Jehovas Zeugen Bonn-Bad Godesberg/Wachtberg
100 Jahre Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen
Wachtberg. In diesen Tagen denken viele an den Ausbruch des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren. Die Wachtberger Gemeinde von Jehovas Zeugen erinnert sich dabei an die 100-jährige Geschichte ihrer Glaubensbrüder, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigerten. Bereits während des 1. Weltkrieges wurde Reinhold Weber, ein Bibelforscher (wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden) von einem Kriegsgericht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er verbüßte diese Strafe im Festungsgefängnis Köln. Nach seiner Entlassung wurde er erneut vor ein Kriegsgericht gestellt, dass ihn am 26. August 1918 an die psychiatrische Klinik der Akademie Köln überwies. In den Gerichtsakten findet sich folgende Aussage: „Er könne sich nicht denken, dass der Herr Jesu von seiner Waffe Gebrauch mache, entgegen seinem Worte: „Liebet eure Feinde.“ … Selbst auf die Gefahr des Todes hin, würde er den Dienst verweigern.“
Die Geschichte der Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen setzte sich im 2. Weltkrieg fort. Allein 350 Zeugen Jehovas wurden unter dem NS-Regime wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet. Darunter befand sich auch der 35-jährige Paul Gross, der für den 20. April 1943 zum Grenadier-Ersatz-Bataillon 366 nach Bonn einberufen wurde. Noch am gleichen Tag verweigerte er in Bonn den Wehrdienst und wurde vier Monate später mit dem Fallbeil hingerichtet. Über 12.000 weitere Zeugen Jehovas wurden inhaftiert, viele kamen ins KZ.
Einer von ihnen war Arthur Winkler, der Anfang der 1930er Jahre das Gemeindeleben von Jehovas Zeugen im Raum Bonn/Wachtberg organisierte. Als am 28. Juni 1914 die Schüsse auf den Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie fielen, die den 1. Weltkrieg auslösten, war Arthur Winkler 16 Jahre alt. Damals gehörte er zu den vielen, die sich von der Kriegseuphorie anstecken ließen und sich freiwillig an die Front meldeten. Sein Einsatz in Frankreich endete vor Reims mit einer schweren Verwundung. Über 15 Millionen Menschen hatten im 1. Weltkrieg ihr Leben verloren und weitere 20 Millionen waren verwundet. Diese Erfahrungen führten dazu, dass Arthur Winkler nun den Krieg ablehnte. 1924 kam er in Kontakt mit den Bibelforschern. Durch die biblischen Gespräche mit ihnen verfestigte sich in ihm der Wunsch „nie wieder den Krieg zu lernen“ (Jesaja 2,4). Das biblische Konzept der Gleichheit aller Menschen und der tätigen Nächstenliebe wurde sein Lebensprinzip.
Das kann Johannes Weverinck (63) aus der Wachtberger Gemeinde nur bestätigen. Er erinnert sich, dass sein verstorbener Bonner Freund Egon Becker oft von einem Kindheitserlebnis mit Arthur Winkler erzählte. Da dessen Vater bereits unter den Nationalsozialisten inhaftiert worden war, brachte Arthur Winkler täglich Milch und Brot für den jungen Egon sowie dessen Bruder und Mutter, obwohl er selbst nur wenig davon hatte und half ihnen so zu überleben. Winkler selbst wurde im Herbst 1941 verhaftet. Über das KZ Vught, das Kölner Zuchthaus Klingelpütz und andere Stationen gelangte er im September 1944 ins KZ Sachsenhausen. Nach der Befreiung aus dem KZ lebte er in den Niederlanden und war dort bis zu seinem Tod 1972 als Bibellehrer tätig.
„Es bewegt mich, dass meine Glaubensbrüder in der Vergangenheit und bis zur heutigen Zeit sich so konsequent für ihre Überzeugung einsetzen,“ meint Annelie Lenzo aus der Wachtberger Gemeinde. „Selbst im Jahr 2014 sind noch Hunderte von ihnen inhaftiert, allein 602 in Südkorea und über 50 in Eritrea - und das wegen ihrer Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen.“
