Wenig Interesse an Dialog mit der ISB zu langsamer und bürokratischer Fluthilfe

Fluthilfe: Nur wenige Flutbetroffene wollten Klartext reden

Fluthilfe: Nur wenige Flutbetroffene wollten Klartext reden

Bei einer Podiumsdiskussion im Weingut Sonnenberg in Bad Neuenahr wollte SWR-Moderatorin Lena Dörr (li.) Klartext reden zum Thema Fluthilfe. Es diskutierten v.li. ISB-Vorstand Ulrich Dexheimer, Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) und CDU-Landtagsfraktionschef Christian Baldauf. Foto: JOST

Kreis Ahrweiler. Das Interesse der Flutopfer im Ahrtal daran, Kritik wegen zu bürokratischer und zu langsamer Fluthilfe zu äußern, scheint im völligen Gegensatz zur Stimmung in den sozialen Medien sehr überschaubar. Gerade mal eine Handvoll Flutbetroffene nahm das Angebot des Südwestrundfunks zu einer Podiumsdiskussion mit dem Thema „Von wegen schnelle Fluthilfe! Wo bleiben die Milliarden?“ an. In der Reihe „Anna Lena Dörr redet Klartext“ hatte der Radiosender SWR4 Rheinland-Pfalz ins Weingut Sonnenberg eingeladen und eine Stunde lang live die Podiumsdiskussion übertragen.

Das Publikum war zwar ausdrücklich zum Mitreden eingeladen, doch im Verlauf der Sendung kam nur Iris Münn-Buschow kurz zu Wort, die schon zwei Protestmärsche von Flutopfern organisiert hatte. In der restlichen Zeit lieferte sich der Fraktionsvorsitzende der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag, Christian Baldauf, einen Schlagabtausch mit Ulrich Dexheimer, Vorstand der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB), ergänzt durch einige kluge Statements von Landrätin Cornelia Weigand (parteilos).

Viele Menschen sind müde,

frustriert und überarbeitet

Baldauf geht der Wiederaufbau zu langsam, Weigand sieht darin eine Chance für eine bessere Heimat – „und Dexheimer ist der Mann, der die Milliarden hat“, hieß es schon in der Einleitung. Dörr wollte sich auf die Suche nach den Milliarden und der versprochenen Hilfe machen. „Viele Menschen sind müde, frustriert und überarbeitet, und die Anträge für Fördergelder sind kompliziert“, habe sie gehört. Einige anonym eingespielte Stimmen aus dem Ahrtal schienen das zu bestätigen. „Schnell ist da gar nichts, und unbürokratisch und einfach sowieso nicht“, hieß es da etwa, ein anderer vermisste den „menschlichen Aspekt“ bei der Bearbeitung der Unterlagen und kritisierte, dass Flutopfer im „Abwicklungsprozess emotional hängengelassen werden.“ Eine Frau wünschte sich „ein bisschen persönliches Interesse an unserem Leben.“

Dexheimer zeigte Verständnis für die Kritik, allerdings sei auch die ISB völlig unvorbereitet an die neue Aufgabe herangegangen. „Wir hatten kein System, kein Portal, keinen Prozess und noch nicht einmal die notwendigen Mitarbeiter. Auch für uns ist das Ganze eine Operation am offenen Herzen.“ Während der Bearbeitung der Anträge seien eine Reihe von komplizierten Fragen aufgetaucht, „an die niemand vorher gedacht hat.“ Als Beispiel nannte er die vorweggenommene Erbfolge, wenn etwa ein betagter Hausbesitzer den Wiederaufbau nicht mehr selbst leisten wolle und dies seinen Kindern überlasse. Doch mittlerweile sei die Antragsbearbeitung auf einem guten Weg, fand Dexheimer. Auch Weigand kritisiert, dass am Anfang die Hoffnung geschürt worden sei, dass es schnell gehe, „obwohl man wusste, dass es nicht so einfach sein wird.“ Viele Menschen würden auch von der Situation vor Ort mit Abriss, Neubau und Renovierung samt dem damit verbundenen Lärm und Schmutz in der direkten Nachbarschaft sowie von den enorm gestiegenen Baupreisen nach unten gezogen.

Mehr aufsuchende

Unterstützung erwünscht

Baldauf wünschte sich eine aufsuchende Unterstützung für diejenigen Flutopfer, die sich nicht trauten, einen Antrag zu stellen, oder dies schlicht nicht könnten. Das Land dürfe den Betroffenen auch nicht zu viel Misstrauen entgegenbringen und drei Kostenvoranschläge für anstehende Arbeiten verlangen, bevor das Geld fließe. „Dass die ISB Kostenvoranschläge anfordert, ist dummes Zeug“, stellte Dexheimer richtig. Auch der Vorschlag von Baldauf, zuerst einmal die von Opfern gewünschten Summen schnell und ohne Kontrolle auszuzahlen und dann später zu schauen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen sei, „widerspricht jeglichem staatlichen Handeln.“ Ohnehin spielten Betrugsversuche im Ahrtal bislang keine Rolle, im Gegensatz zu den Corona-Hilfen.

Baldauf kritisierte weiter, dass zunächst nur ein Abschlag von 20 Prozent der Gesamtkosten gezahlt worden sei und nicht, wie in Nordrhein-Westfalen, 40 Prozent. Mittlerweile werde auch in Rheinland-Pfalz nach einer Härtefallklausel 40 Prozent ausgezahlt, bislang hätten von 64.000 Betroffenen jedoch nur zehn diese auch erhalten. „Wer 80 Prozent verspricht, muss dafür sorgen, dass die Betroffenen das Geld auch schnell aufs Konto bekommen“, fand er. Das sei auch wichtig, damit die Opfer die Kraft aufbringen konnten, mit den Arbeiten zu beginnen.

Von den für Rheinland-Pfalz zur Verfügung stehenden 14 Milliarden Euro seien nach 14 Monaten immer noch erst 600 Millionen ausgezahlt, kritisierte auch Moderatorin Dörr. Doch mit dem Löwenanteil des Geldes solle in erster Linie die kommunale und staatliche Infrastruktur wiederhergestellt werden, rückte Dexheimer zurecht. Allein im Kreis Ahrweiler betrage der Schaden an der kommunalen Infrastruktur etwa vier Milliarden Euro, wusste Landrätin Weigand. Und dafür sei die Aufsichts- und Dienstleistung der (ADD) in Koblenz zuständig. Die ISB hingegen habe bislang 3000 Anträge von Privathaushalten bewilligt und dafür 350 Millionen Euro ausgezahlt.

Viele Falschinformationen

im Umlauf

Woran es liege, dass die Zahl der Anträge bei 9000 betroffenen Häusern und 64.000 betroffenen Menschen im Ahrtal nicht höher sei, wusste niemand so recht zu erklären. „Viele Menschen haben vielleicht gehört, die Anträge seien zu kompliziert und zu schwierig und versuchen es deshalb erst gar nicht“, vermutete Weigand. In diesem Zusammenhang seien viele Falschinformationen im Umlauf. Flutopfer Iris Münn-Buschow kannte einen weiteren Grund aus eigenem Erleben: „Jeder Tag ist voll mit Arbeit am und im Haus von morgens bis abends, und jeden Abend denke ich: ich muss mal endlich den Antrag stellen. Aber dafür habe ich dann keine Kraft mehr.“ Erschwerend komme hinzu, dass es derzeit keine günstigen Kredite mehr gebe.

„Ich hätte Leute ins Tal geschickt, die jeden einzelnen Betroffenen ansprechen und darlegen, welche Hilfen es gibt, und sie nicht in Infopoints geschickt“, kritisierte Baldauf weiter. Dieser Vorschlag sei „wohlfeil und populär“, konterte Dexheimer, denn die ISB habe bei Weitem nicht so viele Mitarbeiter. Deshalb habe man schon im April mit einem aufsuchenden Hilfsangebot in Zusammenarbeit mit dem Malteser Hilfsdienst und dem Helfer-Shuttle begonnen.

Am Schluss machte Landrätin Weigand klar, dass im Ahrtal derzeit in erster Linie psychologische Hilfeangebote benötigt würden, denn viele Betroffene seien mit den Nerven am Ende. Sie fand auch die Berichterstattung der Medien und besonders die Darstellung in den sozialen Medien stellenweise zu negativ. Geschichten von Außenstehenden, wie schlecht hier alles sei, brauche es nicht. „Stattdessen sollten sich die Betroffenen an den positiven Dingen, die sich in ihrer Umgebung tun, aufbauen und daraus Kraft schöpfen, ohne das Negative zu ignorieren. Wir haben uns, das ist die Basis, alles andere wuppen wir!“