt.“

Ich erhebe mich verärgert vom Sofa und gehe zur Haustür. Tatsächlich, da steht jemand. Ich öffne, dieses Mal ist es Hermes. Der Götterbote, das passt. Kommt auch immer zur falschen Zeit. Ich nehme ihm die turmhohen Pakete ab, unterschreibe und bringe die Schachteln zu den anderen auf den Küchentisch.

Ich tänzle zurück zum Sofa, mein Schätzchen ist inzwischen weggedöst. Ich lege mich auf die andere Seite der ausladenden Couch, ebenfalls in die Horizontale. Nicht lange, und ich bin ebenfalls eingenickt. Und in süßeste Träume versunken. Mein Lieblingsverein steht im Finale des Fußballpokals, es läuft die Verlängerung, weil es nach der regulären Spielzeit 1:1 Unentschieden stand. Bloß kein Elfmeterschießen, der Gegner hat den deutschen Nationaltorwart zwischen den Pfosten. Da werde ich in der 118. Spielminute als Joker eingewechselt. Ich bin noch keine 60 Sekunden auf dem Platz, als mir unser Mittelfeldregisseur den Ball gekonnt in den Lauf spielt. Ich stürme mit der Kugel am Fuß Richtung Strafraum, umdribbele die gegnerischen Abwehrspieler wie Felix Neureuther die Slalomstangen und schiebe den Ball am herausstürzenden Keeper vorbei ins Netz. Das Stadion bebt, jubelnd laufe ich in die Fankurve, wo die Ultras mit rieseigen Kuhglocken den Sieg einläuten, bim bam, bim bam…

„Liebster…“ irgendjemand rüttelt mich, es ist meine Frau. „Die Glocken“, frage ich sie, „hast Du sie auch gehört?“ „Ja, aber die Glocken sind Klingeln.“ Ich schaue fragend, da präzisiert sie: „An der Tür, es hat geschellt, mein Schatz. Machst Du bitte auf?“

Ich wanke zur Tür, tatsächlich, da steht jemand. Dieses Mal der Typ von UPS. „Würden Sie auch was für den Nachbarn annehmen, da macht niemand auf.“ So kurz vor Heilig Abend will man ja nicht unhöflich sein, also nicke ich, unterschreibe für den Empfang das Päckchen und lege es in die Küche, wo es kaum noch Platz auf dem Tisch findet.

Später bemerke ich, wie der Nachbar mit dem Auto heimkommt, ich flitze rasch hinüber, um ihm sein Paket zu bringen. Mich packt die Neugier und ich schüttele es ein wenig, fast meine ich, ein leises Läuten darin zu hören, bim bam, bim bam. Ich benutze den Türklopfer, mein Nachbar öffnet. „Ich habe ein Paket für euch angenommen“, eröffne ich das Gespräch. „Warum hat der Idiot das denn nicht am ausgemachten Ablageort deponiert?“, raunzt mein Nachbar zurück. Dann wirft er einen Blick auf das Päckchen, dreht sich herum, lässt mich stehen und ruft nach hinten: „Komm mal, dein Paket ist da.“

Seine Frau eilt herbei und nimmt strahlend den Karton in Empfang. „Was ist denn drin, dass Du dich so freust“, will ich wissen. „Ich habe endlich eine Klingel für unsere Haustür bestellt. Aber nicht so eine normale Schelle, eine die wie Glocken klingt, bim bam, bim bam.“

Sag ich doch.Gregor Schürer