Benefizveranstaltung für ehemalige Pallottiner-Kapelle
„Durch Brandt zurück und in die Zukunft“
Jürgen Kessler stellte sein Buch, bei einer Benefizveranstaltung für die ehemalige Pallottiner-Kapelle, über eine Reise nach Malta, über Freundschaft, Jugenderinnerungen und die Begegnung mit dem SPD-Politiker vor

Koblenz-Ehrenbreitstein. Gleich drei Kultursparten vereinte die Veranstaltung in der ehemaligen Pallottiner-Kapelle. Da es eine Buchvorstellung war, dominierte natürlich die Sparte Literatur. Doch auch Musik und Kunst hatten Gewicht. Die gelungene Mischung fand großen Anklang in der intimen Atmosphäre der schönen Kapelle. Kunst, Humor und Freundschaft pflegen dort ansonsten bei ihren regelmäßigen Zusammenkünften die Mitglieder des Männerbundes „Schlaraffia Confluentia“. Wolfram Heidelmayer ist eines von ihnen. Als Vorsitzender des Fördervereins zum Erhalt der ehemaligen Pallottiner Kapelle begrüßte er die Gäste und führte in die Veranstaltung ein. Er präsentierte die beiden großformatigen, die Bühne flankierenden Willy Brandt-Porträts, ein Acryl-Gemälde des Künstlers Wolfgang Dillenkofer aus Mayen und einen Siebdruck von Ralf Godde aus Koblenz. Sie waren ausgeliehen worden für die künstlerische Umrahmung der Buchvorstellung „Über den Klippen. Als ich Willy Brandt einmal zu Bett brachte“. Heidelmayer stellte auch das „’Duo Musetto“ vor. Die beiden Solo-Instrumentalisten Helmut Schmitte (Kontrabass) und Martin Walter (Klarinette) sind nicht nur Schlaraffen, sondern sind beziehungsweise waren auch Mitglieder des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie. Mit fast minimalistischen, doch sehr erlesenen jazzigen Stücken aus dem 1962 von Morton Gould komponierten Zyklus „Benny’s Gig“ bereicherten sie die Lesung. Bei den langsamen, ruhigen Passagen verstand es Walter, die Klarinette beinahe flüstern zu lassen. Die Musik war so eine dezente Begleitung für die Erzählung über eine ganz besondere Reise im Jahr 1976. In ihrem Zentrum steht die Begegnung mit dem großen deutschen Sozialdemokraten Willy Brandt. Der Vorsitzende der SPD Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz, gab daher einen trefflichen Schirmherrn für die Veranstaltung ab. Sein Grußwort verlas Heidelmayer. Darin brachte Lewentz seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die Buchvorstellung gerade in dem Jahr, in dem Brandt seinen 100. Geburtstag hätte feiern können, an diesen Politiker und Menschen erinnerte, der die Geschicke und die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich positiv prägte. 63 Jahre alt war Brandt als Jürgen Kessler, der Leiter des deutschen Kabarett-Archivs und -Museums in Mainz, ihm auf der kleinen Mittelmeerinsel Gozo begegnete. 27 Jahre alt war Kessler damals, als er mit seinem sechzehn Jahre älteren Bekannten, seinem heutigen Freund, Dr. Manfred Geisert, zu einer Reise nach Malta aufbrach. Sie steckten beide irgendwie in Beziehungsklemmen und wollten mit der Reise wohl Abstand gewinnen. Bevor Kessler zu lesen begann, erklärte er, wie sehr es ihn freue, dass doch so viele Besucher gekommen waren, um mit einem eher namenlosen Autor dessen Erinnerungen zu teilen. Er setzte die Brille auf, die er damals, noch nicht brauchte, und las zunächst über den „Dauerdialog über Gott und die Welt“ der beiden Männer im Nachtzug gen Süden. Sie lachten, philosophierten und tauschten Seelen-Ballast aus. Der Autor verwendet eine Sprache, die aufhorchen lässt, die eigene Gedanken mit genau solchen Worten ausdrückt, die dem Leser oder Zuhörer aus dem Herzen sprechen. Die Geschichte offenbart weiter, wie sehr die beiden Männer die Liebe zur Musik, insbesondere zum Jazz, verbindet. Beide spielten sogar, der eine Gitarre und der andere Schlagzeug: Jazz, Rhythm & Blues. Mitte der 1960er Jahre war die Musik für Kessler wie eine Flucht aus der „reaktionären Gruft“, in der die NPD immer mehr Anhänger gewann. Kessler war offenbar schon als junger Mann ein politisch wacher Mensch, ein kritischer Beobachter der Ereignisse auch in der Weltpolitik. Faszinierend schildert Kessler die Erinnerungen der Männer, die in ihrer Jugendzeit prägende, aber der Geschichte geschuldet, doch sehr unterschiedliche Erfahrungen machten. Mucksmäuschenstill war es in der Kapelle, als der Autor vorlas von den Gesprächen während der Fahrt zur Südspitze Italiens und vom Ankommen auf der maltesischen Insel Gozo, wo tage- und nächtelang weiter diskutiert wurde. Kessler bringt viele bildhafte Satzkonstruktionen, wie „Brandt saß auf einer Steinbank wie sein eigenes Denkmal“ und geradezu philosophisch-poetische Formulierungen wie „Vögel brauchen keine Gewerkschaft und keine Religion, nur ihre Fähigkeiten“ in die Erzählung ein. Er las ruhig, ohne starke Betonungen, nur kleine Gesten unterstützten gelegentlich die Worte. Besonders erwartungsvoll verfolgten die Zuhörer den Teil der Erzählung, der die Begegnung mit Brandt thematisiert, der bei Kessler mit dem Satz „Unsere Reise würde anders enden als geplant: Liberté“ eingeleitet wird. Gelebte „Fraternité“ von Don Manfredo und Don Jorgo, wie die beiden sich in heiterster Stimmung nannten, ging bei süßem Nichtstun damit einher. Die erste Begegnung mit Willy Brandt, dem Menschen, durch den sich Kessler „wohler in seiner nachkriegsdeutschen Haut“ fühlt, geschah am Horizont über den Klippen. Über die Maßen beeindruckt von dem Zusammentreffen, aus dem sich im weiteren Verlauf eine viel länger als einen Tag andauernde Nähe entwickelte, schrieb Kessler ein Gedicht, das er Brandt zum Geschenk machte. Dem erfahrenen Politiker gegenüber outete sich der damals noch junge Kessler als Genosse seit Barzels Misstrauensvotum und durfte Fragen stellen, mit ihm diskutieren über Demokratie, über Malta und Jalta und die Politik. Für Kessler war Brandt eines der Vorbilder mit menschlichem Antlitz, die in der Zeit der fürchterlichen Hinterlassenschaften in der Bundesrepublik dringend gebraucht wurden. Nachdenklich Stimmendes, wie solche Formulierungen, geben dem 70-seitigen Buch Klugheit und Herzenswärme. Auch, oder gerade, weil Kessler nicht las, wie er denn nun Willy Brandt zu Bett brachte, ließen sich etliche Besucher das dem Freund Manfred zu dessen 80. Geburtstag gewidmete Buch signieren. Ein namenloser Autor wird Jürgen Kessler nach seinen nächsten Lesungen, in Berlin und Weimar in dieser Woche, sicher nicht lange bleiben.