Interkulturelles Theaterprojekt feierte Premiere im tik-theater im keller
„Nächster Halt: Andernach!“
Ein hervorragendes Theaterstück, das nachdenklich stimmte

Andernach. Erfolgreicher Projektabschluss der Theatergruppe des Andernacher Beirats für Migration und Integration (BMI), die sich vor sechs Monaten zusammengefunden hat. Bei freiem Eintritt füllte sich zwei Abende der Theaterkeller des tik-theater im keller Andernach mit interessierten Zuschauern. Finanziell unterstützt wurde das Projekt von der Stadt Andernach, vom Kreis Mayen-Koblenz und vom Lions Club Neuwied-Andernach.
Das Bühnenbild
Das Bühnenbild von Heidemarie Berberich suggerierte dem Publikum die Stadt Andernach, unschwer zu erkennen an der Silhouette des Mariendoms und des runden Turms im Hintergrund. Der Spielort waren ein fiktives Café mit Außenbestuhlung, ein Marktplatz und der Bahnhof.
Das Stück
„Ja, wo komme se denn her? Was, Affegannistan? Mache sie hier Urlaub? ….. so ein scheenes Kopftuch hat meine Mutter früher auch getragen …!“, so überfiel ein älterer Herr (Jürgen Worst) das fremde, junge Pärchen am Andernacher Bahnhof. Die beiden konnten sich seinem Wortschwall kaum erwehren. Trotz der Aufdringlichkeit schafften sie es jedoch die Fassung zu bewahren, machten sich dennoch schnell aus dem Staub Richtung Bahnsteig.
Die zwölf Schauspieler wählten das Thema Glück zum zentralen Punkt ihres Bühnenstücks. Um diesen Oberbegriff herum woben sie ihre Gedanken und Geschichten. Weitere Themen, wie beispielsweise Zusammenhalt, Gesundheit, Dankbarkeit, fremde Kulturen und Offenheit inspirierten die Arbeit der Projektgruppe. Alle Themen fanden genügend Raum in der szenischen Erarbeitung. Unter dem Titel „Nächster Halt: Andernach!“ … unterwegs, das Glück zu finden, verbanden die Schauspieler all ihre Spielideen und brachten diese in Zusammenhang, Buch und Regie Ruth Retterath (Theaterpädagogin) und Salome Hagedorn (Studentin).
Auch das Erlernen der neuen Sprache wurde inszeniert, die Schwierigkeit sich in der neuen Heimat ohne ausreichende Sprachkenntnisse zurechtzufinden, das Unvermögen, sich selbstständig durch den Alltag zu lavieren. Amon (Adnan Hosseini Nejad), zunächst völlig überfordert den Fahrplan zu entziffern, durchlebt eine Metamorphose. Zunächst wurde er bei seiner erfolglosen Jobsuche vertröstet: „Lern erst mal deutsch!“, hieß es.
Am Ende des Bühnenstücks hatte er es tatsächlich geschafft: er spricht sehr gut Deutsch, ist fleißig und hat einen Job. Die sonst so verschlossene Chefin interessierte sich plötzlich für seine Geschichte: Die Bühne verdunkelte sich und hinter dem Vorhang tauchten einige dunkle Gestalten auf. Ein Maskierter trieb diese mit der Taschenlampe vor sich her, nahm ihnen ihr Geld, ihr Gepäck und ihre Würde. Er stieß sie in ein Schlauchboot, schob sie ins Wasser und überließ sie der Ungewissheit auf dem Weg in die vermeintlich bessere Zukunft.
„Den Tipp mit den Blumen habe ich von meiner Mutter!“, so die Worte des Berufstätigen, der sich nach einigen verbalen Ausrutschern im Vorfeld, schließlich doch bei der Betreiberin des Cafés (Andrea Pickenhahn) entschuldigen wollte. Der offensichtlich völlig überforderte Mann ließ Blumen sprechen.
Als die Chefin ihren Minijobber Reza während der Arbeitszeit beim Telefonieren erwischte, brannten ihr die Sicherungen durch. Sie befürchtete „... erst den kleinen Finger und dann die ganze Hand ...“ reichen zu müssen und wollte ihrer Putzkraft (Rahman Nazari) kurzerhand kündigen. Da sprang ihm spontan Kollegin Carmen (Christine Ott) zur Seite und unterstützte ihn mit den Worten: „… das kannst du nicht machen! Wenn er geht, gehe ich auch!“. Glücklicherweise konnte die Chefin umgestimmt werden, da sie auf die beiden doch nicht verzichten wollte.
Anhand einer Verfolgungsjagd durch den Zuschauerraum, die in einer brutalen Schlägerei endete, wurde der Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten. Es ist viel bequemer einfach wegzusehen, wenn man nicht selbst betroffen ist. Eine junge Zeitungsleserin (Heva Hesso) prangert dies an. Im Café mischt sie sich in eine Unterhaltung ein und konfrontiert die Augenzeugen mit der eigenen Feigheit. Wutentbrannt verlässt sie das Café mit den Worten: „Der Mann liegt im Koma! Er schwebt zwischen Leben und Tod … und ihr habt einfach weggeschaut!“
Der junge und interessierte Zoltan (Zobar Hussain) verteidigt einen Obdachlosen vor den Respektlosigkeiten einer Bekannten (Mahnaz Loosen / Bella Mark), die davon überzeugt ist jeder könne eine Wohnung haben „... diese Leute wollen das so, die wollen eh nur saufen!“.
Prisca, eine hübsche Frau (Parvana Babazade), versucht ihre Freundin (Heidemarie Berberich) davon zu überzeugen, sich auch hin und wieder ein bisschen Muße zu gönnen um dort wieder etwas Glück und Freiheit zu empfinden.
Begleitet wurde das Schauspiel von Amin Hashemi und seiner Gitarre. Der junge Mann schaffte es virtuos die Klänge der jeweiligen Bühnensituation anzupassen. Mal schnell, mal langsam, gefühlvoll, hektisch, laut und auch ganz leise untermalte er die Bilder.
Das Feedback des Publikums
Dem Publikum bot sich eine abwechslungsreiche und überraschende Vorstellung. Die größtenteils biografische Inszenierung machte nachdenklich und ließ die Zuschauenden zwischen tiefer Betroffenheit und ehrlicher Belustigung schwanken.
Eine Zuschauerin, Christina Petereit aus Neuwied (44 Jahre, selbst Lehrerin für Darstellendes Spiel), lobte die authentischen Bühnenleistung: „Das Projekt bot die Möglichkeit, mit Menschen … in einen kreativen Austausch zu kommen, miteinander und voneinander lernen, Integration zu fördern … Theater hat ein großes Potential und Mittel, Brücken zu bauen zwischen Generationen, Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen. Zum anderen konnten die Teilnehmer des Projekts sich nach ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten in das Projekt einbringen. Eigene Geschichten wurden mittels Theater kreativ umgesetzt und mit ihren Worten auf die Bühne gebracht. Das gibt Selbstwertgefühl und stärkt das Gemeinschaftsgefühl.“ Man habe am tollen Zusammenspiel gemerkt, dass die anfangs fremde, zusammengewürfelte Gruppe ein harmonisches Ensemble geworden ist, so Petereit. „Das Stück regte zum Nachdenken an. Ich möchte noch mehr solcher interkulturellen Projekte auf der Bühne sehen! Theater kann Menschen erreichen und zusammenbringen!“, so das Fazit der Theaterbegeisterten. Pressemitteilung
des BMI Andernach

Mit einer inszenierten Schlägerei wurde der Gesellschaft, die lieber wegsieht und sich raushält, ein Spiegel vorgehalten.
