Medizin-Nobelpreis geht an den deutschstämmigen US-Amerikaner Thomas Südhof
Den Zellen auf der Spur
Stockholm. Das eine soll hier landen, das andere wird nach da geliefert und das nächste muss dort hin gebracht werden und etwas erledigen. Es ist ein bisschen so, wie beim Sortierzentrum der Post mit Fracht, Zustelldienst und Andockstation. Aber auch nur ein bisschen. Denn es ist viel komplexer, was da in unserem Körper los ist, damit er funktioniert, wie er soll, immerhin besteht ein Mensch aus zehn bis hundert Billionen Zellen, die Tausende verschiedene Aufgaben haben. Jede einzelne dieser Zellen hat eine spezifizierte Mission, unablässig müssen Stoffe von A nach B gebracht werden, permanent wird Energie angeliefert, müssen wichtige Proteine auf den Weg gebracht und Abfallprodukte abgestoßen werden. Funktioniert da ein Rädchen im Uhrwerk nicht, kommt es zu verschiedenen Erkrankungen, Störungen des Hormon- und des Immunsystems oder Stoffwechselleiden wie beispielsweise Diabetes.
Perfektes Logistikzentrum
Um diesen Ansturm an Information, Stoffen und Aufgaben händeln zu können, hat sich die Natur ein hocheffizientes Liefersystem ausgedacht: die Vesikel, die seit den 70er Jahren bekannt sind. Hierbei handelt es sich um winzig kleine, von einer dünnen Membran umhüllte Bläschen, in denen sich die „verpackten“ Wirkstoffe befinden.
Es gibt wohl kein Unternehmen auf der Welt, das eine logistische Leistung dieses Ausmaßes so reibungslos und punktgenau bewerkstelligen kann, wie Organismen mit ihren Zellen das sekündlich meisterhaft hinbekommen. Es werden Hormone ausgeschüttet und gezielt Reaktionen ausgelöst, Enzyme spalten Nährstoffe auf, sortieren in gut verwertbare Häppchen und wenig dienliche Abfälle, Neurotransmitter steuern im Hirn Freud und Leid.
Zellen im Chaos
Doch wie das nun genau läuft, wie das Postfrachtzentrum „Zelle“ seine Päckchen auf den Weg bringt, damit sie zur richtigen Zeit an den richtigen Platz gelangen, das lag weitgehend im Dunkeln.
Und genau dies erforschte der in Göttingen geborene US-amerikanische Biochemiker Thomas Südhof zusammen mit zwei weiteren Kollegen, Randy Schekman und James Rothman. Und für ihre Ergebnisse erhielten sie nun den Nobelpreis in Medizin 2013.
Den drei Wissenschaftlern ist es gelungen, den Mechanismus aufzudecken, der den sogenannten Vesikel-Transport reguliert - und haben damit auch die Ursache für viele Krankheiten entdeckt, wenn er eben nicht ordnungsgemäß läuft.
„Die drei Preisträger haben das Geheimnis gelöst, wie die Zellen ihr Transportsystem organisieren“, erläutert Juleen Zierath, der Vorsitzende des Nobel-Komitees in Stockholm die Entscheidung.
„Ohne diese wunderbar präzise Organisation würde die Zelle im Chaos versinken“, so das Komitee.
Die Auszeichnung ist mit umgerechnet 920.000 Euro dotiert.
Nobelpreis-Tage im Oktober
Die ersten Oktobertage eines jeden Jahres sind Nobelpreis-Tage. Den Auftakt machen montags die Mediziner, Dienstag und Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Nobelpreises bekannt gegeben, Donnerstag folgt der Literaturnobelpreis und freitags veröffentlicht das Nobelpreis-Komitee den immer mit besonderer Spannung erwarteten Friedensnobelpreis-Träger. Den Abschluss macht der montags drauf gekürte Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.
Der Erfinder des Dynamits und 1896 verstorbene schwedische Chemiker und Industrielle Alfred Nobel hatte in seinem Testament festgelegt, dass alljährlich diejenigen einen Preis erhalten sollen, deren Leistungen in den Bereichen Chemie, Physik, Medizin, Literatur und Völkerverständigung „der Menschheit den größten Nutzen gebracht“ haben. Seit 1969 wird auch ein Preis für Wirtschaftswissenschaften verliehen - diesen stiftete die Schwedische Reichsbank im Einvernehmen mit der Nobel-Stiftung.
Überreicht werden die Nobelpreise alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters. Die Preise für Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Wirtschaft werden in Stockholm vergeben.
Den Friedenspreisträger bestimmt ein gewählter Ausschuss des norwegischen Parlaments in Oslo, wo dann auch die feierliche Preisverleihung erfolgt.
Drei Forscher - ein Preis
Die wissenschaftliche Arbeit der drei Forscher Südhof, Schekman und Rothman ist keineswegs ein gemeinsames Projekt gewesen, vielmehr haben sich ihre Forschungen ergänzt.
Das „Wie?“ Zunächst untersuchte Randy Schekman Hefepilze und machte dort verschiedene Gene aus, die für den Vesikel-Transport in den Zellen zuständig sind.
Das „Wo?“ James Rothman fand an Säugetierzellen heraus, wie die Vesikel mit Hilfe eines Schlüssel-Schloss-Prinzips an den richtigen Ort gelangen. Findet sich ein passendes Paar, öffnet sich das Bläschen und entlässt seine Fracht.
Das „Wann?“ Thomas Südhof löste das Rätsel, was genau passieren muss, damit die Vesikel-Paketchen auch zum richtigen Zeitpunkt geöffnet werden.
EMB
Im Stockholmer Konzerthaus am Heumarkt (Hötorget) findet die feierliche Überreichung aller Preise, mit Ausnahme des Friedenspreises, statt. Foto: Wikipedia/wishes to remain anonymous
Am Todestag des Stifters Alfred Nobel werden die Preise jährlich vergeben. Foto: Wikipedia/Gösta Florman (1831–1900) / The Royal Library
Bestandteile einer Zelle: 1. Nucleolus, 2. Zellkern (Nukleus), 3. Ribosomen, 4. Vesikel, 5. Raues Endoplasmatisches Reticulum, 6. Golgi-Apparat, 7. Mikrotubuli, 8. Glattes Endoplasmatisches Retikulum, 9. Mitochondrien, 10. Lysosom, 11. Zytosol, 12. Peroxisom, 13. Zentriolen. Wichtig für den Nobelpreis: die Nr. 4 - die Vesikel. Foto: Wikipedia/MesserWoland and Szczepan1990
