Tipps zur Vorbereitung auf einen Ultramarsch
Vom Couch-Potato zum 100-km-Finisher
Kreis Ahrweiler. Das Jahresende ist die Zeit der guten Vorsätze. Viele nehmen sich vor, den inneren Schweinehund zu besiegen und den über Jahre oder sogar Jahrzehnte eingeübten, aber nun überdrüssigen oder vom Hausarzt bemängelten Alltagstrott zu verlassen. Anlass vieler Jahresendvorsätze: die desaströse Anzeige der Badezimmerwaage bei tollkühner Benutzung. Der zu hohe Wert ist meist das Ergebnis mangelnder körperlicher Fitness. Doch gerade Bewegung verbunden mit guter Ernährung sind die Schlüsselelemente für gutes Altwerden, ist sich die Wissenschaft sicher.
Nur wenige schaffen es allerdings, die guten Vorsätze in ein dauerhaftes Umsteuern einmünden zu lassen - die Misserfolge bei Diäten sind schließlich legendär. Was allerdings helfen kann, sind klar definierte Ziele, ein detaillierter Plan und neue Gewohnheiten. Um Fitness und ein neues Körpergefühl zu erlangen, sind regelmäßige Bewegung oder noch besser ein zielgerichtetes Training unerlässlich. Ein solches Ziel kann die Teilnahme an Ausdauersportveranstaltungen wie einem (Halb-)Marathon oder einem Ultramarsch sein. Gerade für Menschen ab ca. 40 Jahren ist dabei das sportliche Marschieren die meist bessere Bewegungsform, weil deutlich schonender für den Bewegungsapparat. Auch Aspiranten im Rentenalter können problemlos in diese Sportart einsteigen.
Volks- oder Megamarsch?
Deren Anhängerschaft steigt von Jahr zu Jahr. Waren die ursprünglich aus Militärmärschen wie dem Nijmegenmarsch entstandenen Veranstaltungen bis vor einigen Jahren einem kleinen Zirkel von Enthusiasten vorenthalten, hat sich der Ultramarsch mittlerweile zu einem Breitensport entwickelt. Dazu haben nicht nur die diversen Volksmärsche, sondern auch kommerzielle Events wie die Mega- oder Mammutmärsche beigetragen, die heute in zahlreichen deutschen Städten zu finden sind. Beide Formen besitzen ihren eigenen Reiz, aber ein vollkommen unterschiedliches Publikum. Während bei den Volksmärschen überwiegend die Altersgruppe zwischen 40 und 75 Jahren am Start ist, locken Megamarsch und Mammutmarsch eine hippe, social-media-affine Fangemeinde vor allem zwischen 18 und 40 Jahren an.
Beiden Veranstaltungsformen ist allerdings gemein, dass sie mit herkömmlichem Wandern nur wenig zu tun haben, auch wenn die Bewegung ähnlich anmutet. Die Strecken sind in der Regel länger und erfordern eine gute körperliche Vorbereitung. Nicht umsonst trägt die Sportart den Zusatz „ultra“, womit alle Distanzen jenseits von 42,195 km, also dem Marathon, bezeichnet werden. In der Regel spricht man bei Ultramärschen von 50 bis 160 km langen Strecken. Es gibt unterwegs Verpflegungsstellen wie bei einem Marathon, aber im Ziel keine Pokale für die Erstplatzierten, sondern Teilnahmemedaillen und Urkunden, bei den Volksmärschen zudem eine Online-Ergebnisliste mit Platzierungen. Dennoch besitzen auch die Märsche einen Wettkampfcharakter - auch wenn dieser sich in der Regel auf das persönliche Ziel einer anvisierten Zeit oder das erfolgreiche Ankommen beschränkt und nicht einen Wettkampf gegen Mitstreiter beinhaltet. Das Marschpublikum ist meist locker gehend und plaudernd in kleineren oder größeren Gruppen unterwegs. Man bleibt im Wesentlichen im aeroben Bereich und geht nicht wie beim Marathon in den sauerstoffreduzierten Energiestoffwechsel mit Laktatproduktion.
Die Vorbereitung
Wer bei annähernd Null beginnt, sollte die Intensität sehr langsam steigern. Es empfiehlt sich, je nach Fitnesszustand mit 10-, 15- oder 20-km-Distanzen zu beginnen und nicht mehr als zwei längere Märsche pro Monat in den Trainingsplan einzubauen. Für einen Anfänger dauert es in der Regel mindestens sechs bis zwölf Monate, um überhaupt die Zielflagge bei einem 50-km-Marsch anvisieren zu können. Dazu kann man die Streckenlänge schrittweise um rund fünf Kilometer jeden Monat erhöhen, um schließlich zwei- bis dreimal im Vorfeld des „Wettkampfs“ wenigstens eine Strecke von je 35 bis 40 km bewältigt zu haben. Zwischen den langen Trainingsmärschen kann eine unbegrenzte Anzahl kürzerer Distanzen bis ca. acht Kilometer eingestreut werden, nicht jedoch am Tag nach dem langen Trainingsmarsch. Denn der Trainingseffekt manifestiert sich vor allem nach der Belastung; man würde ihn und zudem auch die Regeneration durch ein erneutes, selbst kurzes Training minimieren und stören. Anfänger sollten zudem den Vortag eines 15 bis maximal 50 km langen Trainingsmarschs zum Kräftesammeln nutzen.
Die Ausrüstung
Mindestens 95 % der Teilnehmer an Ultramärschen haben einen Rucksack mit Wasserflasche, Energieriegeln und wärmerer Kleidung - z.B. für die Nacht - dabei. Ein Rucksack ist hilfreich, um alles unterzubringen, birgt jedoch die Gefahr, zu viel unnötiges Material mitzunehmen - was immer wieder bei unzähligen Teilnehmern zu beobachten ist. Im Prinzip reicht ein spezieller Laufgürtel mit Lasche für eine 0,75-l-Flasche, in dem man zudem das meist bei den Veranstaltungen vorgeschriebene Smartphone, ein oder zwei Energieriegel und ein paar Blasenpflaster unterbringt. Denn bei den Ultramarschveranstaltungen gibt es alle 10 bis 15 km eine Verpflegungsstation - bei 100 km langen Mega- und Mammutmärschen nur alle 20 km, was aber in der Regel ausreichend ist. Eine Regenjacke oder ein Langarmshirt lassen sich auch einfach umbinden. Bei Regenwetter empfiehlt sich die Mitnahme von Überschuhen, um keine nassen Socken zu bekommen - ein Ausschlusskriterium für eine erfolgreiche Zielankunft.
Für das Training empfiehlt sich ein 2-l-Trinkrucksack, der in der Regel noch Platz für ein belegtes Brötchen, Energieriegel, das Smartphone und eine Plastiktüte mit ein paar Geldscheinen bietet, wenn man unterwegs doch ungewollt auf den ÖPNV oder ein Taxi zurückgreifen muss.
Beste Option für das wichtige Schuhwerk sind sicherlich Turnschuhe oder besser noch Trailrunner mit wasserabweisender Schutzschicht im Innern, die wenigstens gegen leichte Regengüsse oder eine nasse Piste wappnet. Sie sollten etwa anderthalb bis zwei Nummern größer sein als von den normalen Straßenschuhen gewohnt. Die falsche Wahl sind dagegen sicherlich schwere, klobige Wanderstiefel - wie gesagt, es handelt sich um einen Sport und nicht um Wandern. Gute Wandersocken sind dagegen unerlässlich, denn es gibt unterwegs kaum ein größeres Problem als durchgescheuertes Sockengewebe. Entgegen der landläufigen Meinung sollten es daher relativ neue Socken sein, die man zudem frisch anzieht und nicht schon einige Tage zuvor getragen hat - der möglicherweise in Anspruch genommene Sanitäter wird’s danken. Trekking- oder Nordic-Walking-Stöcke werden von rund einem Drittel der Teilnehmer verwendet und helfen vor allem in profiliertem Gelände und bei schwierigen Wegbedingungen wie Matsch oder Schneeauflage. Für Distanzen jenseits der 60 km benötigt man zudem eine Stirnlampe für die Nacht.
Die Bekleidungswahl hängt vom persönlichen Kälteempfinden ab. In der Regel sind die Teilnehmer zu warm angezogen, was die Leistungsfähigkeit senkt. In den ersten 10 bis 20 Minuten nach Start darf man ruhig ein wenig frösteln bei Training oder Wettkampf. Beispiel des Autors: unterhalb –2°C drei dünne Langarmsportshirts übereinander und lange Laufhose, zwischen –2°C und +8°C Dreiviertellaufhose und zwei dünne Langarmshirts, ab 8°C bis 15°C kurze Laufhose und ein dünnes Langarmshirt und ab 15°C aufwärts kurze Montur. Empfehlenswert ist die Zwiebeltaktik, so dass man je nach Temperaturentwicklung über den Tag warmhaltende Kleidungsstücke umbinden oder im Rucksack verstauen kann.
Am Veranstaltungstag
100-km-Märsche beginnen in der Regel mittags oder am frühen Abend. Ein ausgiebiger Brunch oder ein vollwertiges Mittagsessen mit nachmittäglichem Snack sind daher empfehlenswert. Ansonsten unterscheidet sich wenig vom üblichen Training, das man üblicherweise morgens oder vormittags beginnt. Wichtig ist, unterwegs prophylaktisch zu trinken und zu essen, selbst wenn der Appetit eingeschränkt ist. Denn stellen sich Hunger oder Durst ein, ist der Leistungseinbruch in der Regel bereits geschehen.
Extrem wichtig ist die Wahl des richtigen Tempos. Vergleicht man Ergebnislisten mit Zwischenzeiten bei Volksmärschen, kann man erkennen, dass rund 95 % der Teilnehmer auf der ersten Hälfte des Marsches zu schnell unterwegs sind und auf der zweiten Hälfte mitunter Stunden verlieren. Deswegen, und wegen mangelnder Vorbereitung, schafft es bei 50-km-Märschen bis zu einem Drittel der Teilnehmer nicht ins Ziel, bei 100-km-Veranstaltungen bleiben in der Regel 50 bis 60 % der Angetretenen auf der Strecke.
Es ist eben verführerisch, am Start mit der Menge loszusprinten. Denn man fühlt sich ausgeruht und könnte Bäume ausreißen, da man im Vorfeld der Veranstaltung eine Trainingspause von mindestens ein bis zwei Wochen eingelegt hat, um Kräfte zu sammeln – das gilt übrigens auch für Teilnehmer mit ambitionierter Zielzeit. Doch schießt einmal das Laktat in die Beine - das bekannte Puddinggefühl -, dann bricht man den 50- oder 100-km-Marsch, auch wenn sich das komisch anhört, am besten nach zehn Kilometern ab. Denn das Ziel wird man so niemals erreichen. Eben jene ersten zehn Kilometer sollten daher immer die langsamsten des gesamten Marschs sein. Danach kann man beginnen, das Tempo sachte zu steigern. An die Reserven kann man maximal rund 10 km vor dem Zieleinlauf gehen, auch das bedeuten beim Ultramarsch je nach Tempo noch anderthalb bis drei Stunden.
Apropos richtiges Tempo: Das bildet den wohl wichtigsten Aspekt beim Ultramarschieren. Denn die gefühlte Streckenlänge bemisst sich überraschenderweise vorrangig nicht in Kilometern, sondern in Zeiteinheiten, die man unterwegs ist. Wenn man es - durch ausreichendes Training - kann, ist es daher deutlich einfacher, einen 100-km-Marsch in 16 Stunden zu bewältigen als ein anderer Teilnehmer, der 22, 23 oder die maximal mögliche Karenzzeit von 24 Stunden benötigt. Ein Anhalt für die richtige Tempowahl ist bei einem 50-km-Marsch der Schnitt eines üblichen persönlichen 30- oder 35-km-Trainingsmarschs; für einen 100-km-Marsch sollte man seine Zeit vom jüngsten 50-km-Ultramarsch verdoppeln und rund zwei bis drei Stunden hinzurechnen. Dann kann man den anvisierten bestmöglichen Schnitt in etwa ermitteln. Man sollte also einen 50-km-Marsch in zehneinhalb Stunden bewältigen können, bevor man überhaupt daran denken kann, bei einem Hunderter im 24-Stunden-Limit das Ziel zu erreichen.
Tipp: Niemals bei einem 50- oder 100-km-Marsch an die noch zu absolvierende Streckenlänge denken, sondern nur an die Distanz zur nächsten Verpflegungsstation. So kann man sich die schwindelerregende Gesamtkilometerzahl in kleinere Abschnitte einteilen.
Regionale Märsche
Abschließend noch einige Empfehlungen für die Teilnahme an attraktiven Marschveranstaltungen im Umkreis der Ahrregion. Der Platzhirsch im Kreis ist natürlich der „Rhein-Ahr-Marsch“, der durch die Ahrflut und ihre Auswirkungen auf die Strecke momentan durch den nicht minder schönen, 60 km langen „Sahrtaltrail“ (Anfang Juli) mit Start in Rheinbach ersetzt wird. Mit seinen anspruchsvollen 1.600 Höhenmeter ist er allerdings nur bedingt geeignet für Newcomer. Ideal für Einsteiger wie auch Tempobolzer sind die „Bergischen 50“ (Ende April) mit Start und Ziel in Wipperfürth und zwei möglichen Streckenlängen von 25 und 50 km. Die jährlich wechselnden Routen bieten viel Bergauf und Bergab, wobei die Anstiege aber meist moderat ausfallen. Eine Topveranstaltung ist außerdem der „Hollenmarsch“ (Mitte Mai) im sauerländischen Bödefeld. Er weist knackige, lange Anstiege rund um die Skipisten von Winterberg und dem Kahlen Asten auf, ist aber dennoch anfängergeeignet, da zwischen Streckenlängen von 14 bis 101 km gewählt werden kann. Eher den Experten unter den Ultamarschierern vorbehalten ist der „Extrem-Extrem“ (Ende Juni) rund um den Diemelsee und Willingen im Sauerland mit seinen 156 km und 3.500 Höhenmetern. Die räumlich nächsten kommerziellen Marschveranstaltungen zum Ahrtal sind die Megamärsche in Mönchengladbach (50 km, Mitte März) und Köln (100 km, Mitte September) sowie die Mammutmärsche Ruhr (30 und 55 km, Ende April, ab Duisburg) sowie NRW (100 km, Mitte September, ab Wuppertal). Sie bieten überraschend viel Grün rund um die Großstädte Köln und Mönchengladbach oder den eindrucksvollen Gang durch die UNESCO-Welterbestätten des Ruhrgebiets wie etwa die Zeche Zollverein.
Wer bei einem 50- oder gar 100-km-Megamarsch die Ziellinie sehen will, muss viel trainieren. Fotos: Bünnagel
