Das Handwerk im BLICK

Ahrtal: „Es waren viele Dilettanten unterwegs“

17.05.2023 - 08:50

Das Handwerk ist heute gefragter denn je: Die Auftragsbücher sind voll und es gibt genug zu tun. Dafür das nötige Personal zu finden, ist jedoch derzeit schwer und viele Branchen suchen händeringend neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Noch schwieriger wird es, wenn der betreffende Handwerksbetrieb in der Nähe des Ahrtals sitzt, in der sich aufgrund der Flut immer noch Baustelle an Baustelle reiht. Und selbst dann, wenn eine Sanierung abgeschlossen wurde, heißt dies nicht, dass diese auch vernünftig gemacht wurde. Michael Piroth, Geschäftsführer von Abdichtungstechnik Ludwig bzw. Isotec in Ochtendung und Bernhard Jäger von Estrich Jäger in Bad Breisig kennen alle diese Probleme. Wie diese und andere Herausforderungen gelöst werden können, wollte auch Hermann Krupp, Geschäftsführer des Krupp Verlages und Chefredakteur von BLICK aktuell, wissen und lud die beiden Bau-Profis zum Redaktionsgespräch ins Krupp Medienzentrum nach Sinzig.

Hermann Krupp interessiert sich für die gegenwärtige Auslastung der Handwerksbetriebe. „Wie ist die Auftragslage?“, möchte er wissen. Bernhard Jäger macht den Anfang. Die Auftragslage sei gut, aber man befände sich in einer besonderen Situation. Gegenwärtig entspanne sich der Termindruck etwas, so Jäger. Das bestätigt auch Michael Piroth. Die besondere Situation ergebe sich vor allem durch die Rahmenbedingungen wie gestiegene Rohstoff- und Energiepreise. „Man merkt den Kundinnen und Kunden die Unsicherheit schon an“, findet Michael Piroth. Deshalb sei auch ein Rückgang der Aufträge und Anfragen spürbar, es gäbe aber weiterhin genug zu tun.

„Und wie ist die weitere Perspektive für die Zukunft?“, hakt Krupp nach. Die Antwort ist je nach Betrieb unterschiedlich. Bernhard Jäger möchte mit seiner Firma „lieber klein bleiben“, obwohl er sich die Frage nach einer Vergrößerung bereits gestellt hätte. „Wir folgen dem Prinzip ´Klasse statt Masse´“, wie Jäger sagt. Michael Piroth hingegen möchte weiter expandieren. Vor allem Sanierungen sei ein Riesenthema, wie er sagt. Täglich kämen etwa einhundert Anfragen auf die Schreibtische der Isotec-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Insbesondere das Thema Sanierung sei riesig. „Hier gibt es sehr viel zu tun“, so Piroth. „Neubauanträge hingegen gehen derzeit zurück“, fügt er hinzu.

Dies ist gerade für Bernhard Jäger und sein Team eine Herausforderung. „Wir leben praktisch von Neubauten“, sagt der Fachmann für Estrich und Co. Sanierungen würden in diesem Gewerk zwar auch ausgeführt, allerdings in nicht allzu bedeutender Größenordnung.


Goldene Nase für Handwerker?


Hermann Krupp lenkt das Gespräch zum Personal. Dass es an allen Ecken an Facharbeiterinnen und Facharbeitern mangelt, ist kein Geheimnis, vor allem nicht im Handwerk. „Oft hört man den Satz ´Mit dem Handwerk kann man sich eine goldene Nase verdienen´“, sagt der BLICK aktuell-Chefredakteur. „Andererseits scheinen viele Eltern ihre Kinder immer noch zu einem Studium bewegen zu wollen“, fügt Krupp hinzu. „Wie ist die Lage denn wirklich bei Ihnen?“, möchte er wissen.

„Es kommt auf den Blickwinkel an“, findet Bernhard Jäger. Fest stehe aber, dass das Handwerk massiv unterbewertet ist. Dem pflichtet auch Michael Piroth bei. Neben dem Gehalt sei vor allem die Wertschätzung ein wichtiger Faktor. Wenn die Kundinnen und Kunden sagen: „Du hast deine Arbeit gut gemacht“ sei dies eine schöne und wichtige Sache. Allerdings müsse gute Arbeit auch gut bezahlt werden. Piroth betont: „Unser Slogan lautet unter anderem: Wir schützen Werte. Dazu gehört auch der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Deshalb wurden auch Zusatzleistungen für die Mitarbeiter abgeschlossen. Früher habe es beim Thema Wertschätzung noch gehapert, findet Piroth. Das Ansehen des Handwerks wandele sich jedoch derzeit und das Image verbessere sich. Illusionen brauche man sich aber nicht hingeben: „Handwerk ist oft anstrengend“, sagt er. Bernhard Jäger ergänzt: „Handwerk ist aber auch eine konsequent gute Leistung bei gleichbleibender Qualität.“


Mehrarbeit ist nicht unbedingt nötig


Wo viel gearbeitet wird, herrscht Stress. Jedoch muss zwischen positivem und negativem Stress unterschieden werden. Letzterer entsteht auch durch Überforderung. „Ist Überlastung ein Thema im Team und auch bei den Chefs?“, lautet Hermann Krupps nächste Frage. Michael Piroth sagt, dass sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Zeit bereits gewandelt habe. Wochenendarbeit sei meistens kein Thema mehr, es sei denn, sie geschieht auf freiwilliger Basis. Das gäbe es durchaus. Als Beispiel nennt Piroth ein Kinderzimmer mit Schimmelbefall. Solche Szenarien dulden keinen Aufschub und sein Team packt hier freiwillig an. Grundsätzlich gelte, dass es auch ohne Überstunden gehe. Bernhard Jäger pflichtet dem bei und verweist auf die Fußballweltmeisterschaft im Jahre 2006. „Hier wollte niemand abends Handwerker im Haus haben. Schließlich wollten alle Fußball gucken“, so Jäger. Somit blieben die Abendstunden im Auftragsbuch leer und geschadet habe das nicht. „Das zeigt, dass Arbeit auch ohne Überstunden möglich ist.“

Michael Piroth fasst es zusammen. „Wenn die Leute entspannter sind, ist auch die Arbeit entspannter.“ Demnach sei die derzeitige Lage folglich eher angespannt - die Menschen sind es ebenfalls.


Das Ahrtal bleibt Großbaustelle


Das Ahrtal ist derzeit die größte Baustelle des Landes und die Flutschäden sind noch lange nicht behoben. „Wie ist der Stand in Sachen Wiederaufbau und Sanierung?“, fragt Hermann Krupp. „Das ist schwer zu sagen“, lautet die Antwort von Michael Piroth. Aus dem Ahrtal kämen weiterhin und regelmäßig Anfragen, aber die habe es schon vor der Flut gegeben. Die Qualität habe sich jedoch seit der Katastrophe verändert. So gäbe es zwar viele Anfragen, aber kaum Aufträge. Grundsätzlich sei bereits kurz nach der Flut eines der zentralen Probleme gewesen, dass sich Versicherungen quer gestellt hätten. Dies sei nicht negativ gemeint. Grundsätzlich haben alle so gut wie möglich helfen wollen. Aber alles musste sehr schnell gehen, sagt Piroth. Gutachter wurden manchmal gar nicht bestellt und auch die Gelder der Versicherungen haben lange auf sich warten lassen. Sicherlich sei dies auch ein Zeichen von Überforderung gewesen. Und dann ging es an die Sanierung der beschädigten Häuser. Auch dabei musste es vor allem schnell gehen.

Das sieht Bernhard Jäger ähnlich. „Vieles war sehr unkoordiniert“, findet er. So habe er Fälle erlebt, in denen „außen und innen gehauen“ wurde, aber die Statik des betreffenden Gebäudes völlig vergessen wurde. Das Ausmaß des Schadens und die Herausforderungen für die Handwerker bei der Sanierung sei je nach Ort anders. „In Bad Neuenahr und Sinzig sieht es heute viel besser aus als in den Dörfern an der Mittelahr“, sagen Piroth und Jäger. Es sei aber nicht verwunderlich, so Jäger, dass sich so wenig tut. Jäger kennt Fälle, bei denen die Hausbesitzer ein Jahr auf die Nachricht warten müssen, dass sie ihr Haus abreißen „dürfen“, zum Beispiel aus dem Grund, weil die Wände und Böden mit Heizöl kontaminiert seien. Dabei sei immer klar, dass „Öl in den Wänden nie sanierbar ist“, wie Michael Piroth ergänzt.

So richtig zufrieden ist Hermann Krupp mit der Antwort nicht. „Können sie eine Quote nennen, wie viel Prozent des Wiederaufbaus geschafft sind?“, hakt Krupp nach. „Es ist viel passiert“, ist sich Bernhard Jäger sicher. „Aber man sollte nicht das große Ausmaß dieser Katastrophe vergessen.“ Pauschal sei diese Frage also nicht zu beantworten. Die Schadenslage sei schließlich sehr unübersichtlich. Jäger kenne einen Fall aus der Verbandsgemeinde Altenahr, bei der das Heizöl aus dem Keller durch den Schornstein in den ersten Stock geschossen sei. In solchen Fällen muss abgerissen werden. Grundsätzlich vermutet Jäger, dass noch fünf Jahre vergehen werden, bis alle flutgeschädigten Häuser im Ahrtal saniert sind.


„Es herrschte blinder Aktionismus“


Das Aufräumen am Anfang habe hingegen sehr viel besser als der Neuaufbau bzw. die Sanierung funktioniert, ist sich Michael Piroth sicher. Woran das genau liegt, wisse er aber nicht. Piroth vermutet, dass durch die teilweise höhere Schadenslage oftmals den Hausbesitzern über eine längere Zeit nicht bewusst war, ob sie ihr Haus wieder aufbauen durften. Daraus entstand dann eine große Unsicherheit. Und: „Am Anfang herrschte blinder Aktionismus beim Wiederaufbau“, sagt Piroth. Bekanntlich seien „Bautrupps“ durch die Flutgebiete gezogen, die „alles herausgerissen“ haben. Dass die Anwohner das toleriert haben, sei aber auch allzu verständlich. Viele Menschen von der Ahr waren traumatisiert oder sind es immer noch und da war jede Hilfe recht. „Teilweise war man als Handwerker auch Psychologe“, so Piroth. Das, was er an der Ahr erlebt hat, habe ihn sehr mitgenommen und mitunter seien ihm die Tränen gekommen.


Zweitsanierung ist ein Riesenthema


Dass unmittelbar nach der Flut nicht immer sauber gearbeitet wurde, liegt auf der Hand. Wird am Bau gepfuscht, muss eine Zweitsanierung durchgeführt werden. „Inwiefern betrifft Sie das Thema Zweitsanierung?“, möchte Hermann Krupp wissen. Bei Isotec ist diese notwendige Verbesserung alter Sanierungen mittlerweile ein großer Teil des Betätigungsfeldes. „Etwa 60 Prozent aller Sanierungen, die wir durchführen, sind Zweitsanierungen“, stellt Michael Piroth fest. Dies gelte auch für die Flutgebiete im Ahrtal. Ein Beispiel: Wenn Wände nicht richtig getrocknet werden und auf diese Wände dann Gips aufgetragen wird, ist Schimmel vorprogrammiert. Und dann müsse eben „nochmal alles neu gemacht werden“, wie Piroth sagt. „Es tut mir leid für die Menschen, dass so viele Dilettanten unterwegs waren“, fügt er hinzu. Bernhard Jäger hat Verständnis dafür, dass Flutbetroffene viele Angebote zur Sanierung angenommen haben, ohne die Fachkundigkeit der Anbieter zu hinterfragen. „Die Leute wollten einfach wieder ihr Haus und somit ein Stück Normalität zurück“, sagt er. Der gute Menschenverstand sei dort zu einem gewissen Grad ausgehebelt gewesen. „Normalerweise holt man sich Angebote ein und vergleicht sie“, sagt Jäger. „Dieser eigentlich normale Prozess fand nicht statt und die Leute wollten einfach, das was passiert.“

Hermann Krupp hat dazu eine Rückfrage: „Waren da Betrüger am Werk?“ Das Wort „Betrüger“ wollen Jäger und Piroth so nicht stehen lassen. Vielmehr waren die ausgeführten Arbeiten weniger kompetent und die Menschen wollten schnelle Lösungen.


Hilfsbereitschaft war beeindruckend


Auch die positiven Aspekte sollen zur Sprache kommen. „Was ist denn besonders gut gelaufen im Ahrtal?“, möchte Hermann Krupp wissen. Michael Piroth war von der unfassbaren Hilfsbereitschaft der Menschen und insbesondere die der Jugendlichen begeistert. Er habe miterlebt, wie beispielsweise Flüchtlinge an der Ahr mit angepackt haben. Auch die darauffolgende Dankbarkeit der Betroffenen habe ihn sehr berührt. Dem pflichtet auch Bernhard Jäger bei. Auch die Dankbarkeit gegenüber den Handwerkern habe ihn stolz gemacht. Gerade eine kleine Geste blieb ihm im Kopf: Jäger und seinem Team wurden an Weihnachten Plätzchen gebacken - das werde er nie vergessen, sagt der Bad Breisiger Unternehmer abschließend.

Text/Fotos: ROB

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