Redaktionsgespräch mit Ministerin Anne Spiegel

Verbot von Einfamilienhäusern „gibt es mit uns Grünen nicht“

Verbot von Einfamilienhäusern „gibt es mit uns Grünen nicht“

Anne Spiegel stellte sich den Fragen von Hermann Krupp.

Sinzig. Langeweile dürfte Anne Spiegel nicht haben, ist sie doch rheinland-pfälzische Ministerin für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz. Zusätzlich übernahm sie im Januar das Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten. Sie ist Spitzenkandidatin der rheinland-pfälzischen Grünen im aktuellen Landtagswahlkampf. Nicht vergessen sollte man, dass sie auch vier Kinder hat. Am 20. Februar begrüßte Hermann Krupp sie im Krupp Medienzentrum in Sinzig zum Redaktionsgespräch. Gleich nach dem Redaktionsgespräch sollte es weitergehen zum nächsten Wahlkampftermin in Remagen. „Wie läuft der Wahlkampf unter Corona-Bedingungen?“ fragt der Verlagschef. „Es fehlt natürlich vieles, was einen Wahlkampf ausmacht“, antwortet sie. Das Zwischenmenschliche, die zahlreichen Begegnungen mit den Menschen sind derzeit einfach nicht wie gewohnt erfahrbar. Aber sie schränkt auch ein: „Das ist Jammern auf hohem Niveau“, weiß sie doch, wie sehr viele Menschen unter den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie zu leiden haben. Die Grünen nutzen hauptsächlich digitale Formate. Und sie versucht auch jetzt, viel unterwegs zu sein und mit Maske und Abstand Flyer zu verteilen.

Hat die Ministerin einen Tipp, wie man Menschen motivieren kann? Die lang andauernden Einschränkungen zehren doch merklich an den meisten. In ihrem Team hat sie keine Probleme, sagt sie. Dennoch spüre sie bei vielen: „Die Stimmung hat sich sehr stark verändert“, sei es aus Frust oder aus Existenzangst.

Seit drei Jahren unter Polizeischutz

Wie lebt Anne Spiegel mit vier Kindern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor? „Darauf werde ich oft angesprochen“, erzählt sie. „Ich bin da gerne Vorkämpferin“, auch wenn es für sie, die sie in der Öffentlichkeit steht, oft stressig sei. „Aber es ist etwas Wunderbares.“ Sie selbst ermuntere ihre eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kinder zu kriegen. „Für Männer ist die Elternzeit aber immer noch schwierig“, weiß Hermann Krupp. „Ja, da muss sich noch viel ändern“, so die Ministerin.

Anne Spiegel erlebte vor wenigen Jahren eine massive Welle von Hassnachrichten und sogar Todesdrohungen. Seither steht sie unter Polizeischutz. Wie geht man damit um? Schon durch das Amt muss sie massiven Druck aushalten, erklärt sie. Was sie schließlich erlebte, sei eine „sehr wichtige Erfahrung gewesen“. Die Demokratie lebe ja vom Austausch, auch vom unter Umständen heftigen verbalen Austausch. Aber bei ihr wurden Grenzen überschritten. Wird eine rote Linie überschritten oder sind die Nachrichten an sie Morddrohungen „zeige ich alles an“, sagt sie.

„Da gibt es auch gar nichts zu beschönigen“

Grün geführte Mainzer Ministerien waren in den letzten Monaten wegen Stellenbesetzungen und Beförderungen stark in der Kritik. Umweltministerin Ulrike Höfken trat deswegen Ende 2020 sogar zurück. „Haben Sie etwas daraus gelernt?“ fragt Hermann Krupp. „Zwei Stränge“, antwortet Anne Spiegel: „Erstens: Im Umweltministerium sind ganz klar Fehler passiert. Da gibt es auch gar nichts zu beschönigen.“ Diese Fehler wurden „eingestanden“, man habe sich dafür entschuldigt und die Fehler „abgestellt“. „Zweitens: Es gab ein Beförderungsverfahren, von dem die ganze Landesregierung, außer dem Innen- und Justizressort, betroffen war. Daher wurde ein anderes Beförderungsverfahren für alle Ressorts eingeführt. Hermann Krupp noch einmal: „Sie haben also daraus gelernt?“ Man habe „alle Konsequenzen daraus gezogen“. Jetzt gelte es, einen Neustart zu haben und mit den Mitarbeitenden „nach vorne zu schauen“.

„Blick auf Familien und Kinder“ bei Lockerung der Corona-Maßnahmen

Anderes Thema: Homeoffice und Homeschooling in der Corona-Pandemie bedeutet eine Mehrfachbelastung für Eltern. Kann das zusammen funktionieren? „Ich habe noch keine Familie getroffen, die das entspannt und stressfrei von sich behaupten konnte“, antwortet sie. „Es ist natürlich eine aus der Not geborene Situation.“ Für sie als Grüne sei „der Blick auf die Familien und Kinder entscheidend“. Daher setzte sie sich auch dafür ein, dass, wenn es zu Lockerungen kommen sollte, diese zuerst im Bildungssystem zu erfolgen haben.

„Wobei da auch noch keiner weiß, ob das eine richtige Entscheidung ist“, überlegt Hermann Krupp. „Das stimmt“, so Anne Spiegel, „wir müssen ein Stück weit auf Sicht fahren.“ Daher dürfe man den Menschen auch „nicht Sand in die Augen streuen“. Die Mutante des Virus „ist gefährlich“, sie ist auch schon in Rheinland-Pfalz und es sei nicht mehr die Frage, ob sie sich ausbreitet, sondern, in welcher Geschwindigkeit. „Insofern kann ich nur zur Zurückhaltung mahnen. Wir können nicht innerhalb weniger Tage alles wieder öffnen.“ Maßgabe sei, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Den Schritt hin zum Wechselunterricht hält sie „für richtig“, weil er auch eingebettet erfolge mit regelmäßigen Schnelltests, FFP2-Masken und Lüftungssystemen.

Grüne wollen Verdreifachung der Photovoltaik

Anne Spiegel soll doch mal ihre größten Erfolge benennen. Sie nennt die Neuaufstellung des Systems der Sprachkurse im Integrationsbereich. Dadurch würden die Teilnehmer mehr zur Ausbildungsreife geführt. Ein anderes Thema, das sie nennt, ist die größere Mittelbereitstellung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Wie sieht es mit grüner Erfolgspolitik aus? Ihrer Vorgängerin sei zu verdanken, dass die Energiewende vorangebracht wurde, sagt sie. Man erkannte, wie wichtig es ist, Förderanreize zu schaffen - beispielhaft nennt die Ministerin den Rhein-Hunsrück-Kreis, in dem durch die Maßnahmen eine hohe regionale Wertschöpfung erzielt werden konnte. Auch ein grünes Thema: Die Ökolandwirtschaft wachse stetig, so die Ministerin.

„Windkraft wird aber auch bei den Grünen kontrovers diskutiert“, wirft Hermann Krupp ein. „Es gibt immer noch Skepsis“, antwortet sie. „Aber die Stimmung hat sich verändert.“ Das liegt nicht zuletzt an den Potenzialen des Re-Powering. Zusätzlich wollen die Grünen eine Verdreifachung der Photovoltaik, berichtet sie.

„Der Wahlkampf ist eingeleitet“

Wenn man fragt, was nicht so toll gelaufen ist, fällt aktuell das Thema Einfamilienhäuser und der Ruf der Grünen als „Verbotspartei“ ein. Wie steht sie denn dazu? Anne Spiegel lacht: „Der Wahlkampf ist eingeleitet.“ Es sei ja auch eine Wahlkampfstrategie, Aussagen der anderen bewusst misszuverstehen. Sie stellt klar: Was der Partei vorgeworfen werde, „gibt es mit uns Grünen nicht“. Sie interessiere vielmehr die Frage, wie in Städten bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden könne. Verknüpft man die Themen Bauen und Umweltschutz fordere die Partei einen neutralen Flächenverbrauch. Ob Neubaugebiete entstehen, werde ohnehin von Kommunen vor Ort entschieden. Andere Parteien machten dies übrigens schon längst, was den Grünen vorgeworfen wird: Anne Spiegel erzählt von der CDU in Mutterstadt, die gegen eine Überplanung mit Einfamilienhäusern stimmte.

Das Verbot von Schottergärten hingegen haben die Grünen im Wahlprogramm, so Anne Spiegel – das Verbot habe die CDU in Baden-Württemberg auch mitgetragen. „Es hat seinen Grund“, erklärt sie. Der Boden heize sich auf, es gebe keinen Lebensraum, die Steine müssten mit Pestiziden behandelt werden. Unterm Strich sei ein Schottergarten auch nicht pflegeleichter.

Hermann Krupp befragt sämtliche politischen Gesprächspartner zum Thema Bürokratieabbau. Ja, auch Anne Spiegel ist dafür. „Die Frage ist, wie wir dazu kommen.“ Wir brauchen eine digitale Verwaltung, eine E-Akte, schlägt sie vor. „An der Umsetzung tun sich alle schwer“, wirft der Verlagschef ein. Das liege auch an der EU, so die Ministerin.

Klimaschutz: „Wir haben nicht mehr so viel Zeit“

Thema Klimaschutz: Wurden die Ziele erreicht? Aktuell finden sich im Wahlprogramm „sehr ambitionierte Ziele. Wir hoffen, dass wir so viel wie möglich umsetzen können.“ Sie nennt einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und eine Verkehrswende. Es gelte, groß zu denken, nicht zu zaghaft zu sein. Wenn andere der Partei vorwerfen, zu viel zu fordern, antwortet sie: „Wir haben nicht mehr so viel Zeit“. Die Grünen wollen daher den ÖPNV ausbauen, das Radwegenetz erweitern, ein E-Car-Sharing einführen und setzen auf Wasserstoff als Antriebsenergie. Sie weiß, dass die Infrastruktur bei den Elektroautos hinterherhinkt. Aber man will „perspektivisch weg vom Verbrennungsmotor“.

Das würde auch dem Wald zugutekommen. Ja, die Lage des Waldes ist „extrem“, weiß die Umweltministerin. Der Waldzustandsbericht sei „alarmierend wie noch nie“. Deswegen sei man energisch dran, den Klimaschutz voranzutreiben. Dazu benötigten wir einen Umbau zu einem klimaresistenten Mischwald und mehr Forschung. Das sei aber doch ein Generationenprojekt, so Hermann Krupp. Natürlich sei der Wald nicht sofort zu retten, aber je mehr Klimaschutzmaßnahmen jetzt, desto größer die Chance, noch etwas zu retten. Sie nennt ein weiteres Problem, das zum Klimaschutz animiert: In 15 Jahren sei die Grundwasserneubildung um etwa 25 Prozent zurückgegangen. Hitze im Sommer sei das eine, aber der Klimawandel erzeuge auch mehr Starkwetterereignisse, hinterlasse mehr Hitzetote. Klimawandel dürfe nicht zu abstrakt diskutiert werden. „Wir haben hier auch viele Probleme.“ Wenn man die Folgen selbst erlebe, treffe das viel stärker.

Letzte Frage an die Wahlkämpferin Spiegel: Wie sieht Rheinland-Pfalz in fünf Jahren aus? Anne Spiegel will bis dahin „im Klimaschutz vorankommen“, erneuerbare Energien ausbauen, die Mobilitätswende schaffen und das Angebot an Ganztagsschulen ausweiten. Sie will die Digitalisierung an Schulen vorantreiben und Weichen in der Bildungspolitik stellen, um Abgehängte in der Pandemie zu unterstützen.

Wolfgang Pape