In der Türkei fällt das Kopftuchverbot für Frauen im Staatsdienst - Wie denken Sie darüber, liebe Leserinnen und Leser?
Rolle Rückwärts?!
Ankara. Die einen rufen „Hurra!“ und sehen in der jüngsten Entscheidung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Reform, die anderen bewerten genau dies als Rolle Rückwärts: Das bisher allgemein geltende Kopftuchverbot soll nach Wünschen Erdogans im türkischen Staatsdienst aufgehoben werden. Lediglich Frauen, die Uniformen oder Amtskleidung tragen müssen - also Justiz, Armee und Polizei - sollen davon ausgenommen sein und Richterinnen, Staatsanwältinnen, Polizistinnen sowie militärisches Personal dürfen nach wie vor keinerlei Kopftuch im Amt tragen.
Zum Hintergrund: Der Kopftuchstreit ist am Bosporus ein altes Thema. Nach offiziellen Statistiken sind nahezu 99 Prozent der türkischen Bevölkerung Muslime. Und für muslimische Frauen gilt das Gebot, ihren Kopf zu bedecken. Dies leiten sie aus dem Koran und einem ab Hadith ab, demzufolge Mohammed die Muslimas dazu angehalten habe, ihren Körper mit Ausnahmen des Gesichts und der Hände zu bedecken. In den Suren wird von einem nicht näher definierten Kleidungsstück gesprochen, das sich die Muslima über ihren Oberkörper legen soll, damit sie „als Gläubige erkannt und nicht belästigt“ werde.
Trennung von Staat und Kirche
Mit dem Militärputsch von 1980 aber wurde ein striktes Kopftuchverbot in der Türkei erlassen, nicht zuletzt auch, um Staat und Kirche konsequent voneinander zu trennen. 1998 zog eine junge Medizinstudentin vor Gericht, weil der Rektor der Universität Istanbul sie wegen ihres Kopftuches vom Lehrbetrieb ausgeschlossen hatte. Sieben Jahre später dann, 2005, endete der Fall von Lelya Sahin gar vor dem Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg. Das Urteil: Es sei rechtens, wenn man mit seinem Kopftuch in der Türkei der Universität verwiesen wird.
Nun verteidigte die regierende AKP (Adalet ve Kalkinma Partisi = Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) das Kopftuch aber immer wieder als persönliches religiöses Freiheitsrecht. Von ihren Kritikern musste sie sich indes den Vorwurf gefallen lassen, die Partei betreibe eine schleichende Islamisierung der Türkei. Fakt ist auf jeden Fall, dass das Kopftuchverbot nun aufweicht - und mit ihm ein fundamentales Symbol für die strikte Trennung von Staat und Religion in der modernen Türkei.
1,8 Millionen deutsche Moslems
Der islamisch-konservatie Ministerpräsident Erdogan begründete seine Entscheidung, damit, dass „die Beschränkungen die Meinungs- und Glaubensfreiheit sowie das Arbeitsrecht verletzt haben und sie diskriminierend“ seien. Mit einem so genannten „Demokratiepaket“ will er weitere Reformen durchsetzen auch, nach eigener Aussage, die kulturellen Rechte von Volksgruppen und kleineren Minderheiten sowie den Datenschutz verbessern.
Nun ist Ankara knapp 3.000 Kilometer entfernt und nicht jeder Türke ist Moslem. Dennoch blickt Deutschland Richtung Kleinasien und fragt sich, was Erdogans Entscheidung nun für unser Land bedeuten kann. Schließlich ist der Islam nach dem Christentum in Deutschland die Glaubensrichtung mit den meisten Anhängern. Derzeit bekennen sich etwa 5 Prozent der Bevölkerung zu Mohamed, also rund 4 Millionen Menschen - davon sind ca. 1,8 Millionen deutsche Staatsangehörige, 2,2 Millionen sind vor allem aufgrund unserer Bevölkerungsentwicklung vorwiegend türkisch geprägt.
Andersherum: 2008 hatten etwa 63 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime einen türkischen Migrationshintergrund, die anderen sind vor allem aus Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Iran, Marokko, Afghanistan, Libanon, Pakistan, Syrien und Tunesien eingewandert oder sind deutsche Konvertiten. Laut einer Umfrage des Essener Zentrums für Türkeistudien bezeichnen sich 80 Prozent der muslimischen Türkischstämmigen im Alter von 18 bis 29 Jahren als „eher“ oder „sehr religiös“. Von daher ist die Frage durchaus berechtigt, wie Muslime an Ahr und Sieg, zwischen Rhein und Mosel mit dem Kopftuch-Erlass umgehen, was sie darüber denken und fühlen.
Ländersache Kopftuch
In Deutschland selbst ist die Kopftuch-Frage Ländersache. Für Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen haben bislang Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und das Saarland ein Kopftuch-Verbot eingeführt. Schleswig-Holstein hatte zunächst die die Absicht, im Januar 2007 mitzuziehen, nahm davon jedoch 2008 wieder Abstand.
In Nordrhein-Westfalen schlossen sich betroffene Lehrerinnen, Lehramt-Studentinnen und Sozialarbeiterinnen zur „Initiative für Selbstbestimmung in Glaube und Gesellschaft“ (ISGG) zusammen, um gegen das Gesetz vorzugehen. Hier verbietet das nordrhein-westfälische Schulgesetz Lehrkräften in § 57 Absatz 4, „politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen abzugeben, welche die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern oder den Schulfrieden gefährden können“. Dies gilt vor allem dann, wenn der Eindruck entstehen könnte, dass Lehrkräfte gegen Menschenwürde, Gleichberechtigung nach Artikel 3 Grundgesetz oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftreten.
Was meinen Sie dazu?
An einer Befragung der islamisch-konservativen Tageszeitung „Zaman“ nahmen insgesamt 7.422 Menschen aus zwölf türkischen Provinzen teil. 99,5 Prozent der befragten Kopftuchträgerinnen, 73,1 Prozent der Nicht-Kopftuchträgerinnen und 78 Prozent der befragten Männer sprachen sich für eine Aufhebung des Kopftuch-Verbotes aus. Das ist für die Türkei ein klares Statement.
Und wie schaut es in Deutschland aus, liebe Leserinnen und Leser? Wie denken Sie über Kopftücher bei Lehrerinnen, Polizistinnen oder Richterinnen? Halten Sie dies für absolut problemlos und tolerabel in einer funktionierenden Demokratie? Oder fühlen Sie sich dadurch auf religiöser Ebene belästigt oder gar genötigt? Und wie beurteilen Sie den Erlass für die Türkei? Halten Sie die Lockerung auch für ein Zeichen der Demokratisierung oder sind Sie eher skeptisch? Wie denken Sie darüber? Wir freuen uns auf Ihre Meinung zu dem Thema. Schreiben Sie einfach an: blick-aktuell@kruppverlag.de und teilen Sie uns auch kurz mit, ob wir Ihre Meinung veröffentlichen dürfen. emb
Der Kopftuchstreit ist am Bosporus ein altes Thema.Foto: Christoph S./pixelio.de
